Gottfried Zurbrügg - Nest der Störche

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»Mein Großvater war Pfarrer in Brandenburg«, erklärt der Autor und dann spricht er über das herrliche, weite Land, das ihn so begeistert. Über die vielen schönen Erfahrungen, die er gemacht hat, über die Menschen, die er kennen lernte. »Werden Sie wiederkommen?« Die Frage kommt so regelmäßig, wie seine Erklärung darauf, weshalb er hier ist. »Ja«, sagt er und meint es ganz ehrlich. »Ja, ich werde wieder kommen. Im Schwarzwald bin ich zuhause, aber ich habe das Land zwischen Elbe und Oder schätzen und lieben gelernt. Ich werde wiederkommen, um mehr zu erfahren, wie die Menschen hier mit den schwierigen Bedingungen fertig werden, wie sie ihre Kirchen renovieren und ihren Glauben leben, wie sie neue Wege finden, die alten Dörfer neu zu besiedeln, wie sie mit den Kindern umgehen und ihnen den Glauben nahe bringen, wie sie es schaffen, Hoffnung zu haben.« Seit Jahren ist Gottfried Zurbrügg ein- oder mehrmals im Jahr in den neuen Bundesländern. Er vertritt dort Pfarrer in ihrer Arbeit. Die nun vorliegenden Geschichten berichten von den Erfahrungen im Pfarramt und mit den Menschen.

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Gottfried Zurbrügg

NEST DER STÖRCHE

Geschichten aus dem weiten Land zwischen Elbe und Oder

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.deabrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Coverfoto © muc_buidlmacher - Fotolia.com

ISBN 9783957440822

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel Gottfried Zurbrügg NEST DER STÖRCHE Geschichten aus dem weiten Land zwischen Elbe und Oder Engelsdorfer Verlag Leipzig 2014

Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar. Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Coverfoto © muc_buidlmacher - Fotolia.com ISBN 9783957440822 Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de

Das Storchennest

In der Altmark nahe bei Wittenberge, das Tagebuch einer Dienstreise

Im niederen Fläming

Ein Segen aus schwindelerregender Höhe

Die ganze Liturgie in einem Stück!

Glocken über Petkus

Der Strukturwandel fordert ganz neue Ideen: das Tropical

Nasenbären-Naherholung

W – wie Weihnachten vor fünfzig Jahren

Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder …

Wir haben immer schon sonntags geöffnet

Der Engel von Waltersleben

Die Kirche zu den Menschen bringen!

Schrippen im Schwarzwald

Nachwort

Das Storchennest

„Die Störche kommen jedes Jahr wieder!“, sagt Börnecke mit einem leichten Lächeln um seinen Mund, den der schwarze Bart fast ganz verdeckt. Börnecke ist eins der liebenswerten Geschöpfe, die in diesem weiten Land entstehen. Er ist für mich sichtbar und spürbar, als sei er ein Mensch, der mit uns die Landschaft und ihre Bewohner erlebt. Vielleicht entstehen solche Geschöpfe in den vielen leeren Häusern, die es hier gibt, in denen eigentlich Menschen wohnen könnten, aber nur noch Erinnerungen die Fenster öffnen. Börnecke ist mir sehr hilfreich, um die Landschaft und ihre Menschen verstehen zu können. Seine Kommentare sind stets sehr deutlich, denn im Gegensatz zu einem Pfarrer braucht er kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Wir stehen unter einem Storchennest, das kunstvoll auf einem Wagenrad, das auf einen hohen Pfahl gesteckt wurde, gebaut ist. Viele Meter hoch türmt sich der Haufen aus Reisig und oben stehen die Jungstörche bereit zum ersten Start in das neue Leben. „Sie werden bald losfliegen“, sage ich. „Sie lernen es mit dem Wind umzugehen.“ Eine Windböe zerzaust den Jungstörchen das Gefieder und sie schlagen aufgeregt mit den Flügeln, wagen aber noch nicht den Absprung vom sicheren Nestrand. „Und Sie, werden Sie auch wiederkehren?“ Die Frage gilt mir, als sei ich auch einer von den Jungstörchen und bereits dabei fortzufliegen. „Ich bleibe noch ein paar Tage“, versichere ich und weiß, dass ich damit die Frage nicht beantwortet habe. Börnecke schaut mich durch die kleinen runden Brillengläser prüfend an. Es ist schwer diesem Blick zu widerstehen. „Ja“, antworte ich nun doch, „ich werde wiederkehren in das Land, in dem die Störche noch zu Hause sind, in das Land, wo der Wind in den Windrädern braust, in das Land, wo der Horizont so unendlich weit ist.“ Eben kommt eine neue Windböe und diesmal wagen sie es. Der Wind nimmt die Jungstörche mit hoch in die Luft und sie segeln über die Stoppelfelder, als hätten sie nie etwas anderes getan. „Noch ein paar Tage“, meint Börnecke und seine Worte betreffen mich ebenso wie die Jungstörche. Er muss nicht weitersprechen. Ich weiß auch, dass mein Auftrag hier zuende geht und ich heimkehren werde in den Schwarzwald, wo ich heimisch geworden bin. „Sie hauen auch ab?“, so hat mich am Morgen die Angestellte im Bäckerladen gefragt, und man hörte zu deutlich, wie gern auch sie mit in den Süden davongezogen wäre. „Nein“, habe ich geantwortet, „nein, ich fahre nach Hause, denn meine Zeit hier ist um.“ Sie hat mich nur angesehen mit einem Blick, der mir hier oft begegnet ist, einer Mischung aus Sehnsucht und Neid. „Ich komme wieder.“ Es klang wie ein Versprechen und ich habe es auch so gemeint, auch wenn sie mich zweifelnd ansah. „Die Störche kommen auch wieder, jedes Jahr“, habe ich gesagt. „Ja, die Störche …“, meinte sie, ohne den Satz zu vollenden. „Wir sollten hineingehen, die Frauen warten auf uns“, sagt Börnecke und geht voraus in das alte Pfarrhaus, in dem schon lange kein Pfarrer mehr wohnt. Es ist ein großes Haus, aus schwarzen Fachwerkbalken gebaut, das Fachwerk mit Ziegeln gefüllt, darüber ein riedgedecktes Dach. „Mein Großvater war Pfarrer in Brandenburg“, sage ich und merke, dass ich mich wiederhole. Wie oft habe ich in den letzten Wochen diesen Satz gesagt, um zu begründen, dass ich aus dem Schwarzwald, dem Land, von dem so viele Menschen träumen, hierher gekommen bin. Braucht es eine Begründung, weshalb jemand kommt? Ist es nicht ein wunderbares Land mit den weiten Feldern, den alten Baumbeständen und den vielen Störchen? Vielleicht brauche ich diese Erklärung, denn ich will mich hier heimisch fühlen, ich will ausdrücken, wie sehr ich doch auch hier Wurzeln spüre. Meine Großväter sind ausgewandert, wie viele Menschen auch hier, der eine aus der Schweiz nach Norddeutschland, der andere aus Brandenburg in den Westen. Wir wohnen nun im Schwarzwald und sind selber umgezogen von Bielefeld in den Schwarzwald. Keine weiten Strecken, kein Amerika, kein Australien und doch haben sie und wir die Heimat verlassen.

Mittlerweile sind wir in dem großen Saal angekommen, in dem die Frauen den Tisch sorgfältig mit Kuchen, Torten und belegten Broten, wie es hier üblich ist, gedeckt haben. Um den langen Tisch sitzen Frauen im Alter zwischen fünfzig und achtzig Jahren und sehen mich erwartungsvoll an. Ich schaue mich nach Börnecke um, aber er ist verschwunden, wie immer in den letzten Wochen. Er begleitet mich, er stellt Fragen, er weist mich an, aber dann ist er verschwunden und ich stehe allein der Aufgabe gegenüber.

Man weist mir den Platz am Kopf des Tisches zu. „Dort sitzt immer der Pfarrer“, sagt eine nette alte Dame, die sicher seit vielen Jahren diesen Kreis leitet. „Dort hat er immer gesessen“, will ich antworten, „dort könnte auch mein Großvater gesessen haben, oder mein Vater, der auch Pfarrer war.“

„Die Störche haben das Nest verlassen“, sage ich, wie zur Entschuldigung. „Sie haben alle das Nest verlassen.“ Ein einfacher Satz, der alles umschreibt. Das trifft die Situation hier. Die Jungen haben das Nest verlassen, sind nach Süden gezogen. „Die Störche kehren jedes Jahr zurück“, ergänzte ich, um den Satz in seiner Bitterkeit zu entschärfen.

„Die Störche …“, antwortet eine Frau wie die Bäckerin.

„Mein Großvater war Pfarrer in Brandenburg“, höre ich mich erklären und dann spreche ich über das herrliche, weite Land, das mich so begeistert, über die vielen schönen Erfahrungen, die ich gemacht habe, über die Menschen, die ich kennen gelernt habe. „Werden Sie wiederkommen?“ Die Frage kommt so regelmäßig, wie meine Erklärung, warum ich hier bin.

„Ja“, sage ich und meine es ganz ehrlich. „Ja, ich werde wiederkommen. Im Schwarzwald bin ich zuhause, aber ich habe das Land zwischen Elbe und Oder schätzen und lieben gelernt. Ich werde wiederkommen, um mehr zu erfahren, wie die Menschen hier mit den schwierigen Bedingungen fertig werden, wie sie ihre Kirchen renovieren und ihren Glauben leben, wie sie neue Wege finden, die alten Dörfer neu zu besiedeln, wie sie mit den Kindern umgehen und ihnen den Glauben nahe bringen, wie sie es schaffen, Hoffnung zu haben.“

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