Ich springe vom Kaffeetisch auf, stürze in mein Zimmer und komme gleich darauf mit meinem Whiskylikör und zwei kleinen Gläsern zurück. Das ist jedenfalls nicht verboten!
Ich sitze da und erzähle, wie positiv ich das Rauchen finde. Ein so wunderbarer Geschmack, so gemütlich und kommunikativ. So entspannend. Ich starre auf Magnhilds Zigarette. Sie weiß nicht, daß ich nicht rauche.
Ich habe heute lange mit Kari und Camilla darüber geredet. Wir saßen in der Christiania Gjestgiveri. Ich kam als erste, saß allein da. Einige Situationen sind stärker mit Zigaretten verbunden als andere. An Restaurants kann man kaum denken, ohne sich eine anzustecken. Ich saß mit den Ellenbogen auf der Tischplatte da. Angestrengt, verwundert, mit offenen Augen. Fast alle im Restaurant rauchten. Ich betrachtete sie, fasziniert. Als Kari und Camilla kamen, rauchten sie auch. Wir redeten über den Feminismus. Was in Zukunft aus der Frauenbewegung werden würde. Ich habe häufiger mit Grauen daran gedacht. Und hatte Angst, daß ich dort dann nicht mehr rauchen dürfte. Die Öko-Bewegung drängt sich mit ihrer frischen Luft ja überall rein. Es war komisch, sich so zu unterhalten. Ich war gezwungen, diejenige anzusehen, mit der ich redete. Starrte ihr direkt ins Gesicht. Ich konzentrierte mich eher auf das, was wir beredeten, griff ins Gespräch ein statt zu einer Zigarette.
Kari sah mich von der anderen Seite des Tisches aus durch ihre runde Brille an. Ich traute mich nicht, es zu erzählen, das hätte albern gewirkt. Ich saß nur da und zerpflückte ein Zigarettenpapier-Päckchen im Aschenbecher in 200 kleine Fetzen. Und das mehrmals. Sie achteten nicht drauf. Listig brachte ich das Gespräch auf Drogen. Ich hätte es so gern erzählt. Zigaretten erwähnte ich nicht. Wird nicht eigentlich viel zuviel getrunken und so . . .? Kari sagte, das sei, als höre sie sich selbst reden. Aber sie hätte vor vielen Jahren aufgegeben. Sie hätte keine Lust mehr, als Puritanerin angesehen zu werden. Jetzt waren es 300 Krümel geworden.
Kari sah mich durch die Brille an:
»Rauchst du nicht?«
»Oh doch!« rief ich, und mehrere der um uns Sitzenden drehten sich um und sahen uns an.
»Doch, doch. Ich rauche nur gerade jetzt nicht.«
Glücklicherweise fing Camilla an, von der Zeit zu erzählen, als Sie in Goa war. Warum sah sie mich so an? Merkte sie, daß mir der Kopf sauste, wenn ich sie anschaute? Ich guckte sie an. Ich war mir ganz sicher: Sie wußte, daß ich lüge. Camilla sagte, daß politisch aktive Gruppen gedopt würden. Das Blättchen-Paket konnte sich langsam mit einem Riesenpuzzlespiel für die Familie messen, also wechselte ich über zu einem Rotweinkorken. Die Europäer hatten auf dem Strand von Goa an der Ostküste Indiens gelegen und nur Opium geraucht und gemeint, sie lebten in paradiesischen Zuständen, alles andere sei Wahnsinn. Nachdem Camilla nach Hause gekommen war, hatte sie zwei Monate lang keinen Alkohol getrunken. Dann war sie zu einer Feier gegangen. Studentenparty. Wie üblich hatte sie Tee getrunken. Mit der Zeit waren die Gäste so merkwürdig geworden und hatten eine Menge dummes Zeug geredet. Da war ihr klargeworden, daß sie betrunken waren.
Wir lachten. Ich formte aus den Rotweinkorkenstücken ein Frauenzeichen. Kari fragte mich, ob ich nervös sei. »Nein!« rief ich, und einige der Umsitzenden drehten sich wieder um und sahen uns an. Camilla erzählte, daß sie mehrmals aufgehört hatte zu rauchen, weil ihr Arzt ihr gesagt hatte, daß sie es nicht vertrüge. Aber sie hatte wieder angefangen. Kari meinte, sie sei nur Gesellschaftsraucherin und das seit zehn Jahren. Aber die Kuchen! Wir könnten nur nach Hause gehen und uns mit unserem Nikotin ins Bett legen. Kuchen! Sie erzählte, wie sie sich in einem unaufhörlichen Strom einen Kuchen nach dem anderen in den Mund schaufeln könne, und fuhr mit einer eingehenden Beschreibung von Sahnetorten und Schokoladenkuchen, ihrem Aussehen, ihrer Form, Füllung und dem Geschmack bei den verschiedenen Konditoreien in der Stadt fort. Die Zigarette qualmte in ihrer Hand. Sie hatte fast keinen Zug aus ihr genommen, die Asche war lang und fest. Sie sah sie an und seufzte. Das Frauenzeichen aus Korken wurde breiter und breiter.
Aber als Camilla und ich zusammen mit der Straßenbahn nach Hause fuhren, erzählte ich es ihr doch.
»Du solltest aufschreiben, warum du aufhörst, sonst vergißt du es«, sagte Camilla.
Der 3. Tag –
Ehe ich es vergesse
Am liebsten würde ich mir einfach eine anstecken und aufgeben. Heute morgen entdeckte ich, daß ich noch eine halbe Stange Cecil von der Dänemarkfähre im Schrank habe. Ich fahre oft mit der Dänemarkfähre, denn Em wohnt dort. Em ist mein Verhältnis, oder war es. Es ist schon komisch, 35 Jahre alt zu sein und sein Verhältnis in Dänemark zu haben, aber manchmal ist es eben so. Jedenfalls bedeutet das, daß ich ziemlich oft die Fähre nach Dänemark nehme – und da liegen eben die Cecil im Schrank, und auch noch mehrere Packungen Tabak. Warum nehme ich nicht ’ne Zigarette und gebe auf, wenn es doch das ist, was ich am liebsten möchte? Nein, ich will nicht zugeben, daß es etwas gibt, von dem ich so abhängig bin. Daß ich von etwas vollkommen beherrscht werde, das ich nicht selbst entschieden habe. Ein Produkt, das ich mir nicht selbst ausgesucht habe. Eine Kraft außerhalb meiner selbst, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mein Leben erobert hat.
Es kotzt mich an, meine Qualen zu studieren. Gestern dachte ich noch, daß mein Zustand interessant sei. Es interessierte mich, mich selbst zu beobachten, meine eigene Abhängigkeit. Jetzt ist es anders.
Ein Vorhang hat sich in meinem Kopf herabgelassen. Ich bin fast immer müde, obwohl ich in den letzten Nächten neun Stunden geschlafen habe. Der Vorhang entsteht durch die Schockerlebnisse. Das Wissen um das Verbot grummelt in mir. Der Schock. Es ist besser, wenn ich mich zwinge, mir darüber klar zu werden, was ich glaube, machen zu müssen, aber nicht darf. Ganz bewußt jede Sekunde an Zigaretten denken, kristallklar: Zigaretten. Dann bekomme ich keinen Schock. Oh! Ich darf ja nicht rauchen! So bekomme ich ihn nicht. Stattdessen kann ich an nichts anderes denken. Ich kann zwischen diesen beiden Methoden abwechseln. Die Methode der kristallklaren Gedanken und die Grummel, Grummel, Schock-Methode. Das ist furchtbar ermüdend. Wie eine Art Finsternis im Kopf. Nein, nicht direkt Finsternis. Ein Nebel, wie der Nebel im Oslo-Kessel, und mein Kopf ist der Kessel. Wann wird er sich auflösen? Ich weiß ja, daß er aufreißen wird, wenn ich mir eine anstecke. Wenn ich nur dürfte . . .
Ich erzähle es fast niemandem. Ich glaube, nur Greta und Emilie wissen es. Selbst Magnhild weiß es nicht, obwohl wir im selben Haus wohnen. Ja, und Camilla weiß davon. Ich mag nichts sagen. Die Nachricht, daß Leute aufhörten zu rauchen, habe ich immer mit ziemlicher Säuernis aufgenommen, ihnen nie gratuliert. Die tun immer so, als würden sie gleich vor Stolz platzen, und ich fand immer, daß es sterbenslangweilig war, ihnen zuzuhören. Deshalb will ich jetzt nicht rumgehen und davon labern, daß ich aufgehört habe. Ganz im Gegenteil will ich die positiven Seiten der Zigaretten hervorheben.
Warum hab ich das gemacht? Warum hab ich angefangen, aufzuhören, wenn Zigaretten doch ausschließlich positive Seiten haben? Warum, warum.
Oh, doch. Mir ging es schlecht. Von Weihnachten bis jetzt war es am schlimmsten. Ich vermißte Em. Wir waren fünf Jahre lang zusammengewesen und hatten uns jetzt entschlossen, es vielleicht doch lieber nicht fortzusetzen. Das haben wir schon öfters gemacht. Fünf Jahre sind eine lange Zeit, auch wenn es einem im Nachhinein nicht so erscheint. Zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens bedeuten fünf Jahre genau, daß ich vor dieser Zeitspanne jung war, und jetzt, wo sie vorbei ist, was bin ich da? Die Beziehung zu Em lief nicht die ganze Zeit so, daß wir jeweils im eigenen Land lebten. Die meiste Zeit lebten wir zusammen, und in solchen Perioden, in denen du tagein, tagaus Seite an Seite lebst, jeden Tag arbeitest und ab und zu mal liebst, kann die Zeit unglaublich schnell vergehen. Gerade in solchen Perioden wachst ihr zusammen und könnt euch nicht vorstellen, daß es noch eine andere Welt geben könnte als diese, in der ihr tagein, tagaus Seite an Seite lebt, jeden Tag arbeitet und ab und zu liebt. Im Laufe der Zeit haben wir häufiger getrennt voneinander gelebt, konnten uns aber nicht daran gewöhnen. Wir sehen einander so oft wie möglich, aber auch damit wollen wir vielleicht aufhören. Da ist nicht mehr viel übrig, nach fünf Jahren.
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