Natascha N. Hoefer - Woanders am Ende der Welt

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Es gibt Geschichten, die lange vergessen sind, doch eines Tages taucht etwas davon wieder auf, eine Spur, ein Indiz. Und man begreift, dass alles noch da war, dicht unter der Oberfläche – all diese alten Geschichten von Liebe und Verrat, Abschied und trotziger Hoffnung …
Am Ende der Welt, auf Crozon, im Westen des Finistère. Hier machen sich die Bretonin Marie und der Deutsche Florian auf die Suche nach Spuren ihrer Familiengeschichten. Jeder auf seiner Seite, als zufällige und an unglücklicher Liebe leidende und zerstrittene Nachbarn. Bis sie entdecken, dass sie auf der Suche nach etwas Ähnlichem sind – und dass sie sich zusammentun müssen.
Ein Roman zum Schmunzeln und zum Berührenlassen.
Ein packender Roman über Liebe in Zeiten des Kriegs und des Friedens.
Ein Roman über die bezaubernde, vielgründige Bretagne.

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NATASCHA N. HOEFER

Woanders – am Ende der Welt

NATASCHA N HOEFER Woanders am Ende der Welt EIN BRETAGNEROMAN - фото 1

NATASCHA N. HOEFER

Woanders – am Ende der Welt

EIN BRETAGNE-ROMAN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar

Autorin und Verlag spenden gemeinsam je verkauftem Buch

1,00 Euro für das Deutsche Pfadfindermuseum in Baunach.

2. verbesserte Auflage, März 2019

© Spurbuchverlag, 96148 Baunach

info@spurbuch.de, www.spurbuch.de

Ausführung:pth-mediaberatung GmbH, Würzburg

Umschlaggestaltung:Sven Grosse

ISBN 978-3-88778-556-7

EISBN 978-3-88778-925-1

Weitere Bücher des Spurbuchverlages finden Sie unter www.spurbuch.de

Für Clelia

Für Jérôme

Inhaltsverzeichnis

1. Neuanfang

2. Verlassen

3. Unterwegs

4. Erste Eindrücke

5. Gute Freunde

6. Folgen des Lambig

7. Verhängnisvolle Begegnungen

8. Von einer Maus und einem Rat

9. In den Seegrotten

10. Am Abgrund

11. Zur Insel, und ihren Mauern des Schweigens

12. Sog der Vergangenheit

13. Nachforschen und nachstochern

14. Streit hier, Streit dort

15. Sabotage

16. Rotschwarzer Granit

17. Fest Noz

18. Im Krankenhaus, am 14. Juli

19. Das Familienfest

20. Ende des Festtags

21. Überraschendes und Besorgniserregendes

22. Der Verdacht

23. Katzensitting

24. Ausflug zu viert

25. Unter der Erde

26. Postume Botschaft

27. Ausflug zu zweit

28. Die Flucht

29. Ins Verderben

30. Die Aussprache

31. Letzte Aufzeichnungen

31. Am wilden Wasser

32. Vermasselt

32. Qui voit Sein

33. In Aufruhr

34. Ar Guéveur

35. Kammerspiel

36. Einst

37. Bekenntnis eines alten Kriegers

38. Überraschung

39. Rückkehr des Tagebuches

40. Festival du Bout du Monde

41. Das alte Haus der Cadious

42. Ein neuer Tag

43. Behutsame Begegnungen

44. Das große Familienfest

45. Der Tag danach

46. Abschied

Mein herzlicher Dank gilt

1. Neuanfang

Marie stand auf, sah sich in ihrem Behandlungsraum noch einmal um. Sie hatte aufgeräumt, mit persönlichen Dingen den Raum ohnehin nie überfrachtet. Undenkbar, jetzt einfach hier fortzugehen, schoss es ihr durch den Kopf! Und prompt musste sie an ihre Patienten denken – Noirot, der scheue Kater, der sich nur von ihr berühren ließ … Der alte Milou, der immer knochiger wurde, immer blinder und schwerhöriger; aber wie er sich freute, sie an ihrem Geruch zu erkennen, wenn er kam, damit sie mit ihm seine Ergotherapie machte … Milou und Noirot, sie waren angemeldet für morgen, aber sie würde morgen nicht da sein, wie sollte es gehen ohne sie? – Sie musste sich auf den Schreibtisch aufstützen, weil ihr plötzlich die Kraft fehlte. Sie liebte ihre Patienten, sie liebte ihren Job als Veterinärin! Und jetzt musste sie das alles aufgeben, weil es ja doch so nicht weitergehen konnte, nein, es ging nicht länger!

Entschlossen raffte Marie sich auf, verließ das Zimmer. Doch schon im Flur knickte sie wieder ein, verschwand in der Toilette, anstatt direkt bei Sylvain reinzugehen. »Zieh es durch, Marie«, beschwor sie ihr Spiegelbild über dem kleinen Waschbecken. Und doch kam er hoch, der Schwall der Erinnerung.

Der Tag ihres Vorstellungsgespräches. Sie war hier drin gewesen, um sich kurz frischzumachen. Der Mann, dem sie beim Verlassen des Toilettenraums die Tür fast ins Gesicht gerammt hätte. Seine braunen Augen, dieser Blick, voller Bewunderung, aber zugleich voller spitzbübischer Galanterie. Komplizenhaft hatten sie sich zugelächelt. Als hätten sie es beide vom ersten Moment an gewusst.

Sie hatte den Job bekommen, natürlich, war jetzt seine Kollegin (und Ludovics; aber der war nur ein harmloser Kollege, der sich aus ihrer ganzen Geschichte dezent raushielt). Ihr erstes Röntgen also; Patient: Brutus, ein humpelnder und gereizter Rottweiler-Dogge-Mischling.

»Wie viel wiegt der Kerl?« (Frage vom erfahrenen Doktor Sylvain an die junge Novizin.)

»Keine Ahnung, nicht so wichtig.« (Keck zurück.)

»Wie wollen Sie ihn dann zum Röntgen narkotisieren, Mademoiselle Cadiou?« (Mit charmantem Lächeln.)

»Gar nicht, Monsieur Cozic.« (Lächelnd zurück.)

»Was soll das heißen, gar nicht?« (Zu perplex bis hin zu beunruhigt, um weiterzulächeln.)

»Vertrauen Sie mir nicht? Sie haben mich doch eingestellt …« Und Sylvain hatte zugesehen, wie sie es gemacht hatte: Beruhigung des Tiers durch Zureden und Akupressur, d.h. Massieren bestimmter Druckpunkte – et voilà. Ruhig und brav auf den Röntgentisch, und zack, schon gab es die schönsten Aufnahmen. Danach hatte Sylvain sie nur noch »die Hundeflüsterin« genannt. Und ihr später, sehr viel später gestanden, er habe seit dem Tag, an dem er ihre zarten Finger Brutus’ Nacken und Rückgrat massieren sah, davon geträumt, wie es wäre, selbst von ihr so berührt zu werden …

Ja, berührt hatten sie sich, und es war unglaublich gewesen.

Jener verhängnisvolle Abend, drei Jahre später – volle drei Jahre hatten sie es platonisch miteinander ausgehalten! Aber dann. Vorgeblich hatten sie beide geglaubt, die unliebsame Bereitschaftsschicht zu Heiligabend zu haben. Marie hatte sehr gut gewusst, dass nur sie sie gehabt hatte. Er war trotzdem aufgetaucht. Und dann … sie hatten die Kontrolle verloren. Der Anfang von etwas … Unbeschreiblichem. Sie hatte nicht gewusst, dass zwei Menschen sich wirklich derart verfallen konnten; wirklich, nicht nur in Büchern oder in Filmen!

Sylvain, zu den unmöglichsten Uhrzeiten vor ihrer Wohnungstür.

»Du bist da – mein Gott, Marie, tut es gut, dich zu sehen. Komm her!« Seine Umarmungen, seine Liebkosungen. Als ob sie der Rettungsanker seines Lebens wäre. Aber sie, jedes Mal, mit flatterndem Herzen: »Wie viel Zeit hast du?« »Eine Stunde; die Kinder sind im Musikunterricht …« »Béatrice ist mit den Kindern bei ihren Eltern – Marie, wir haben ein Wochenende für uns!« »Sie ist beim Yoga, die Kinder sind bei Freunden – bestimmt anderthalb Stunden noch …« Geraubte Augenblicke – wie schön das klingt! Aber das reicht nicht für ein Leben!

»Schluss damit!«, zischte Marie ihrem Spiegelbild zu. »Schluss mit dem ewigen Warten und Hoffen! Ich kann nicht mehr! Es ist genug! Du weißt es, Marie, du weißt es! Die Kinder sind ausgewachsene Teenager inzwischen, und er hat nicht vor, sein Versprechen einzulösen! Er wird nie zu dir stehen, er hat keinen Mumm! Was er hat, Familie und Geliebte all inclusive, das will er nicht verlieren – aber wenn er seine Familie nicht verlieren will, verliert er zuletzt eben mich … Ist auch überfällig, verdammt!«

Marie drehte heftig den Wasserhahn auf, trank einen Schluck aus der zitternden Hand und verließ die Toilette.

»Hey, du bist da?« Sylvain strahlte sie an und sprang vom Rechner auf.

»Ich bin schon seit drei Tagen wieder zurück aus Paris.«

»Ich weiß; und ich wollte die ganze Zeit schon mit dir reden – nur, diese Woche war für mich extrem schwierig. Béatrice war krank – bzw., sie ist es immer noch; schwere Erkältung, da musste ich pünktlich heim, und sie rief hier dauernd an, weil ich ihr noch Medizin und so mitbringen sollte …«

Marie verschränkte die Arme.

»Aber ich hatte so sehr darauf gehofft, heute Abend einen ruhigen Moment mit dir zu haben. Wie war es also auf dieser Beerdigung? Deine Tante war das, nicht wahr?«

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