Almut Schnerring
Überzeugend und sicher präsentieren
Praktische Rhetorik für Schule und Studium. Kompaktwissen XL
Reclam
Kompaktwissen XL | Nr. 15241
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH,
Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH,
Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961556-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015241-6
www.reclam.de
Abliefern. Gut rüberkommen. Authentisch sein. In den letzten Jahren haben Castingshows und Laufsteg-Serien die Regeln für den richtigen Auftritt maßgeblich beeinflusst. Sie vergeben Punkte fürs Aussehen, verschenken Autos für den schönsten Klang und versprechen Verträge für alle jene, von denen die Jury sagt: »Du kommst einfach super rüber!«. Bei diesen Kriterien bleiben die Inhalte gern mal außen vor, die Botschaft aber ist immer dieselbe: »Sei ganz du selbst! Aber vergiss dabei nicht unsere Bedingungen!« Und die Liste dieser Bedingungen, die Fülle an Normen und Forderungen, ist so lang wie unerfüllbar. Am Ende wird das ›Selbst‹, das doch ganz bei sich bleiben soll, in jedem Fall Schwierigkeiten haben, sich wiederzuerkennen. Ob The Voice , Next Topmodel oder X Factor ‚ ob YouTube, Musical.ly oder Insta, sie alle fordern den perfekten Auftritt, und tricksen doch hinter den Kulissen. Sie schaffen eine Norm, die nur mit Hilfe von Photoshop, Vocoder und Personal Coach zu erreichen ist, falls überhaupt. Mit der »Bleib authentisch!«-Forderung jedenfalls ist sie nicht vereinbar.
Nun ist ein Referat kein Schönheitswettbewerb, der Hörsaal ist nicht YouTube, das Textverarbeitungsprogramm hat keinen ›Verbessern‹-Button und das nächste Referat muss ohne Personal Coach fertigwerden. Obwohl klar ist, dass es sich im Zusammenhang hier um verschiedene Bühnen handelt und es im Zusammenhang von Schule und Studium um einen anderen Gewinn geht, stehen die Anforderungen und Normen rund um den authentischen Auftritt trotzdem wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Das heißt, die Erwartungen an den eigenen Vortrag und seine Wirkung auf das Publikum sind oft unrealistisch und überhöht, was schnell zu Enttäuschung und Unsicherheit führen kann. Seit Lernplakate und erste kleine Präsentationen schon zu den Aufgaben für Grundschulkinder gehören, ist es immer schwieriger geworden, sich ›einfach so‹ vor eine Gruppe zu stellen. »Wie hat mein Sohn performt?« – was nach schlechtem Drehbuchtext klingt, ist tatsächlich eine Frage, die auf Elternabenden gestellt wird!
In der weiterführenden Schule und durchs ganze Studium hindurch spielen Vorträge und Referate eine zunehmend wichtige Rolle. Inhalte vor Gruppen präsentieren zu können, gilt als Schlüsselkompetenz für den späteren beruflichen Erfolg und soll deshalb möglichst früh trainiert werden. Trotzdem sind Rhetorik und Präsentation keine Unterrichtsfächer. Dabei ist es für die wenigsten eine durchweg angenehme Situation, einen Vortrag oder ein Referat zu halten. Dass die Dos und Don’ts rund um Gliederung, Gestik, Blickkontakt kein Geheimwissen sind, macht es nicht einfacher, diese Aspekte richtig umzusetzen. Im Gegenteil, oft ist der Druck ›abzuliefern‹ so hoch, dass sich manche in der Fülle der Informationen verlieren, anstatt sich Schritt für Schritt dem Thema und seiner Präsentation anzunähern. Manche ziehen es vor, den Auftrag irgendwie – Hauptsache schnell! – hinter sich zu bringen, halten ihre Referate in einem Nebel und beginnen erst zurück an ihrem Platz zum ersten Mal wieder zu atmen.
Dazu kommt die Sorge, durch ein Redetraining nicht mehr authentisch zu sein, das eigene Wirken durch zu viel Übung zu manipulieren und damit falsch und aufgesetzt rüberzukommen. Nicht beim Sport, nicht in der Kunst, nicht in der Wissenschaft – in keinem anderen Fachgebiet käme jemand auf die Idee, dass Dazulernen und Sich-Entwickeln eine Gefahr, ein Nachteil sein könnten. Das Ziel der Rhetorik in ihrem antiken Verständnis ist ja nicht, die ungeübte Rednerin in eine Heuchlerin zu verwandeln oder aus einem Vortrag eine Theaterinszenierung zu machen. Durch Übung und mit rhetorischem Handwerkszeug eine überzeugendere Sprechweise und eine neue Redetechnik zu erlernen, heißt ja nicht, einfach Effekte, Hacks und Tricks anzuwenden, sondern bedeutet vor allem, sie sich ›zu eigen‹ zu machen, sie sich zu erarbeiten, bis sie verinnerlicht sind und zur Person gehören. Und wie kann etwas, das mir und zu mir gehört, nicht authentisch sein?
Dieses Buch soll Schüler*innen und Studierenden helfen, individuelle Antworten auf diese Herausforderungen zu finden, so dass der nächste Vortrag nicht nur zur Pflicht wird, sondern auch eine positive Herausforderung werden kann. Schließlich kann ein Auftritt, wenn er gut vorbereitet ist und das Publikum erreicht, Spaß machen und ein tolles Erlebnis sein. Authentisch wird er damit dann fast von alleine.
Zur inkludierenden Schreibweise
De oratore lautet eine der grundlegenden Schriften über die Rhetorik und wird mit ›Über den Redner‹ ins Deutsche übersetzt. Das entspricht sicher dem, was der römische Rhetoriker Cicero aussagen wollte, denn Frauen waren nicht »mitgemeint« in dieser Form des generischen Maskulinums. Die Rhetorik galt lange als männliche Disziplin, die Reden von Frauen, die in der Antike öffentlich sprachen, wurden nicht überliefert.
Auch danach hatten Frauen jahrhundertelang keinen Zugang zu rhetorischer Bildung. Doch dieses Buch handelt vom Präsentieren und Überzeugen und richtet sich an alle, die sich dafür interessieren, unabhängig vom Geschlecht. Es verzichtet deshalb auf das generische Maskulinum und versucht, die meisten Stellen mit dem Gender*stern zu lösen. Um Sternhäufungen zu vermeiden, wird aber darauf verzichtet, beispielsweise über »den*die Redner*in« zu schreiben, »der*die sein*ihr Anliegen« möglichst einfach vermitteln möchte. Außerdem wird in Sätzen, die ein konkretes Beispiel anschaulich machen, entweder das generische Femininum verwendet oder die männliche und weibliche Form abgewechselt. Und zuletzt macht die Verwendung des Partizips »Der Redende« bzw. »die*der Vortragende« bewusst, dass damit etwas anderes ausgedrückt wird, als mit »Der Redner«. Da es die rundum passende Lösung (noch?) nicht gibt, wollen wir lieber mit einem Kompromiss für die Problematik sensibilisieren, anstatt alte Muster zu bemühen, durch die letztlich antike Rollenbilder reproduziert werden.
2 Der Anfang vor dem Anfang
Aaalso … räusper …! Noch haben wir ja gar nicht angefangen. Hier ist noch der Moment ohne konkrete Bilder, ohne klare Vorstellung von dem, was kommen wird. Eher grau als bunt, eher verschwommen als scharf. Viel Nebel, wenig klare Gedanken. Aber vielleicht weißt du schon, wie der Raum aussehen wird, in dem du sprechen wirst, und hast schon einen Termin? Kennst du dein Publikum? Dann stehen zumindest schon einige Zutaten fest. Dem Rest nähern wir uns gemeinsam Schritt für Schritt, so dass sich der Nebel ganz von alleine lichten wird.
Worum soll es überhaupt in der Präsentation, in der Rede oder dem Vortrag gehen? Steht das Thema schon? Darfst du aus einem bestimmten Themenbereich selbst wählen, hast vielleicht sogar die Gelegenheit, zu deinem Lieblingsthema zu sprechen? Falls du noch vor dem großen Berg der Möglichkeiten stehst und nicht weißt, wofür du dich entscheiden sollst, hier ein paar erste Fragen, die du dir stellen kannst, um dir die Qual der Wahl zu erleichtern:
Infobox:Das Thema frei wählen
Was könnte das Publikum interessieren? Wenn schon feststeht, wer zuhören wird: Womit könnte man genau diese Gruppe gut unterhalten und zugleich informieren?
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