Wie bei den Lehrpersonenprogrammen liegt oft ebenfalls ein Schwerpunkt auf der Entwicklung von Empathie und Mitgefühl zur Stärkung des Einzelnen und des sozialen Klassengefüges. Hinzu kommen die Elemente der Bearbeitung von schwierigen Emotionen und der achtsamen Kommunikation. Äquivalent zu Phase 3, der «Vermittlung nach aussen», wird häufig der Einbezug der Schülerinnen und Schüler in die Anleitung der Übungen gefördert. In manchen Programmen wird ein «achtsames Projekt» initiiert, das in individueller Form (z. B. Dankesbriefe an die Eltern, Freunde) wie auch als gemeinsames Umwelt- oder Sozialprojekt das Ziel hat, die Qualitäten von Achtsamkeit (Mitgefühl, Verbundenheit, Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln) nach aussen zu tragen.
Was die Programme unterscheidet, ist weniger der Inhalt, sondern sind die Metaphern und Wege der Vermittlung. In diesem Sinn ist es ganz entscheidend, dass LehrerInnen den zu ihnen passenden, authentischen Ausdruck finden. Es gibt bereits Grundschulprogramme, die Kindern in einfachen Worten die neurologischen Hintergründe vermitteln, so z. B., wenn Vera Kaltwasser (2016, S. 98) die Limba-Kinder Angsti, Haui, Lusti, Miesi und Freudi als Verdeutlichung des limbischen Systems erfindet. Andere fühlen sich eher von der Weisheit und dem spielerischen Aspekt der Handschildkröte «Polly Ananda» angezogen, die den Kindern ein Identifikationsobjekt gibt. Eline Snel (2013) sucht den Zugang über Geschichten, die die Lebensrealitäten der Schülerinnen und Schüler widerspiegeln, und arbeitet mit Bildern wie «stillsitzen wie ein Frosch» oder die «Grübelfabrik». Daniel Rechtschaffen (2016) legt den Hauptschwerpunkt auf die Reflexion der Übungen durch die Schülerinnen und Schüler und Helle Jensen eröffnet den Zugang über intensive Körperübungen.
Schon in dieser Aufzählung findet sich die Vielfalt der Programme wieder, hier in einer Auswahl präsentiert:
Achtsamkeit für Schülerinnen und Schüler |
Land/Jahr |
AutorInnen |
Inner Kids Programme |
USA/2001 |
Susan Kaiser Greenland |
Still Quiet Place |
USA/2002 |
Amy Saltzman |
MindUP! |
USA/2004 |
Goldie Hawn (Sponsor) |
Mindful schools |
USA/2007 |
Megan Cowan |
Learning to BREATHE |
USA/2008 |
Patricia Broderick |
Mind the Music |
USA/2010 |
Soryu Forall |
Mindfulness in Schools Project/ .b |
GB/2008 |
Richard Burnett, Chriss Cullen |
Aandacht werkt! («Aufmerksamkeit hilft»)/ Stillsitzen wie ein Frosch |
NL/2010 |
Eline Snel |
AiSchu |
D/2008 |
Vera Kaltwasser |
Happy Panda Project |
D/2011 |
Cecile Kayla |
Polly Ananda. Die weise Schildkröte |
D/2014 |
Nanine Schulz |
Hellwach und ganz bei sich |
DK/2014 |
Helle Jensen |
Achtsamkeit macht Schule |
AT/2016 |
Frank Zechner |
Achtsamkeit und Mitgefühl in der Schule |
AT/2016 |
Dominik Weghaupt |
Wache Schule |
D/2018 |
Susanne Krämer |
… und viele Initiativen und Projekte einzelner Lehrerinnen und Lehrer |
Tabelle 2: Achtsamkeitsprogramme für Schülerinnen und Schüler
Mittlerweile liegen zahlreiche Studien vor, wie Achtsamkeitsprogramme bei Schülerinnen und Schülern wirken.
Zunächst einige der wichtigsten Ergebnisse, um einen Überblick zu geben:
Wirkungen im physiologisch-medizinischen Bereich:
weniger Schlafstörungen (Bootzin & Stevens, 2005)
weniger ADHS-Symptome (Zylowska et al., 2008)
reduzierte Symptome von Angst, Depression und somatischem Stress bei Zunahme von Selbstwert und verbessertem Schlaf (Biegel et al., 2009)
Resilienz nimmt zu (Zenner et al., 2014)
Zunahme von Selbst-Mitgefühl, Selbstsorge (Neff & Dahm, 2015)
Wahrnehmung von eigenen kognitiven und physiologischen Zuständen, Regulationsfähigkeit verbessert sich (Mendelson et al., 2010)
Zunahme von Wohlbefinden und persönliche Entwicklung (Lau & Hue, 2011)
Diese Daten werden in Schüleraussagen, hier eine Oberstufenschülerin aus der Achtsamkeits-AG des Friedrich-Ebert-Gymnasiums in Berlin, so formuliert: «Was mir direkt dazu einfällt, dass Achtsamkeit die Lebensqualität für mich in vielen Hinsichten ungemein steigert. Weil du dir selbst einfach so viel bewusster wirst, sowohl über die guten Dinge als auch über die schlechten. Aber mit den Schlechten lernst du dann besser umzugehen und die Guten mehr zu gewichten. Das hilft mir, in die Mitte zu kommen und den Fokus zu finden, mich mehr auf die positiven Dinge zu konzentrieren und dabei das Schlechte zu sehen und auch nicht zu verdrängen. Das gibt mir so viel an – wie gesagt – Lebensqualität und das ist ein sehr starkes Wort für mich. Aber ich meine das auch so, das verbessert wirklich viel.» (in Krämer, 2019, S. 36)
Aufbau sozialer Kompetenzen:
verbessert soziale Kompetenz (Saltzman & Goldin, 2008)
interkulturelle Kompetenzen und Bewusstheit für selbst und andere steigen (Wall, 2005)
eigene Emotionen können erlebt, ausdrückt und ertragen werden (Biegel et al., 2009, Semple et al., 2010)
weniger Aggressivität (Singh et al., 2007) und grössere Impulskontrolle (Van Der Weijer-Bergsma et al., 2012, Van Der Oord et al., 2012)
Die Veränderung der Emotionsregulation wird von den Schülerinnen und Schülern sehr bewusst wahrgenommen. Ein weiterer Schüler der Achtsamkeits-AG (Friedrich-Ebert-Gymnasium, Berlin) berichtet: «Es hat ganz viel mit der Atmosphäre in der Klasse gemacht. Selbst wenn sich nicht alle darauf einlassen und lachen und alles kaputt machen. Aber wenn man selbst dabeibleibt, habe ich immer wieder gemerkt, dass es einem hilft, auch damit umzugehen. Also auch wenn nicht die ganze Klasse dann ruhiger war, war ich für mich ruhiger und konnte so viel gelassener, klarer und konzentrierter am Unterricht teilnehmen» (in Krämer, 2019, S. 193).
Verbesserung kognitiver Fähigkeiten:
Ein für den schulischen Kontext entscheidender Faktor stellt die Verbesserung der Aufmerksamkeit dar. Die Stärkung der Aufmerksamkeit durch veränderte Hirnstrukturen, welche bei Erwachsenen nachgewiesen ist (Hölzel et al., 2007), konnte bei Kinder und Jugendlichen bestätigt werden. Starke Prädikatoren für den Schulerfolg sind insbesondere die selektive Aufmerksamkeit, einhergehend mit einer Zunahme der Kreativität, der kognitiven Flexibilität und der Merkfähigkeit im Hinblick auf den Unterrichtsstoff (Napoli et al., 2005), die Stärkung des Arbeitsgedächnisses und der Konzentration, des logischen Denkens, von geistiger Flexibilität und Problemlösefähigkeit sowie Verbesserung der Planung und Durchführung kognitiver Prozesse (Flook et al., 2010).
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