Elke G. Montanari / Argyro Panagiotopoulou
Mehrsprachigkeit und Bildung in Kitas und Schulen
UVK Verlag München
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ePub-ISBN 978-3-8463-5140-6
Mit diesem Buch wenden wir uns an Dozierende und Studierende in den Einführungsveranstaltungen in der Frühen Bildung und im Studium mit dem Abschlussziel Lehramtsoption. Das Ziel ist es, angehende pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte für Mehrsprachigkeit und Translingualität zu sensibilisieren, wichtige Grundlagen und relevante Forschungsergebnisse transparent zu machen und die Verzahnung von Linguistik, Pädagogik und Didaktik aufzuzeigen.
Aus der Entwicklung Europas zu einer der weltweit bedeutenden Zielregionen internationaler Migration resultieren laut Michael Bommes „kulturelle Pluralisierung und Mehrsprachigkeit, auf die die europäischen Staaten nicht mehr in der Weise reagieren, dass sie diese für ein Übergangsphänomen halten, das durch forcierte kulturelle und sprachliche Assimilation aufgehoben werden kann“ (Bommes 2011:149). Der Erwerb der „Schrift- und Verkehrssprache[n]“ heutiger Mehrheitsgesellschaften wird zwar nach wie vor als notwendige Voraussetzung „für soziale Teilnahmekompetenz“ angesehen, aber dies geschieht „im Kontext einer im Übrigen sozial weitgehend freigegebenen Mehrsprachigkeit“: Angestrebt wird damit Inklusion „und nicht kulturelle Homogenisierung“ (ebd.). Aus diesen Gründen rechnen heute Einrichtungen frühkindlicher und schulischer Erziehung und Bildung in den meisten europäischen Ländern einerseits mit einer mehrsprachigen Klientel, mit Eltern und Kindern, die ein vielfältiges Sprachenrepertoire mitbringen, unabhängig davon, ob und unter welchen Umständen und wie genau sie die sogenannten nationalen Sprachen verwenden.
Andererseits und obwohl „keine gewaltsamen nationalstaatlich kulturellen Homogenisierungsprogramme mehr zur Herstellung einer nationalen Gemeinschaft“ umgesetzt werden, „wie dies noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall war“ (ebd.), wird auch in Bildungseinrichtungen die mehrsprachige familiale Alltagspraxis von jungen Kindern, Schülerinnen und Schülern heute oft noch als Abweichung von einer monolingualen Norm betrachtet. Die Förderung von Mehrsprachigkeit ist zwar ein explizites sprachenpolitisches Ziel der Europäischen Union, die national verfassten Bildungssysteme und so auch die deutsche Bildungspolitik haben aber bis heute – beispielsweise in curricularer Perspektive – weder in Bildungsempfehlungen für Kindertageseinrichtungen, noch in schulischen Lehrplänen auf diese Realität adäquat reagiert.
So wird in aktuellen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz ein geeigneter Umgang mit kultureller und sprachlicher Vielfalt in Kindertageseinrichtungen und Schulen hauptsächlich in der Würdigung der Herkunftssprachen gesehen, während aber – insbesondere migrationsbedingte – Mehrsprachigkeit nach wie vor außerhalb von Bildungsinstitutionen gelebt bzw. praktiziert werden soll (vgl. KMK 2013). Frühkindliche und schulische Bildungsangebote werden heute in vielen Fällen noch kompensatorisch ausgerichtet, sie zielen eher auf Einsprachigkeit und tradieren damit monolinguale Strategien und Praktiken. Die Förderung eines mehrsprachigen Repertoires bleibt somit meistens eine Angelegenheit der Familien. Gleichzeitig bleibt die Forderung nach Einsprachigkeit in deutschen Kindertageseinrichtungen und Schulen für mehrsprachig lebende Familien und deren Kinder eine große Herausforderung. Darüber hinaus kollidiert diese Forderung mit dem Anspruch, Mehrsprachigkeit von Anfang der Bildungskarriere an zu fördern. Insbesondere für Neuzugewanderte ist diese Sprachenpolitik und -praxis als eine Bildungsbarriere zu betrachten.
Mit unserem Buch möchten wir die Konzepte „Mehrsprachigkeit“ und „Bildung“ systematisch verbinden und dabei den Schwerpunkt auf die (frühe) Kindheit in Kindertageseinrichtungen und in Grundschulen setzen. Wenn alle Kinder in ihren Möglichkeiten als potentielle Mehrsprachige gesehen werden können, dann sind die Unterstützung ihres Sprachenerwerbs und die Förderung einer grundlegenden Bildung von Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit wichtige Aufgabenbereiche der Bildungsinstitutionen. Dieses Buch soll die angehenden pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte darauf vorbereiten, diese Aufgabenbereiche wahrzunehmen und umsetzen zu können.
Wir sehen die beiden Bildungsbereiche Elementar- und Primarbereich als Forschungsfelder und als Praxisfelder unserer Studierenden bzw. der angehenden pädagogischen Fachkräfte und Lehrkräfte eng verknüpft. Unter Berücksichtigung der Sprach- und Lernbiographien von Kindern und Jugendlichen sind die langfristigen Verläufe und die Übergänge von der Familie in die KiTa und von der KiTa in die Grundschule bedeutsam. Jedoch haben wir uns für dieses Buch für eine inhaltliche Aufteilung entschieden, weil wir auf diese Weise die spezifischen Besonderheiten des pädagogischen Alltags in Kitas und Grundschulen in den Mittelpunkt stellen wollen. Dieses Buch ist daher in ein gemeinsam verfasstes einleitendes Kapitel mit dem Titel „Gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Mehrsprachigkeit“ (Abschnitt A.: Montanari & Panagiotopoulou) und in die Abschnitte „Mehrsprachigkeit und Bildung in der KiTa“ (Abschnitt B.: Panagiotopoulou) sowie „Mehrsprachigkeit und Bildung in der Schule“ (Abschnitt C.: Montanari) eingeteilt.
Im 1. Kapitel diskutieren wir zentrale Grundbegriffe. Dabei wird Mehrsprachigkeit auf mehreren Ebenen dargestellt und mit den zentralen Begriffen Heteroglossie und Translanguaging in Verbindung gebracht.
Die Kapitel 2, 3 und 4 behandeln – in Anlehnung an den Translanguaging-Ansatz – grundlegende Themen frühkindlicher Erziehung und Bildung im Zusammenhang mit der Frage nach neuen Konzepten und Methoden zur Mehrsprachigkeitsförderung von Anfang an.
Im 2. Kapitel wird auf den dynamischen Mehrspracherwerb im Kindesalter sowie auf entsprechende Ansätze einer Didaktik der Mehr- und Quersprachigkeit eingegangen. Kapitel 3 widmet sich den frühkindlichen Erfahrungen mit Mehrschriftlichkeit , problematisiert den auf Einsprachigkeit basierenden Terminus Bildungssprache und verweist auf die Bedeutung der Förderung von Pluri- und Multiliteracy im Kontext der KiTa. Bezugnehmend auf den grundlegenden Begriff angehende Mehrsprachigkeit werden im 4. Kapitel Methoden zur Beobachtung und Dokumentation kindlicher Sprachbiographien im KiTa-Alltag und beim Übergang in die Grundschule diskutiert.
Die Kapitel 5, 6 und 7 widmen sich der Thematik Mehrsprachigkeit und Bildung in der Grundschule: Das 5. Kapitel stellt die Diagnose in den Mittelpunkt. Dafür werden zunächst Eigenschaften mehrsprachiger Sprachbeherrschung und mehrsprachigen Handelns geklärt und mehrsprachige sowie einsprachige Modi thematisiert. Das Komplementaritätsprinzip ( Complementarity Principle ) wird ebenfalls dort vorgestellt. Im weiteren Verlauf werden mehrsprachige Diagnostikverfahren diskutiert. Das Kapitel 6 legt den Fokus auf Mehrsprachigkeit im Unterricht und zeigt Unterrichtsmöglichkeiten auf, die Translanguaging und mehrsprachige Unterrichtsdiskurse einbeziehen. Das letzte Kapitel widmet sich der Aneignung von Literalität in mehreren Schriften im Schulalter. Unter anderem wird dort der Multiliterätenansatz in seiner Anwendung in der Grundschule in das Blickfeld genommen.
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