»Auch endlich unten?«, rief Donatus in seinem Helm und Julius erblickte nun auch die Statusanzeigen der restlichen Mitspieler. Donatus sowie zwei andere Mitspieler hatten schon Schätze gefunden und ihre Prozentanzeigen füllten sich.
Julius spurtete los. Zu seinem Erstaunen fiel ihm das Rennen trotz der Rüstung überhaupt nicht schwer und so erreichte er nach kurzer Zeit den Wald. Er blickte sich um und orientierte sich. Hier war er in seinem Element. Es war alles genau so, wie er es es von unzähligen Spielen zu Hause in seiner Jugendgruft gewohnt war. Da, die kleine Erhebung zwischen den Bäumen. Ein altes Grabmal. Dort würde er mit der Schatzsuche beginnen. Aber als Erstes galt es, Rohstoffe für seine Burg zu sammeln. Viele ForkKnight-Spieler machten den Fehler, erst Schätze zu horten, um derer dann beraubt zu werden, weil es keine Burg zum Aufbewahren gab. Julius wusste es besser.
Er griff hinter seinen Kopf und spürte das Heft des Gabelschwertes. Mit einem Ruck zog er die lange Klinge hervor und hieb sie in einen Baum. Die viergezackte Gabel an der Spitze des Schwertes glühte auf und der Baum zersprang in lauter kleine braune und grüne Pixel. Diese wurden sofort von der glimmenden Gabel eingesaugt und Julius stellte zufrieden fest, dass sich seine Rohstoffanzeige im Helmdisplay füllte. Er fällte noch fünf weitere Bäume und machte sich auf, Steine zu finden. Denn neben Holz brauchte es Steine, wollte man eine adäquate Burg zum Schutz seiner Münzen und Schätze errichten.
Julius wusste ganz genau, wo er suchen musste. Ein paar Steinhaufen weiter hatte sich seine Rohstoffanzeige ordentlich gefüllt und Julius rannte in Richtung der Anhöhe in der Mitte des Wäldchens. Dort würde er wie üblich seine Burg errichten und sich dann auf Schatzsuche begeben.
An der Stelle angekommen, dachte er konzentriert an den Vorgang, anstatt wie üblich eine Taste gedrückt zu halten, um den Bau zu beginnen. Dann hob er das Gabelschwert in die Höhe und winzige Pixel schossen aus den Zinken. Die Pixel wirbelten in einem Strudel umher und formten eine kleine Ritterburg. Zufrieden blickte Julius auf das Bauwerk und übertrug mittels seiner Gedanken weitere Rohstoffe. Um die Burg zu vollenden, erdachte Julius eine Zugbrücke, welche sich folgsam ausbildete und krachend schloss.
Julius wollte sich gerade dem ersten Schatz widmen, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Als Vampir besaß Julius ausgezeichnete Reflexe und seine Fähigkeiten als Gamer verstärkten diese noch. So konnte er dem plötzlichen Schwerthieb des anderen Gabel-Ritters locker ausweichen. Der andere Gabel-Ritter hatte eine grüne Rüstung und hieb mit wilden Schlägen um sich. Julius erkannte blau glühende Augen in dunklen Höhlen hinter dem Helmvisier: das Skelett. Es fauchte wütend und schlug mit seinem Gabelschwert aufgebracht nach Julius.
»Wohooooo, immer langsam, Alter!«, grinste Julius.
Mühelos wich er den ungelenken Schlägen des grünen Gabel-Ritters aus.
»Jetzt bin ich aber dran!« Lächelnd duckte sich Julius unter einem hohen Schlag des grünen Ritters weg. Sein Konter folgte zugleich. Er deckte den grünen Ritter mit einer schnellen Schlagkombination ein. Die vertrauten Laute von Metall, welches auf Metall schlug, trieben Julius noch mehr an und er schloss mit einem Tritt zur Körpermitte des grünen Ritters.
»Das … ist … ForkKnight!«, rief Julius strahlend und setzte dem strauchelnden Gegner nach. Mit einem eingedrehten Schwertstreich leerte Julius vollends die Energieanzeige des grünen Ritters. Ein greller Blitz und der Gegner explodierte in einem Pixelregen und hinterließ einen Haufen von Rohstoffen und Münzen. Julius reckte lächelnd sein Gabelschwert in die Höhe und saugte die Beute ein. Sogleich füllten sich seine Rohstoff- und Schatzanzeigen.
»Das war aber nicht gerade nett von dir, Kleiner. Mr Knochenmann ist doch neu im Spiel!«, hörte Julius die Stimme von Donatus im Kopf.
Julius blickte sich um und als er sicher war, dass keiner der anderen Mitspieler in der Nähe war und den nächsten Angriff plante, entgegnete er: »Ich hoffe, Sie haben hier nicht nur Kanonenfutter. Wo sind Sie denn gerade, Meister Donatus?«
Julius hoffte, die Arroganz des großen Lektors würde ihm helfen, aber dieser erkannte seine Absicht.
»Netter Versuch, Kleiner. Wir sehen uns später, ich muss hier jetzt einen Schatz heben.«
Julius blickte auf die Schatzanzeigen der Gegner in seinem Helm und erkannte, wie die Anzeige des roten Ritters um 35 Prozent nach oben schoss. »Na warte!«, knurrte Julius. Er spurtete in die Richtung des Grabmales und kam in einer kleinen Wolke aus Pixelstaub zum Stehen. Mit einem Hieb seines Gabelschwertes schlug Julius die Steinplatte zur Seite (was ihm natürlich wieder Rohstoffe einbrachte) und schaufelte mit seiner Gabelklinge im Erdreich. Wie erwartet funkelte ihm nach kurzer Zeit goldenes Metall entgegen und Julius lud den Schatz mit seinem Gabelschwert in sein Inventar.
Auf dem Rückweg zu seiner Burg stellte sich ihm der gelbe Ritter in den Weg. Wild schreiend stürmte er auf Julius zu, sein Gabelschwert über dem Kopf erhoben. Julius erkannte eine kratzige Frauenstimme und rannte weiter. Kurz vor dem Auftreffen rutschte Julius auf die Knie und tauchte unter dem Schlag des gelben Ritters ab. Dabei zog er gleichzeitig sein Gabelschwert nach oben und leerte mit einem Schlag die Hälfte der Energieanzeige des gelben Gabel-Ritters. Der stand noch mit dem Rücken zu Julius, als dieser aufstand und mit einer Drehung seine Klinge in die Rückenpanzerung des gelben Ritters stieß. So verpuffte auch der gelbe Ritter in einer Pixelwolke und Julius sammelte die reiche Beute ein. Wie viele unerfahrene ForkKnight-Spieler vor ihm hatte auch der gelbe Ritter den Fehler begangen und erst Münzen und Schätze gesammelt, anstatt sie in einer Burg zu horten. Julius’ Schatzanzeige sauste nun auf stattliche 54 Prozent.
Julius rannte zurück zu seiner Burg und hob sein Gabelschwert in die Höhe. Ein goldener Pixelregen ergoss sich aus den Zinken und strömte in die Burg. Dort war sein Schatz erst mal gut verwahrt. Sicher, tollkühne Gabel-Ritter griffen schon mal eine Burg an, um diese mit unendlich vielen Schlagkombinationen einzureißen und so an die Schätze zu kommen. Julius verfolgte aber eine andere Strategie. Er würde entweder schneller Gold als seine Mitspieler sammeln, um zu gewinnen, oder alle anderen Ritter aus dem Spiel werfen. Beide Taktiken hatten sich als nützlich erwiesen, doch letztere gestaltete sich in Donatus’ ForkKnight-Version schwieriger. Normalerweise warfen sich die anderen Spieler auch gegenseitig aus dem Spiel. Hier aber kämpften dank Donatus’ Zauber nun alle gegen Julius und er war auf sich allein gestellt.
Noch blieben Meister Donatus und vier andere Ritter. Julius lächelte und machte sich auf zur Inferno-Grotte.
Die Inferno-Grotte war bei ForkKnight-Spielern ebenso beliebt wie berüchtigt. Neben seltenen Rohstoffen lockten dort vor allem unglaublich viele Schätze. Die Grotte auf der Map zu finden, war nicht besonders schwer. Das Problem bestand vielmehr darin, die Schätze der Grotte zu heben und sicher herauszuschaffen. Denn die sengende Hitze nagte konstant an der Energieleiste des Spielers und man musste sich nicht nur gut in der verwinkelten Höhle auskennen, sondern brauchte auch ausreichend Heiltränke im Inventar, um seine Energieleiste wieder auffüllen zu können. Julius hatte den Schädelwald hinter sich gelassen und stand nun vor dem dampfenden und zischenden Eingang der Grotte.
Er musste schlucken. Ein kurzer Blick auf sein Inventar zeigte, dass er nur zwei Heiltränke mit sich führte. Er könnte leicht in dem kleinen Bootshaus am Kristallsee weiter nördlich noch zwei Tränke finden, der Weg dorthin würde ihn aber wertvolle Zeit kosten. Julius checkte noch mal seine Statusanzeigen im Helm. Ihm fiel auf, dass sich die Energieanzeigen des orangenen und des türkisfarbenen Ritters langsam leerten, während ihre Schatzanzeigen nach oben kletterten. Beide Spieler waren mittlerweile bei über 60 Prozent; mit hoher Wahrscheinlichkeit machten sie sich gerade schon über die Schätze der Inferno-Grotte her.
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