Eigentlich darf man überall rauchen. In den letzten Jahren gab es eine Reihe Schreibereien und Gerede darüber, daß das schlecht sei. In früheren Jahren war davon nie die Rede gewesen. Da war Rauchen genauso natürlich wie eine Südwestbrise an einem Sommertag. Jahrzehntelang, Jahrhundertelang wurde der Tabaksrauch in Ruhe gelassen. Seit John Smith ihn zu Beginn des 16. Jahrhunderts in seiner Pfeife von Virginia heim nach England brachte, hatte er das Recht dazu. Der Tabak kam als eine Segnung aus den von uns entdeckten überseeischen Gebieten zu uns, genau wie die Kartoffel 100 Jahre später. John Smith lernte die Kunst von den Indianern, die ihn gefangen nahmen, so wie ein Europäer in Süd-Amerika die Kartoffel durch die Schweine kennenlernte. Die wühlten mit ihrem Rüssel in der Erde, und zum Vorschein kam eine Kartoffel. Und zur Freude der Europäer, die bis dahin mit Steckrüben und ohne Tabak zurechtkommen mußten, fuhren beide, Kartoffel und Tabak, über den Atlantik. Und so wurden Tabak und Kartoffeln von den Menschen bis in unsere Tage genutzt.
Kein böses Wort haben wir gehört, ganz im Gegenteil: Lobpreisungen wurden auf den Tabak geschrieben, über seinen Duft, und sachliche Essays über seinen Nutzen. Und in Norwegen lasen die Herren das Buch »Die Kunst, eine Pfeife zu rauchen«.
Aber jetzt ist das alles vorbei. In Finnland wurde letzte Woche ein neues Gesetz verabschiedet. Es soll nicht mehr gestattet sein, in öffentlichen Gebäuden zu rauchen. Und Norwegen ist nicht weit davon entfernt. Bald kann man nicht einmal mehr eine Streichholzschachtel zücken, ohne daß ein paar nörgelnde Worte darüber ertönen, wie schädlich Tabak doch sei. Diese schönen Streichholzschachteln, auf denen früher Rebus-Rätsel waren. Der Staat gibt sogar finanziellen Zuschuß, um diese Freude zu ersticken. Diese Hetzer fahren fort, ohne sich über die Gewalt klar zu sein, die sie gegen die Raucher ausüben. Rauchen – das ist ja eine Art Atmen. Atmen mit Genuß. Und plötzlich soll das also an einigen Orten verboten sein. Was würden denn all die eifrigen Nichtraucher sagen, wenn morgen ein Erlaß des Königs käme, daß bestimmte Bereiche atemfrei bleiben sollten? Überall – im Zug, im Wartezimmer, auf Veranstaltungen – würden sie riskieren, daß herrische Stimmen sich erheben: Atemverbot! Dann können sie dastehen und die Luft anhalten. Was würden sie dazu sagen? Nirgends mehr kann man mit seinem unschuldigen kleinen Zigarettenpäckchen sitzen, ohne daß giftige Blicke darauf geworfen werden. Die Stimmen erheben sich dagegen. Laute Stimmen. Herrische Stimmen. Stimmen, die wissen, worüber sie reden. Die Stimmen sagen: Es sollten nicht die Nichtraucher sein, die Zuflucht in rauchfreien Lokalen suchen, stattdessen sollten sich die Raucher in ihrem Raucherloch verstecken!
Das Frauenhaus in Oslo, wo ich oft bin, es ist wichtig und gut, daß es so einen Ort für Frauen gibt – also, das Frauenhaus in Oslo ist in keiner Weise von dieser Welle ausgeschlossen. Ganz im Gegenteil habe ich manchmal das Gefühl, daß genau hier diese Welle entstand. Hier gibt es Rauchverbote und den Kampf gegen die sogenannten Rauch-Imperialistinnen in rauhen Mengen. Es wird kein Blatt vor den Mund genommen. Es wird dir nicht gestattet, friedlich in deiner Qualmwolke zu sitzen.
Eines Tages protestierte ich auf einem Treffen der Sonnenscheingruppe dagegen. Die Sonnenscheingruppe soll eine einfache feministische Oper machen, aber das ist bis jetzt noch nicht so recht in Gang gekommen. Wäre Cecilie Hauge dabei gewesen, hätte sie zweifellos gesagt, daß Rauchen und Oper nicht zusammenpassen. Jetzt bin ich nicht mehr sicher, ob sie damit Recht hat, aber sie ist nicht dabei, sondern Tore Maribråten. Also, eines schönen Tages bei einem Treffen dieser Sonnenscheingruppe wurde mein gemütliches Zigarettendrehen wie üblich vom »Rauchverbot« gestoppt, laut und deutlich von Tore Maribråten ausgesprochen. Tore Maribråten hat sehr große braune Augen und singt Sopran. Mit anderen Worten – ich war verzweifelt. Ich war ausgepumpt, hatte den ganzen Tag gearbeitet, mich keinen Augenblick lang ausgeruht und wirklich einen dieser aufzehrenden Einsätze für die Gesellschaft geleistet, von denen das Leben einer Frau so voll ist, deshalb fühlte ich augenblicklich und unumgänglich den Drang, mich zu setzen und 15 Zigaretten nacheinander zu rauchen. Wußten sie eigentlich, was sie von mir verlangten? Ich bekam richtig Lust, das mit ihnen zu diskutieren . Und die Diskussion sollte so aussehen, daß ich Tore Maribråten und all den anderen Nichtraucherinnen in der Gruppe klarmachte, was sie mir antaten, wenn sie mir an einem Tag wie diesem das Rauchen verweigerten.
Aber dadurch wurde es für die, die dasaßen und vom Rauch gestört wurden, ja auch nicht angenehmer, sagte Tore. Nein. Wirklich nicht? Aha. War’s das? Ja, das war’s wohl.
Es schien, als kapierte ich etwas. Etwas ganz Einfaches. Nichts gibt ein derartiges Gefühl deutlicher Erkenntnis, als wenn man etwas ganz, ganz Einfaches versteht. Und das tat ich damals. Ich hatte sicher 1000 Mal davon gehört. Aber es war mir nie ins Bewußtsein gedrungen. Es gibt eine Art Raucher-Idiotentum. Das ist eine Krankheit, die unter Rauchern weitverbreitet ist. Nicht Lungenkrebs, nicht Herzinfarkt, nicht Arterienverkalkung, sondern Blindheit. Eine glückselige Blindheit gegenüber der Abneigung anderer gegen Rauch. Raucher-Idiotie.
Würden wir nicht an dieser Krankheit leiden, glaube ich nicht, daß wir je rauchen könnten. Man muß daran leiden, um keine Skrupel zu haben, unschuldigen Mitmenschen die Luft mit Dreck vollzupaffen. Und genau an diesem Herbsttag bei dem Sonnenscheintreffen verstand ich davon einen winzigen Bruchteil. Ich empfand große Sympathie für Tore Maribråten. Nicht, daß ich sie vorher nicht gehabt hatte. Wer hat die nicht? Aber weil sie es über sich gebracht hatte, mir so etwas Vernünftiges und Einfaches zu sagen. Daß sie es schaffte, das zu sagen, anstatt nur: Igitt! zu sagen. Wir brauchen diese Diskussion nicht! Wir hatten sie tausend Mal vorher, auch wenn es vielleicht mit anderen war. Ich hatte nie genau das gesagt, was ich meinte. Ich hatte das getan , was ich meinte, nämlich geraucht. Aber ich hatte nicht gesagt: »Ihr tut mir Gewalt an. Wißt ihr das? Wißt ihr, daß Rauchverbot ein Angriff ist?« – Das hatte ich nie gesagt. Und das mußte gesagt werden, um widersprochen zu werden.
Was ich also brauchte, war eine Gruppe, in der Raucherinnen und Nichtraucherinnen übers Rauchen redeten. Aber das Hoffnungslose daran ist ja, daß ich mir nie im Traum einfallen lassen würde, mich bei einer Gruppe mit so einem Thema anzumelden.
Ob ich wollte oder nicht, etwas drängte sich meinem Bewußtsein auf. Rauchverbot ist ein Unding. Es hat etwas grenzenlos Irritierendes an sich. Warum ist das so? Auf Essenspausen und Eßzimmer reagiere ich ja auch nicht so. Stattdessen finde ich jeden Tag pünktlich um halb zwölf zufrieden mein Brotpaket, zwei Scheiben mit Gouda. Ich nehme sie immer zum gleichen Tisch hin mit, tagaus, tagein.
Warum reagiere ich darauf nicht? Warum protestiere ich nicht dagegen, daß mir Zeit und Ort zugewiesen werden, wann und wo ich essen soll? Wo ist der Unterschied?
Ein Teil des Witzes beim Rauchen liegt darin, daß ich sitzen kann – in der sozialen Situation, in der ich bin – und rauchen, während ich gleichzeitig so tu, als rauchte ich eigentlich gar nicht. Ich tu, als beschäftigte ich mich mit ganz was anderem. Das Rauchen ist etwas Zufälliges, das ich völlig selbstverständlich betreibe, während ich klöne, diskutiere, esse, denke, mit Leuten, die ich kenne, zusammensitze – Rauchen ist ja nun mal so gemütlich und weist dich als frei und unabhängig aus. Durch das Rauchverbot verschwindet ein Teil dessen, was das Rauchen ausmacht. In dem Augenblick, wenn ich mit 25 anderen freien und zufällig rauchenden Individuen in einen anderen Raum gestaucht werde, wird mir klar, wie widersprüchlich das ganze Rauchen in sich ist.
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