Interessant ist, dass die wiederholte Lenkung der Aufmerksamkeit während der Meditation die entsprechenden Hirnareale vergleichbar einem Muskel trainiert. Der anteriore cinguläre Cortex (ACC), der für die exekutive Aufmerksamkeit zuständig ist, wird durch Meditation in Funktion und Struktur gestärkt, es wird sowohl die weisse Substanz verändert als auch eine «zunehmende Konnektivität mit anderen Regionen» festgestellt (Tang & Posner, 2012).
Und so werden die Vermutungen vergangener Jahrhunderte zu neuronalen Fakten. «Es ist der Geist, der sich den Körper baut», schrieb Friedrich Schiller einst im «Wallenstein». Zug um Zug erkennt die Neurowissenschaft, wie richtig der Dichter − und examinierte Arzt − damit lag: «Die Seele kann den Leib verändern» (Blech, 2013).
Nach all diesen Studien nun die Aussage einer Studentin, die aus ihrem Erleben heraus Wirkungen schildert und davon inspiriert einen Appell an das gesamte Bildungswesen richtet:
«Ich persönlich habe während des Seminars Achtsamkeit kennengelernt als einen Weg, zu sich selbst zurückzukehren, einen Schritt zurückzutreten aus der beschleunigten, komplexen Alltagswelt und das Wesentliche wieder im Blick zu haben. (…) Während meiner gesamten Schullaufbahn kam das Thema ‹Achtsamkeit› nie zur Sprache und auch der Umgang mit eigenen Gefühlen und Gedanken wurde sehr selten thematisiert. Letztendlich wusste ich (…) nicht, was ich gegen Ängste und Stress tun könnte, und habe mich diesen Empfindungen gegenüber ebenfalls eher ausgeliefert gefühlt. Das Seminar hat mich dazu gebracht, viele Prozesse (z. B. eigene Bewertungssysteme) genauer zu untersuchen und mir Praktiken anzueignen, die mich vielleicht ein Leben lang begleiten können.
Besonders für Schüler und Schülerinnen im heutigen, stark selektierenden Schulsystem halte ich es für enorm wichtig, mit Stress und den eigenen Ängsten umgehen zu können. Meiner Meinung nach sollte das Thema unbedingt schon früher und am besten an alle Menschen herangetragen werden, unter anderem zur Vorbeugung von psychischen Erkrankungen und zur Stärkung des Selbstkonzepts und vor allem der Selbstwirksamkeitsüberzeugung, die ich für eine der wichtigsten Ressourcen, zunächst für die Motivation und für das Lernen allgemein, halte. Somit sollte es meiner Meinung nach als Aufgabe jeder Schule betrachtet werden, alle Schüler, wenn nicht alle Beteiligten am Bildungsprozess, auf dem Gebiet der Achtsamkeit auszubilden.»
Das grosse Interesse und der Zustrom zu der ersten nationalen Tagung «Achtsamkeit in Schule» in Luzern machen deutlich, dass viele Lehrerinnen und Lehrer ein Umdenken im Bildungssystem für wichtig erachten, damit durch mehr Musse, Gelassenheit und fokussierte Aufmerksamkeit Schule ein Ort des Wohlbefindens wird, in dem Leben und Lernen sich nicht ausschliessen, sondern verbinden.
Achtsamkeit kann einen Beitrag dazu leisten.
«Achtsamkeit ist also ein ganz einfacher Weg, der heute so viel praktizierten, weit verbreiteten Ellenbogengesellschaft entgegenzutreten und dazu einzuladen, zu ermutigen und vorzuleben, wie viel schöner und glücklicher ein Leben ist, in dem man sich gegenseitig Beachtung und Zuneigung schenkt» (Student, Portfolio in Krämer 2019, S. 135).
Literatur
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