Mark Twain
Die Tagebücher von Adam und Eva
Aus dem amerikanischen Englisch von Hans-Christian Oeser
Reclam
Titel der Originalausgabe: Extracts from Adam’s Diary. Translated from the Original MS. Illustrated by F. Strothmann. Harper & Brothers Publishers, New York and London MCMIV. / Eve’s Diary. Translated from the Original MS. Illustrated by Lester Ralph. Harper & Brothers Publishers, New York and London MCMVI.
2020 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: it’s me design marielle enders
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961766-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019688-5
www.reclam.de
[Editorische Notiz: Vor etlichen Jahren übersetzte ich einen Teil dieses Tagebuchs, und ein Freund von mir druckte einige Exemplare in unvollständiger Form, doch sind sie nie an die Öffentlichkeit gelangt. Seitdem habe ich ein paar mehr von Adams Hieroglyphen entziffert und denke, dass er als Person des öffentlichen Lebens inzwischen von hinreichender Bedeutung ist, um diese Publikation zu rechtfertigen. – M. T.]
Auszüge aus Adams Tagebuch
Nach dem Originalmanuskript übersetzt
Das neue Geschöpf mit den langen Haaren ist mir ziemlich im Weg. Dauernd lungert es hier herum und folgt mir überallhin. Ich mag das nicht; ich bin Gesellschaft nicht gewohnt. Ich wünschte, es würde bei den anderen Tieren bleiben … Heute bewölkt, Wind von Osten; ich denke, wir bekommen Regen … Wir? Wo habe ich denn dieses Wort her? … Jetzt fällt es mir wieder ein – das neue Geschöpf verwendet es.
Habe den großen Wasserfall untersucht. Der ist das Schönste auf dem Anwesen, finde ich. Das neue Geschöpf nennt ihn die »Niagarafälle« – wieso, weiß ich nun wirklich nicht. Sagt, er sehe aus wie die Niagarafälle. Das ist doch kein Grund; einfach nur Eigensinn und Unverstand. Für mich bleibt gar nichts mehr zu benennen übrig. Das neue Geschöpf gibt allem, was daherkommt, einen Namen, ehe ich Protest einlegen kann. Und immer mit derselben Ausrede – es sehe aus wie dies und jenes Ding. Da ist zum Beispiel der Dodo. Sagt, wenn man ihn nur anguckt, erkennt man auf den ersten Blick, dass er »aussieht wie ein Dodo«. Er wird diesen Namen behalten müssen, keine Frage. Ich bin es leid, mich deswegen aufzuregen, und nützen tut es sowieso nichts. Dodo! Er sieht auch nicht mehr wie ein Dodo aus als ich.
Habe mir einen Unterschlupf gegen den Regen gebaut, konnte ihn aber nicht in Frieden für mich behalten. Das neue Geschöpf hat sich darin breitgemacht. Als ich es hinauswerfen wollte, hat es aus den Löchern, mit welchen es sieht, Wasser vergossen, es mit dem Rücken seiner Pfoten abgewischt und dabei ein Geräusch gemacht wie einige der anderen Tiere, wenn sie in Not sind. Ich wünschte, es würde nicht reden; es redet in einem fort. Das hört sich nach einer billigen Spitze gegen das arme Geschöpf an, einer Schmähung; aber so ist es nicht gemeint. Ich hatte die menschliche Stimme ja noch nie vernommen, und jeder neue und fremdartige Laut, der in die feierliche Stille dieser verträumten Abgeschiedenheit dringt, beleidigt mein Ohr und klingt wie ein falscher Ton. Und dieser neue Laut ist so nah; ganz dicht an meiner Schulter, ganz dicht an meinem Ohr, erst auf der einen Seite, dann auf der anderen, dabei bin ich doch nur Laute aus mehr oder weniger großer Entfernung gewohnt.
Die Benennerei geht unbekümmert weiter, ich kann tun, was ich will. Ich hatte einen sehr guten Namen für das Anwesen, der war hübsch und klangvoll – GARTEN EDEN. Privat nenne ich ihn auch weiter so, aber nicht mehr in der Öffentlichkeit. Das neue Geschöpf sagt, er bestehe nur aus Wäldern, Felsen und Landschaft und habe daher keinerlei Ähnlichkeit mit einem Garten. Sagt, er sehe aus wie ein Park, und zwar nur wie ein Park. Folglich wurde er, ohne dass man mich gefragt hätte, in NIAGARA FALLS STATE PARK umbenannt. Ganz schön selbstherrlich für meinen Geschmack. Und schon steht hier ein Schild:
Mein Leben ist nicht mehr so glücklich, wie es einmal war.
Das neue Geschöpf isst zu viel Obst. Wahrscheinlich haben wir bald keins mehr. Schon wieder wir – das ist sein Wort, jetzt allerdings auch meines, nachdem ich es so oft gehört habe. Dichter Nebel heute Morgen. Ich selbst gehe bei Nebel nicht raus. Das neue Geschöpf schon. Es geht bei jedem Wetter raus und kommt mit schlammbedeckten Füßen wieder hereingestapft. Und redet. Früher war es hier so angenehm ruhig.
Überstanden. Dieser Tag wird immer anstrengender. Vergangenen November war er als Ruhetag gesegnet und geheiligt worden. Dabei hatte ich vorher schon jede Woche sechs davon. Heute Morgen das neue Geschöpf dabei ertappt, wie es versuchte, mit Erdklumpen Äpfel von dem verbotenen Baum runterzuholen.
Das neue Geschöpf sagt, sein Name ist Eva. Geht in Ordnung, nichts dagegen. Sagt, ich soll es beim Namen rufen, wenn ich will, dass es kommt. Ich: Dann sei er ja wohl überflüssig. Mit diesem Wort bin ich offensichtlich in seiner Achtung gestiegen; und in der Tat ist es ein großes, vortreffliches Wort, das es verdient, wiederholt zu werden. Es sagt, es ist kein Es, es ist eine Sie. Das ist wahrscheinlich fragwürdig; aber mir ist alles eins; was sie ist, wäre mir egal, wenn sie nur fortgehen würde und nicht reden.
Das gesamte Anwesen hat sie mit abscheulichen Namen und ärgerlichen Schildern übersät:
→HIER ENTLANG ZUM WASSERSTRUDEL
→HIER ENTLANG ZUR ZIEGENINSEL
→ZUR HÖHLE DER WINDE HIER ENTLANG
Sie sagt, aus dem Park ließe sich eine hübsche Sommerfrische machen, wenn es Kundschaft dafür gäbe. »Sommerfrische« – wieder so eine Erfindung von ihr – nichts als Schall und Rauch, ohne jeden Sinn. Was ist eine Sommerfrische? Aber am besten fragt man sie nicht, sie hat einen solchen Erklärungsdrang.
Seit neuestem fleht sie mich an, mich nicht mehr den Wasserfall hinabzustürzen. Welchen Schaden soll das anrichten? Sagt, es macht sie schaudern. Ich frage mich, wieso. Das habe ich doch schon immer getan – ich liebe Kopfsprünge, den Kitzel und die Kühle. Ich dachte, dazu seien Wasserfälle da. Einen anderen Nutzen vermag ich nicht zu erkennen, und zu etwas müssen sie doch gut sein. Sie sagt, sie seien nur zum Anschauen da – wie das Nashorn und das Mammut.
Da habe ich mich in einem Fass hinabgestürzt – auch das hat sie nicht zufriedengestellt. Mich in einem Zuber hinabgestürzt – immer noch nicht zufriedengestellt. Den Wasserstrudel und die Stromschnellen im Feigenblattanzug durchschwommen. Er wurde stark beschädigt. Deshalb langatmige Vorhaltungen wegen meiner Verschwendungssucht. Ich werde hier zu oft behindert. Ich brauche eine Luftveränderung.
Читать дальше