Donatus hielt inne und grinste. Er schien mittlerweile fast so was wie Gefallen an dem Spiel zu finden und Julius wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war.
»Das wären die Regeln im Großen und Ganzen, Herrschaften. Denkt daran, es gewinnt der Gabel-Ritter mit dem größten Schatz am Spielende oder derjenige, der als Einziger übrig bleibt.«
Donatus nahm grummelnd hinter seiner GraveStation4 Platz und auch die willenlosen Besucher setzten sich wie in Trance und erhoben die Game Controller. Julius folgte ihrem Beispiel und wollte gerade das Headset aufsetzen, als Donatus nochmals aufstand und hämisch grinsend in den Raum brüllte: »Ach ja, da wäre noch eine Kleinigkeit. Wir spielen in zwei Teams. Meine ebenso motivierten wie manipulierten Mitspieler und ich … gegen die kleine VampirNervensäge!«
Julius schluckte und kniff die Augen zusammen. »Meister Donatus, ist das nicht ein bisschen unfair? Normalerweise spielt man ForkKnight jeder gegen jeden oder in ausgeglichenen Teams. Aber alle gegen mich?«
Donatus lächelte und sagte leise: »Dein Spiel, meine Regeln. Dachtest du wirklich, du hättest eine Chance?« Damit setzte er sich, nahm den Controller und legte sein Headset an. »Dann los, das Spiel startet gleich. Machen wir den kleinen Gruftschlurchi platt und dann können wir alle wieder diesen wunderbaren Mond-Tag genießen!«
Julius schloss die Augen, als er die vertraute Titelmelodie seines Lieblingsspiels vernahm. Er öffnete die Augen wieder und blickte entschlossen auf den Bildschirm. Ja, es war in der Tat unfair. Der alte Donatus und sechs andere Spieler gegen ihn allein. Doch Donatus hätte lieber noch mehr Besucher verzaubern sollen, damit er eine Chance gegen Julius hatte. Julius lächelte und drückte den Startknopf. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
Auch der alte Donatus lächelte hinter seinem Bildschirm. Leise murmelte er fremdartige Zaubersprüche in seinen Bart hinein und die Bildschirme der Spieler strahlten plötzlich in einem unheimlichen Blau. Er drückte den Startknopf. Das Spiel begann.
Kalter Wind schnitt in Julius’ Gesicht, als er erwachte. Sein Kopf schmerzte leicht und das Brausen des Windes machte es nicht besser. Er lag auf der Seite und alles an ihm fühlte sich irgendwie schwer an. Julius rappelte sich auf und erschrak bis ins Mark. Er saß in einem kleinen Luftschiff und befand sich wohl Hunderte von Metern über dem Erdboden. Zitternd lugte er über die Reling und blickte angestrengt durch die Wolken, die unter ihm dahinzogen. Er konnte eine riesige saftig grüne Landschaft erkennen, die ihm seltsam vertraut vorkam. Das Ziehen in seinem Kopf ließ nach und Julius sammelte seine Gedanken.
»Alles klar bei dir, Kleiner?«
Eine bekannte Stimme dröhnte plötzlich in ihm und er fasste sich verwundert an den Kopf. Doch anstatt seiner Haare fühlte er etwas Kaltes.
Julius tastete vorsichtig weiter und stellte erstaunt fest, dass er einen Helm aufhatte.
»Dachtest du wirklich, du sitzt bequem wie bei dir zu Hause in der Gruft vor deiner Spielkonsole und besiegst mich?«
Es war der alte Donatus, dessen Stimme hämisch in Julius’ Kopf lachte. Auf einmal kam die Erinnerung zurück. Der alte Halunke hatte einen Zauber gewirkt und nun befanden sie sich tatsächlich in dem Spiel ForkKnight. Julius sah an sich hinunter und bemerkte die typische Rüstung des Gabel-Ritters. Sie schimmerte anthrazit mit roten Akzenten. Er fasste nach hinten an seinen Rücken und, ja, festgezurrt in einer ledernen Scheide berührte er das Gabelschwert, die Waffe eines Gabel-Ritters. Ebenso geschockt wie fasziniert blickte sich Julius in dem kleinen Luftschiff um. Es war alles genauso wie im Spiel und Julius konnte neben dem Heulen des Windes den Motor hören, der leise vor sich hin tuckerte und die beiden Propeller antrieb.
»Na dann, du Profi, wir sehen uns unten. Möge der Bessere gewinnen!«
Julius knirschte mit den Zähnen, als er erneut Donatus’ Stimme im Kopf vernahm.
»Kein Headset, ich kann den Kerl nicht mal auf lautlos stellen!«, murmelte er und blickte erneut über den Rand. Er versuchte sich zu orientieren. Das Luftschiff war bereits sehr weit in das Spielgebiet vorgedrungen. Julius erkannte das kleine Waldstück, welches er für gewöhnlich als Startpunkt für eine Runde wählte. Normalerweise wäre Julius schon viel früher abgesprungen und nahe am Wald gelandet. Es hatte jedoch wertvolle Zeit gekostet, sich an die neue Situation zu gewöhnen, und Julius wusste, dass er sich beeilen musste, wenn er das Waldstück noch erreichen wollte. Er stellte einen gepanzerten Fuß an die Öffnung in der Reling und wollte gerade springen, da machte sich ein ziehendes Gefühl in der Magengegend bemerkbar.
»Moment, ich springe gleich aus einem fliegenden Luftschiff und werde dem Boden entgegenrasen. Was mache ich hier eigentlich?«
Julius nahm den Fuß wieder zurück und griff mit beiden Händen an die Reling. Schwindel überkam ihn und er blickte zum Horizont, wo er mehrere Segel anderer Luftschiffe ausmachte. Würde er auch im Spiel seine Vampirflugfähigkeiten besitzen?
»Was ist los, kleiner Beißer? Hast du plötzlich Angst vor deinem eigenen Spiel? Jetzt spring endlich und mach es mir nicht so einfach!«
Julius wünschte sich so sehr sein Headset herbei und schüttelte den behelmten Kopf.
»Ganz ruhig. Es ist alles nur ein Spiel. Es ist DEIN Spiel. Es ist ForkKnight«, murmelte er leise vor sich hin und stieg in die Öffnung. Das Brausen des Windes wurde lauter. Julius schloss die Augen. Er stellte einen Fuß ins Leere und beugte sich langsam nach vorne. Dann stürzte er in die Tiefe.
Der Wind dröhnte ohrenbetäubend in seinem Kopf und schnitt eiskalt in sein Gesicht, während Julius dem Boden entgegenraste. Er war schon durch die Wolken, als ihm plötzlich einfiel, dass sein Helm ja ein Visier hatte. Mit wackeliger Hand zog er es herunter und mit einem Mal stoppte der Schmerz der Kälte und es wurde ruhig. Plötzlich tauchten bekannte Statussymbole in seinem Sichtfeld auf. Julius erkannte die Energieleiste seiner Rüstung, seine Gabelschwert-Anzeige sowie den Prozentsatz seiner Schätze. Eine große Null prangte anklagend hinter dem Münzsymbol und Julius wusste natürlich, was zu tun war.
Sein Magen rebellierte leicht. Dieser Sturz war anders als ein Vampirflug, denn die schwere Rüstung fühlte sich real an. Donatus hatte an alles gedacht. Julius sauste einem Stein gleich der Landschaft entgegen und das mulmige Gefühl in seinem Bauch nahm zu.
»Bremsen … ich muss bremsen!«, blitzte es in Julius auf.
Doch gab es hier weder einen Controller noch eine Taste, die er drücken konnte, um den Fallschirm aus Drachenleder auf dem Rücken zu aktivieren. Der Boden kam immer näher und Julius erkannte sogar schon einzelne Details wie Sträucher oder Steinhaufen. Er bekam Panik. Nur noch wenige Meter, bevor er aufschlagen und in einem riesigen Krater das Spiel verlieren würde, ehe es richtig begonnen hatte.
»Bremsen! JETZT!« Julius schloss vor Angst die Augen und dachte angestrengt an den kleinen Schirm, mit dem die Gabel-Ritter immer dem Boden entgegenglitten. Ein Ruck durchfuhr ihn, er wurde kurz nach oben gerissen und als er die Augen öffnete, merkte er, dass er deutlich langsamer der grünen Landschaft entgegenglitt. Er blickte gen Himmel. Über ihm bauschte sich der Flickenfallschirm aus Drachenleder im Wind und Julius atmete lächelnd auf.
Er lenkte seinen Schirm in eine leichte Kurve und sah nun das Wäldchen vor sich. Mit einem dumpfen Schlag bohrten sich seine gepanzerten Stiefel in den Boden. Es gab ein kaum hörbares Klingeln, als kleine Pixel-Fragmente aufstoben. Er war tatsächlich in dem Spiel ForkKnight.
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