Wie hilflos wir doch sind!
»Sie verwendeten die Sprache«, antwortete ich. Wenn man sich hier auf »die Sprache« bezog, wusste jeder, welche gemeint war. Natürlich sprach man sie dort, wo man mich ausgebildet hatte. Bei jenen Männern handelte es sich nicht um Barbaren; die Wilde war vielmehr ich.
»Nein«, sagte er. »Ich meine ihren Akzent.«
»Sie hatten eine andere Aussprache.«
»Hast du den Akzent wiedererkannt?«
Ich verneinte.
Sicher, ich hatte den Akzent hier und dort schon einmal gehört, nachdem ich aus dem Pferch gekommen war, und sogar bisweilen außerhalb der Mauer, wenn auch nur selten. Allerdings wusste ich ihn nirgends einzuordnen. Schließlich war ich auf diesem Planeten vielen verschiedenen Sprechweisen begegnet. Wieder stieg Furcht in mir auf; warum interessierten ihn solcherlei Dinge?
»Dreh den Kopf hin und her«, gebot er.
Ängstlich gehorchte ich.
»Du trägst hübsche Ohrringe«, fand er.
Sie waren zierlich und aus Gold, passend zu meinen Armreifen, -bändern und Spangen. »Sie betonen dein dunkles Haar ganz reizend«, fuhr er fort.
Flehentlich schaute ich zu ihm auf; ich verstand ihn nicht.
Er wusste doch, dass ich ein Mädchen mit durchstochenen Ohrläppchen war, und was das auf dieser Welt bedeutete. Noch bevor er mir befohlen hatte mich auszuziehen, musste es ihm klar gewesen sein.
Er durfte mich nicht weiter festhalten! Doch, er sollte es weiter tun, und sei es auch nur für einen kurzen Moment! Nein, er musste mich gehen lassen!
Wir waren immerhin in diesem Garten!
Dämmerte ihm die Gefahr denn nicht?
»Hattest du schon Ohrlöcher, als du auf diesen Planeten kamst?«, fragte er.
»Nein.«
»Du wurdest also im Pferch gestochen?«, schlussfolgerte er.
»Nein, nicht dort«, widersprach ich.
Er schaute wieder von oben auf mich herab.
»Ich verstehe nicht, was du willst«, jammerte ich. »Ich bin nichts Besonderes«, beteuerte ich, »keinen Deut anders als Tausende meiner Sorte.«
Er rutschte ein wenig zurück und beäugte mich. »Nur nicht so bescheiden. Du würdest einen stattlichen Preis erzielen.«
Ich warf ihm einen kummervollen Blick zu.
»Aber im Grunde genommen«, fuhr er fort, »hast du recht. Du unterscheidest dich im Kern dessen, was du bist, überhaupt nicht von tausend anderen Mädchen.«
»Bitte, lass mich gehen!«, flehte ich.
Er schaute auf.
»Bitte!«, wiederholte ich, drehte und wand mich.
»Ah«, stöhnte er unvermittelt.
Aber ich hatte doch gar nicht beabsichtigt, ihn zu erregen! Dann jedoch spürte ich, dass er wieder in mir anschwoll, und musste, noch während die Stimmen näher kamen, erneut für seine Genugtuung herhalten.
Ich klammerte mich abermals verzweifelt wimmernd an ihn.
Kannte er die Gefahr wirklich nicht?
Auf einmal sah er mich streng an und fragte: »Bist du Janice?«
»Ich heiße Gail«, entgegnete ich. »Gail!«
»Hat dich schon einmal jemand Janice genannt?«
»Nein.«
»Lügst du etwa?«
Ich verneinte wieder.
»Weißt du, welche Strafe einer wie dir blüht, wenn sie nicht die Wahrheit sagt?«
»Ja«, stöhnte ich.
»Also lügst du nicht?«
»Nein.«
»Kennst du ein Mädchen, eines von deiner Sorte, das Janice heißt?«
»Nein!«, schluchzte ich. Man hatte mir eingebläut, ich müsse solche Fragen beantworten, falls man sie mir stellte. Er bohrte weiter: »Warst du jemals in der Stadt Treve?«
»Nein!«, betonte ich erneut.
Vor dem, was solche Verhöre bedeuten mochten, war ich bereits gewarnt worden, wobei man mir empfohlen hatte, wie ich reagieren sollte. Indes war es mir selbst wohl so wenig wahrscheinlich vorgekommen wie denjenigen, die mich beraten hatten, dass ich je in eine Situation geraten würde, in welcher ich mich solchen Fragen stellen musste. Wie konnte man diese Dinge so unheimlich wichtig finden? Warum erachtete er derlei Informationen als heikel oder vertraulich? Nichts von alledem ergab für mich einen Sinn; ich verstand nichts davon. Vielleicht waren meine Lehrer verrückt. Ich wusste nichts, was irgendjemand wichtig oder interessant finden konnte. Ich selbst war unbedeutend, überhaupt nichts Außerordentliches. Unter Tausenden stach ich nicht heraus, wenn man davon absah, dass ich eventuell mehr Geld einbrachte als andere. Ich blickte zu ihm auf.
Er sollte sich nicht mit solchen Belangen aufhalten!
Ich war eben, was ich war, und nichts weiter.
Andererseits: Genügte dies nicht bereits für sich genommen, so wenig es auch wert war?
Ich lag im Garten in seinen Armen. Ich war verwirrt und scheute seine Fragen. Gleichzeitig erschütterte mich mein eigenes Empfinden und Verhalten. Wieder einmal war ich – eine von meinem Schlag – mutwillig und konsequent gezwungen worden, jemanden zu befriedigen, einen Mann wie ihn. Mein Stand, meine Stellung waren eindeutig. Man hatte mich entschieden und absolut unmissverständlich daran erinnert, was ich darstellte. Ich suchte dringlich seine Lippen, um mich erkenntlich zu zeigen und in der Hoffnung, sie küssen zu dürfen.
Wie hart sie schienen, und wie weich dagegen meine!
Endlich küsste ich begierig, dankbar, und ohne dass ich mich dessen hätte erwehren können, seine Lippen, sein Gesicht, die Schultern und die Brust, denn wir hatten ja Zeit – nein, mussten Zeit haben.
Dann vernahm ich die Stimme derjenigen, die als Erste unter uns galt. Sie klang sehr nahe, fast in Griffweite. Ich schrie leise und gequält auf, doch als ich mich entziehen wollte, wurde ich festgehalten, ganz dicht an jene breite Brust.
Das Erste Mädchen schrie laut vor Wut.
Als ich den Kopf nach rechts drehte, sah ich sie voller Entsetzen – tatsächlich, unsere Aufseherin!
Er stieß mich dennoch nicht von sich und wollte auch nicht aufspringen. Vielmehr hielt er mich zu meinem Schrecken und Gram, nackt und hilflos, weiter so fest im Arm, dass ich mich nicht regen konnte.
Irgendwann ließ er mich doch los und erhob sich, woraufhin ich zu meinen Seiden lief und sie aufraffte. Während ich zitternd und entsetzt auf der Erde kniete, bedeckte ich mich damit.
Er wirkte zornig auf mich, als er sich umdrehte, um diejenigen zu sehen, die gekommen waren: unsere Aufseherin, die eine lange, biegsame Lederrute trug und zwei große Begleiterinnen.
Er hielt seine Tunika locker in einer Hand, dazu den Gürtel und seine Brieftasche.
Die drei Frauen trugen ebenfalls Seide, aber kostbarere und auf deutlich andere Weise als ich, was insofern stimmig war, da sie an diesem Ort, hier im Garten, viel mehr galten als ich. Meine Seide, die ich nun an mich drückte, war unregelmäßig mit Feuchtigkeitsflecken gesprenkelt, nachdem er sie zwischen meinen Mund geschoben hatte, damit ich keinen Schrei oder irgendetwas von mir gab. An einigen Stellen zeigte sie sogar Zahnabdrücke, da ich in meiner Verzweiflung darauf gebissen hatte, während ich immer hemmungsloser geworden war, zuletzt bis zur Unbeherrschtheit. Es war nichts weiter als ein kurzes, durchsichtiges Kleid. Die Seide der drei anderen ließ im Gegensatz dazu zwar nichts durchblicken, entblößte sie aber trotzdem gewissermaßen, wie es solche Stücke auch tun sollen. Unsere Aufseherin trug eine scharlachrote Seidenweste ohne Ärmel, unter der sich ihre Schönheit wie zum Protest wölbte. Ein kurzes Band, dessen Enden lose herabhingen, hielt sie zusammen. So konnte man sie mit einem beiläufigen Ruck öffnen und die Weste über den Rücken abstreifen. Ihre beiden Gehilfinnen hatten ebenfalls dunkelrote Gewänder an, die vorne mit leicht zugänglichen Haken geschlossen waren. Derjenigen, die als Erste unter uns galt, zweifellos aufgrund ihres hohen Ansehens, hatte man erlaubt, die Seide im Bauchbereich, von wo aus sie tief unterhalb der Hüften verlief, wie einen Harfax-Rock zu tragen. Dieses noch recht bescheidene Kleidungsstück ist dreieckig und wird an der linken Hüfte befestigt, sodass das rechte Bein bedeckt bleibt, während das linke beim Gehen entblößt wird. Die linke Körperseite ist so bis auf die Weste nackt. Die Frau hatte die Seide mit einer Goldspange an der linken Hüfte fixiert, derweil ihren beiden Begleiterinnen keine solche Großzügigkeit gestattet worden war. Ihre Bauchteile, die genauso weit am Becken heruntergezogen waren, bestanden jeweils aus zwei schmalen Rechteckstücken. Dieser Schnitt ist gebräuchlicher. In ihrem Fall hielt eine linksseitig verschnürte Kordel den Stoff zusammen. Diese muss für gewöhnlich so locker gebunden werden, dass sie sich leicht lösen lässt, denn die meisten Männer hier sind, wie jene auf meinem Heimatplaneten, Rechtshänder. Solche Seiden werden jedoch nicht immer unter eine Kordel oder einen Gürtel geklemmt, sondern stattdessen vorne oder hinten eingeschoben. So lassen sie sich noch rascher ausziehen. Die drei trugen genau wie ich Schmuck. Armreife, -bänder und je eine Spange, aber im Gegensatz zu mir auch Halsketten, zwei davon sogar mit Anhänger. Diese sowie einzelne Glieder baumelten teilweise bis zu ihrem bloßen Bauchnabel, streiften ihn oder stießen dagegen. Wir alle waren Mädchen mit durchstochenen Ohrläppchen, wie man so sagt. Ich trug die erwähnten kleinen Goldringe darin; dazu hatte ich die Erlaubnis bekommen. Der Schmuck der Aufseherin war aufwendiger – Draht und dünne Plättchen, die bis an ihre Wangen hingen. In den Ohren ihrer zwei Gefährtinnen steckten hingegen große Goldreife. Erwähnt seien noch ihre Talmits, Haarbänder zum Zeichen ihrer Autorität. Das des Ersten Mädchens war schmal und aus Gold, mit einem mittig eingearbeiteten Edelstein, genauer gesagt einem Rubin, wohingegen die anderen beiden herkömmliche Talmits aus dunkelroter Seide trugen. Ein zusätzliches Schmuckstück oder Zeichen hatten wir alle: unseren Halsreif. Habe ich oft genug darauf hingewiesen? Möglicherweise. Man erachtet dergleichen als zu selbstverständlich. Es gehört zur Tradition, Frauen wie uns Halsreife anzulegen. Unsere bestanden nicht aus massivem Edelmetall, sondern waren bloß vergoldet. Verschließen lassen sich alle im Genick, und wir selbst können sie nicht ausziehen. Dem Leser sei versichert, dass wir daran nicht viel auszurichten vermögen, aber sie sind dennoch keineswegs unbequem. Oft vergisst man gar, dass man einen trägt, obzwar man rasch darauf gestoßen werden kann. Unsere Brandzeichen markieren uns, wie bekannt sein dürfte, als das, was wir sind. Dies ist, wie ich schon angedeutet habe, sehr nützlich, wenn es um Rechts- und Handelsfragen geht. Am Halsreif erkennt man für gewöhnlich das Haus beziehungsweise den Mann, der mit absoluter Gewalt über uns verfügt. Halsfesseln wie Brandzeichen sind auf ihre unterschiedlichen Arten Merkmale zur Identifikation, doch Erstere erweisen sich, wie man leicht nachvollziehen kann, als etwas spezifischer. Schließlich kann man sie wechseln, während das Brandzeichen so bleibt, wie es ist.
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