1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 „Sie kennen sich aber gut aus“, lobte Scherrer. „Als ich damals den Sarkophag durch den Zoll am Flughafen in Luxor bringen wollte, gab es dort eine Beamtin, die aussah wie Hathor selbst. Sie hat mir geholfen, die antike Kostbarkeit durch den Zoll zu bekommen. Sie wissen doch, dass die Ausfuhr von Altertümern streng verboten ist. Als ich dann endlich im Flugzeug saß, hatte ich das Gefühl, eine der Stewardessen sähe ihr auch sehr ähnlich. Sie sprachen vorhin die Katzengöttin an. Die Plastiken sind so lebendig, dass sich die Grenzen zwischen der Zeit der alten Ägypter und unserer Zeit verwischen. Es muss Verbindungen geben zwischen dem Wissen der Ägypter um Unsterblichkeit und Tod und der modernen Wissenschaft.“
„Zum Beispiel die Todesgene“, meinte Anne. Als habe das Wort die geheimnisvolle Stimmung zerrissen, trat Scherrer vom Sarkophag zurück und bat Anne zum Sofa. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte Anne.
„Nein“, antwortete Scherrer, „Sie haben mich in die Gegenwart zurückgeholt.“ Wie recht sie hat, schoss es ihm durch den Kopf. Ich rede von Hoffnungen und Träumen, dabei bin ich Wissenschaftler, und wir haben Möglichkeiten, solche Übereinstimmungen zu prüfen.
Anne ging zu ihrem Platz zurück und nahm die Unterlagen zu sich. Scherrer nahm es amüsiert zur Kenntnis. „Sie haben eine wunderbare Überleitung zu Ihrem Thema gefunden“, sagte er lächelnd. „Geht es bei Ihrer Arbeit auch um das Geheimnis des Todes?“
Anne wartete, bis er sich gesetzt hatte. Das erneute Glas Wein lehnte sie dankend ab. „So kann man es ausdrücken“, begann sie. „Dr. Meyer und ich haben vor einigen Tagen die Arabidopsispflanze geholt.“
„Ihre Pflanze“, lachte Scherrer.
„Sie starb plötzlich ab“, fuhr Anne fort.
„Aber das ist doch normal“, sagte Scherrer, „jede Pflanze tut das. Es gibt kein ewiges Leben.“
„Vielleicht doch“, wandte Anne ein. „Ich kam auf die Idee, dass ein besonderes Todesgen das Absterben bedingen muss, eine Art innere Uhr, die das Sterben zu einem festgesetzten Zeitpunkt einleitet, bei Arabidopsis nach 90 Tagen direkt nach der Fruchtreife.“
Vielleicht doch? Wie ein Bote aus einer anderen Welt hat sie das gesagt, dachte Scherrer. „Und diese Uhr müsste man anhalten können, meinen Sie?“, fragte er mit belegter Stimme.
„Vielleicht“, antwortete Anne, „aber ich habe etwas anderes im Blick.“ Gespannt sah Scherrer sie an. „Man müsste solche Gene übertragen können. Man müsste die innere Uhr von Arabidopsis in eine andere Pflanze, etwa Baumwolle, einpflanzen.“
Scherrer pfiff durch die Zähne. „Die Baumwolle würde dann nach 90 Tagen absterben, meinen Sie? Das könnte aber zu früh sein.“
„Oder nach der Reife der meisten Kapseln. Vielleicht könnte man auch ein aggressives Todesgen mit einem einfachen Starter aktivieren. Dann wären die chemischen Entlaubungsgifte unnötig.“
Scherrer dachte kurz nach. „Aber verdient die chemische Industrie nicht gerade damit Millionen?“
„Zum Schaden der Menschen, des Bodens, der Umwelt und der Kinder, welche die Kleidung tragen müssen“, warf Anne engagiert ein.
„Man könnte eine Baumwolle mit idealer Lebensdauer entwickeln. Dazu könnte man statt der Entlaubungsgifte den passenden Starter für ein mögliches Todesgen patentieren lassen. Sie haben da eine gute Idee. Wie wollen Sie vorgehen?“, fragte Scherrer.
„Ich möchte zunächst selber verstehen, was in der Zelle abläuft. Ist es tatsächlich ein Todesgen, das dort arbeitet, dann könnte man in Tübingen das Gen vermehren und es später eventuell einmal auf eine andere Pflanze übertragen. Das Verfahren ist nicht neu, aber aufwendig. Die Züchtung der neuen Baumwollsorten könnte hier in unseren Gewächshäusern stattfinden.“
„Könnte man die innere Uhr auch anhalten?“, fragte Scherrer. „Was meinen Sie? Welche Konsequenzen hätte das auf einen Organismus?“ Er blickte durch Anne hindurch, als sähe er einen Schatten an der Wand.
Anne erschrak. Ihr war, als spüre sie einen kalten Hauch. „Es ist schon spät“, sagte Anne, „ich möchte gehen. Wäre das Thema für eine Doktorarbeit angemessen?“
„Man müsste die Uhr anhalten können“, flüsterte Scherrer ganz abwesend. Dann musste er husten und ganz in Gedanken sprühte er sich das Medikament in den Rachen. Er schien sie gar nicht mehr wahrzunehmen. Ein unheimliches Gefühl ergriff Anne und sie stand auf. „Entschuldigen Sie“, bat Scherrer, wieder so ganz der galante Professor, und erhob sich ebenfalls. „Sie haben so interessante Gedanken vorgestellt, dass ich mich ablenken ließ. Morgen können wir im Institut weiter darüber sprechen.“
Mit raschem Griff läutete er nach Irmgard. Sie erschien sofort.
„Frau Neidhardt möchte gehen“, sagte er. „Hatten Sie einen Mantel oder eine Jacke bei sich?“
Anne schüttelte den Kopf. Sie fror, denn Scherrer war immer noch ganz in Gedanken. „Bis morgen“, verabschiedete sie sich und reichte ihm die Hand. Sein Händedruck war schlaff und abwesend.
Sie folgte Irmgard durch das Haus. Als sie an der Katzengöttin vorbeiging, war ihr, als sei das Lächeln auf dem steinernen Gesicht tiefer geworden. Auf dem Weg durch den Garten drehte sie sich noch einmal um. Der Mond schien für einen Augenblick durch die Wolken und sein Licht fiel auf Scherrer, der am Fenster stand. Gespenstisch wirkte sein Umriss im Mondlicht. Er hob grüßend die Hand und Anne lief eilig fort.
Scherrer saß noch länger in seinem Arbeitsraum und dachte an früher. Wie einfach war es doch damals gewesen. Viele Studentinnen und Doktorandinnen hatten ihn besucht und manche von ihnen waren die ganze Nacht geblieben. In seine Erinnerungen mischte sich das Bild einer jungen Frau, die ihm seit einiger Zeit häufiger im Park begegnete. Er sah ihre schlanke Figur vor sich, ihre wiegenden Hüften und wie ihr langes Haar bei jedem Schritt ihre Schultern berührte. War es Zufall, dass sie ihm jetzt so oft im Park begegnete?
Scherrer bat am nächsten Morgen zu einer Besprechung in sein Büro. Meyer war auch anwesend. „Haben Sie gut geschlafen?“, begrüßte Scherrer Anne. „Ich habe Sie heute Morgen in der Bahn nicht gesehen.“
Anne lächelte. „Ja, Herr Professor, ich habe gut geschlafen und dabei von den ägyptischen Gottheiten geträumt. Dann bin ich besonders früh aufgestanden und gleich ins Labor gefahren. Die Forschungen lassen mich nicht los.“
„Das kann ich verstehen“, sagte Scherrer. „Es ist auch zu interessant, was Sie vermuten. Ich habe mich im Internet kundig gemacht. Noch niemand hat Arabidopsis auf ein Todesgen untersucht. Wir betreten Neuland.“ Der Stolz war ihm anzuhören.
„Sie vermuten ein Todesgen in Arabidopsis?“, fragte Meyer. „Zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich so um meine Pflanze gekümmert haben, Frau Neidhardt.“
Anne nickte in seine Richtung. „Sie waren ganz enttäuscht, Herr Meyer, als ich die Pflanze dann in der Hand hielt und über den festgelegten Lebenszyklus nachdachte. Da kam mir die Idee eines möglichen Todesgens.“
Meyer sah sie mit seinen durchdringenden schwarzen Augen an, und Anne konnte sich eines unheimlichen Eindrucks nicht erwehren. „Haben Sie noch lebende Zellen vorgefunden? Sie wissen doch, dass Pflanzenzellen potentiell unsterblich sind“, fragte er.
„Eigenartig, dass Sie mich das fragen“, antwortete Anne. „Erstens sind wir noch nicht sicher, dass wirklich von Zelle zu Zelle der Befehl zum Tode gegeben wird, zweitens habe ich tatsächlich bei der Untersuchung winzige Zellbereiche gefunden, die nicht abgestorben waren. Ich habe die Zellen für eine Kalluszüchtung vorbereitet. Aber ob es unsterbliche Zellen sind, können wir natürlich noch nicht sagen.“
Meyer nickte nachdenklich.
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