Erin Lenaris - Die Ring Chroniken 1

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Wie schmerzhaft sind Lügen?
Was, wenn du sie fühlen könntest?
Von ihnen umringt wärst?
Die 16-jährige Emony verfügt über eine Gabe: Sie kann Lügen erkennen. Doch diese Fähigkeit bringt sie in Gefahr, als sie ihre Heimat, die
lebensfeindliche Rauring-Wüste, verlässt. Denn es gibt nur eine Möglichkeit, der mörderischen Hitze und dem quälenden Durst zu
entkommen – Emony muss eine Ausbildung bei dem Unternehmen beginnen, das die weltweite Wasserversorgung kontrolliert.
Rasch kommt sie dahinter, dass ihr Arbeitgeber die Wüstenbewohner betrügt. Der einzig ehrliche Mensch scheint ihr Ausbilder Kohen zu sein, für
den sie bald mehr empfindet. Kann sie ihm im Kampf gegen den übermächtigen Gegner vertrauen?
Und sind die Lügen noch viel größer als vermutet?

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Jessica Strang

Stapenhorststraße 15

33615 Bielefeld

www.tagtraeumer-verlag.de

E-Mail: info@tagtraeumer-verlag.de

Text: Erin Lenaris

Lektorat: Mareike Müller

Buchsatz: Laura Nickel

Umschlaggestaltung: Anna Hein

https://anna-fuchsia.de

Bildmaterial: © Shutterstock.com

© Canstockphoto.de

Illustrationen: www.dreamstime.com

ISBN: 978-3-946843-89-4

Alle Rechte vorbehalten

© Tagträumer Verlag 2020

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur CastleGate Agency, Eichenweg 21a, 69198 Schriesheim/ Heidelberg

Erin Lenaris

Die Ring

Chroniken

Begabt

1 Kapitel Wer will schon durstig seinem Schicksal gegenübertreten Ich - фото 2

1. Kapitel

Wer will schon durstig seinem Schicksal gegenübertreten? Ich jedenfalls nicht. Deshalb schüttle ich den erschreckend leichten Wasserkanister noch mal. Kein Schwappen, kein Plätschern, nichts. Ich schraube den Deckel auf. Am Boden glitzert nur eine kleine Pfütze. Zu wenig für meine trockene Kehle, aber genug für mein Chamäleon Emil.

Vorsichtig lasse ich die letzten Tropfen in ein Glas kullern und greife nach der Pipette in dem Schubfach vor mir. Verdammt! Nun bin ich schon wieder an diesem blöden Rauring hängen geblieben. Der treibt mich noch in den Wahnsinn. Früher hat er wenigstens geglänzt, doch mit den Jahren ist der dicke Kupferring trüb und fleckig geworden. Oft habe ich versucht, diese lästige Armfessel loszuwerden – die Kratzer und Kerben darin zeugen davon. Unzählige Quetschungen später habe ich aufgegeben. Das Ding ist schließlich festgeschweißt. Mittlerweile ist es auch viel zu eng. Um die Metallkanten an meinem rechten Handgelenk ist die Haut schon richtig aufgescheuert.

Und zu allem Überfluss blutet es jetzt. Schnell presse ich die Lippen auf die Verletzung und sauge das Blut weg. Emony, schnell, das Wunddesinfektionsspray! Obwohl meine Mutter nicht da ist, hallt mir ihre mahnende Stimme förmlich in den Ohren. Ihr Sauberkeitsfimmel geht mir auf den Geist. Gut, dass sie als Desinfektorin so viele Überstunden macht. Die meiste Arbeit fällt auf der Krankenstation und im Kinderzentrum an, meine Mutter allerdings ist in der ganzen Siedlung unterwegs. Ihrer Ansicht nach muss alles regelmäßig von Keimen befreit werden, da wir mangels Waschmöglichkeiten sonst schnell die Pest am Hals hätten. Oder zumindest die Grippe. Ich halte das für Panikmache, aber ein Gutes hat Mutters Gründlichkeit wenigstens: So habe ich immerhin meine Ruhe. Mein Chamäleon reicht mir als Gesellschaft vollkommen.

Meistens sitzt Emil in seinem würfelförmigen Plexiglas-Terrarium, das ich immer dann mit der Sprühflasche befeuchte, wenn ich etwas Wasser dafür abzweigen kann. Am liebsten hängt er an dem Klettergerüst, für das ich ein Lüftungsgitter zweckentfremdet habe, oder er hockt auf den dürren Pflanzen, die sich unter seinem Gewicht biegen. Nun hat ihn der Hunger herausgetrieben. Er klammert sich an das Abluftrohr über unserer schmalen Küchenzeile und beobachtet mich mit einem Auge. Mit dem anderen fixiert er den Wassertropfen an der Pipette, den ich ihm anbiete. Bevor er herunterfällt, schiebt Emil seine lilafarbene Zunge hervor und fängt ihn auf. Beim Warten auf den nächsten Tropfen wandert sein Blick zu meinem Handgelenk.

Der Rauring juckt höllisch und verschmiert das frische Blut. Heute allerdings könnte meine Chance gekommen sein, mich von dem verhassten Teil zu befreien. Der Register-Chip darin bestimmt uns von der Geburt bis zum Tod – außer WERT „adoptiert“ uns für das Nachwuchsprogramm in den Gaskraftwerken. Dann wird uns der Ring abgenommen, und wir werden neu bestimmt.

Die Firma versorgt uns nicht nur mit Wasser, Energie und revolutionärer Technologie, sondern ermöglicht uns auch ein besseres Leben. In einer halben Stunde erfahre ich, ob ich die Theorieprüfung bestanden und mich für den praktischen Aufnahmetest des WERT-Adoptenprogramms qualifiziert habe. Ich muss es unbedingt schaffen, nicht nur, um den lästigen Ring loszuwerden.

Mein Blick schweift über unseren kleinen Wohnraum, die rauen Betonwände mit den Schmirgelspuren, die beim Entfernen meiner Kinderkritzeleien entstanden sind, die unzerstörbaren Möbel aus graugrünem Plastik und das abgewetzte Sofa mit der Delle an meinem Lieblingsplatz. Ich horche auf das leise Surren der Leuchtstoffröhren, die wir zum Stromsparen gedimmt haben, höre dem rhythmischen Tropfen des Recyclingwassers zu, dem vertrauten Gluckern in den Rohrbögen, den dumpfen Vibrationen im Inneren des Lüftungssystems. Eigentlich lebt es sich hier unten ganz passabel, mal davon abgesehen, dass unsere Wohneinheiten wie Waben in einem Bienenstock aneinandergequetscht sind. Doch besser neugierige Nachbarn im Untergrund als die Gluthitze in der Staubwüste da oben. Das Problem ist, dass wir die Miete nicht mehr lange zahlen können. Es sei denn, ich werde Adoptin.

Emils vorwurfsvoller Blick holt mich aus meinen Gedanken. Rasch nehme ich ein Einmachglas vom Regal und begebe mich nebenan in Mutters Hydrokulturanlage auf Nachtkäfersuche. Dort herrscht penibelste Ordnung. Jede der akkurat aufgereihten und einzeln beleuchteten Pflanzen erhält die passende Bewässerung, die aus halbtransparenten Plastikschläuchen an ihre Wurzeln tropft. Plop-plop-plop – bei den Tomaten tropft es langsam. Plopplopplop, bei den Gurken schneller. Summende Kühlaggregate gewinnen die verdunstete Feuchtigkeit in Trinkqualität zurück.

Beim Anblick der kleinen, leuchtend roten Paprika läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wenn man reinbeißt, explodiert der Geschmack förmlich auf der Zunge. Doch seitdem das Geld so knapp ist, müssen wir unsere Ernte verkaufen und kriegen selbst nur synthetischen Fraß auf den Tisch. Der farblose Bohnenbrei klebt am Gaumen wie Schleim und schmeckt selbst mit viel Süßstoff noch unerträglich. Wir löffeln ihn aus bräunlichen Esspapier-Schalen, die uns angeblich mit Kohlenhydraten und Ballaststoffen versorgen. Sie sehen nicht nur aus wie Recyclingkarton, sie schmecken auch genauso – aber Geschirrspülen wäre unbezahlbar.

Emil rollt mit seinen Kugelaugen, als ich mit meiner Beute in unser Wohnzimmer zurückkehre. Na endlich, scheint er zu sagen. Ich hole den ersten Käfer aus dem Glas. Mit seinen schwirrenden Flügeln und hilflos rudernden Beinen ist er genau das richtige Ziel für Emils lange Zunge, die mir den fetten Happen mit einem schmatzenden Geräusch aus der Hand pflückt. Es knirscht zweimal, und das Insekt ist zerkaut, bevor es ein weiteres Mal zappeln kann. Beim nächsten Mal passiert alles noch schneller. Nach der dritten Lieferung klettert Emil in sein Terrarium auf dem Beistelltisch neben der Küchenzeile zurück, kringelt sich dort zusammen und schließt müde erst ein Auge, dann das andere. Nun bin ich wieder allein. Ich würde auch gerne weiterschlafen wie er. Daran ist allerdings nicht zu denken. Mir graut es vor der Verkündung der Testergebnisse.

Ob das Äußere bei WERT eine Rolle spielt? Große, unsichere Augen starren mich aus der spiegelnden Scheibe unseres Zimmermonitors an. „Zu blass“, meint der Doktor bei jeder Jahresuntersuchung. Fahle Haut, stellenweise gerötet, Abschuppungen, steht in meinem Gesundheitspass. Als würde man das nicht auf den ersten Blick erkennen.

Da kein Wasser für die Morgenwäsche da ist, gehe ich noch mal in die Hydrokulturanlage und befeuchte einen Waschlappen mit Kondenswasser. Damit tupfe ich die rauen Stellen an meinen Schultern und Armen ab, einmal und schließlich ein zweites Mal, weil es so guttut. Meine dünnen und glanzlosen Haare hätten schon längst gewaschen werden müssen, allerdings muss erneut eine Katzenwäsche reichen. Mir fällt das luxuriöse Geschenk zu meinem fünfzehnten Geburtstag ein – ein Bad in einem Bottich mit Frischwasser, nur für mich! Vorsichtig stieg ich hinein. Das kühle Nass streichelte meine Haut überall gleichzeitig. Ich tauchte unter, wollte nie mehr hochkommen, hatte jedoch keine andere Wahl, prustete und schaute in das lachende Gesicht meines Vaters.

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