Richard Mackenrodt
Die kleine Insel am Ende der Welt
ein Sommermärchen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Richard Mackenrodt Die kleine Insel am Ende der Welt ein Sommermärchen Dieses ebook wurde erstellt bei
DIE KLEINE INSEL AM ENDE DER WELT DIE KLEINE INSEL AM ENDE DER WELT Schwarz ist nicht gleich Schwarz. (Walter Hartwell White Sr.) Der liebe Gott hat uns Farben gegeben, weil er das Leben bunt haben wollte. (Sophia Buffonacci)
Das schwärzeste Schwarz
Der Zauberstab
Sizilien
Weiße Haie im Mittelmeer
Linosa
Blut und Tränen
Der Vorhof der Hölle
Wenn etwas schwierig ist
Wir haben wieder Besuch
Glossar
Mein ganz besonderer Dank gilt...
Von Richard Mackenrodt bei EDITION TAKUBA bereits erschienen:
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DIE KLEINE INSEL AM ENDE DER WELT
Schwarz
ist
nicht
gleich
Schwarz.
(Walter Hartwell White Sr.)
Der liebe Gott hat uns Farben gegeben,
weil er das Leben bunt haben wollte.
(Sophia Buffonacci)
Die Männer trugen Schwarz. Ausschließlich. Von Kopf bis Fuß. Sonnenbrillen. Jacketts. Hemden. Krawatten. Hosen. Schuhe. Socken. Ein Schwarz, das die Augen irritierte, ohne dass der Betrachter den Grund dafür benennen konnte. Selbst ihre Slips und Unterhemden waren schwarz, obwohl den Blicken verborgen. Und die Haare: Zweimal pro Woche mussten sich die Männer beißend riechenden Farbkleister auf den Kopf schmieren lassen, und – nicht zu vergessen – auf die Augenbrauen. So stand es im Arbeitsvertrag. Zudem hatten sie sich alle fünf Stunden zu rasieren, solange sie im Dienste des Unternehmens auftraten. Selbstverständlich waren auch sämtliche Geräte, die sie bei der Arbeit benutzten – Smartphones, Tablets, Bluetooth-Headsets – schwarz wie die Nacht.
Schwarz war nicht gleich Schwarz. Ein schwarzer Gegenstand konnte im hellen Sonnenlicht zum fahlen Grau werden, und schwarzer Samt konnte an einem sonnigen Strand leuchten wie der Vollmond um Mitternacht. In Wirklichkeit war Schwarz ja eine Farbe, die es gar nicht gab. Wer von Schwarz sprach, beschrieb nichts weiter als die Abwesenheit subjektiver Farbreize. Das Finsterste im gesamten Universum waren die sogenannten Schwarzen Löcher. Sie warfen keinerlei sichtbares Licht zurück und waren damit tatsächlich völlig dunkel. Der oberste Chef der beiden schwarz gekleideten Männer hatte sich mit diesen Dingen lange und intensiv beschäftigt. Er wollte, dass die Außendarstellung von Nero Black Enterprises so schwarz war wie nur irgend möglich. Er träumte vom Black-Hole-Black . Dass dieses Ideal unerreichbar war, störte ihn nicht. Er war beseelt davon, dem Unmöglichen denkbar nahe zu kommen – bei allem, was er auf den Markt brachte und bei allem, womit Nero Black Enterprises in Erscheinung trat. Er hatte sich mit den Forschern einer texanischen Universität in Verbindung gesetzt, denen es gelungen war, den schwärzesten Stoff herzustellen, den die Welt jemals gesehen hatte. Dieses ultraschwarze Material bestand aus einem Miniaturwald von Nanoröhrchen und reflektierte nur 0,0045 Prozent des Lichtes, das darauf fiel. Die Röhrchen bestanden aus eng zusammengerolltem Kohlenstoff und waren so winzig, dass 400 davon nebeneinander in ein menschliches Haar gepasst hätten. Nero Black hatte alles aufgekauft, was die Texaner ihm liefern konnten. Das Rohmaterial war anschließend in Deutschland bearbeitet worden, er hatte daraus Kleidungsstücke herstellen lassen für alle Mitarbeiter, die außerhalb der Firma auftraten, etwa bei Messen und Presseterminen, und auch für das Wachpersonal. Das alles hatte ein Vermögen gekostet. Ein Wachmann von Nero Black Enterprises trug bei seiner Arbeit Klamotten am Leib, die so teuer waren wie ein nagelneuer Mittelklassewagen mit allen Extras. Ein halbes Dutzend Wachleute sicherten den Firmenhauptsitz am Münchner Stadtrand, und das taten sie Tag und Nacht, denn es galt nicht nur, die teuren Geräte im Inneren des Gebäudes zu beschützen, sondern viel mehr noch die unfassbar wertvolle tiefschwarze Fassade, die ebenfalls von den Texanern angefertigt worden war.
Nero Black hasste es, irgendetwas dem Zufall zu überlassen. Überraschungen verabscheute er fast genau so sehr wie das Licht der Öffentlichkeit, dem er sich mit bemerkenswerter Konsequenz zu entziehen verstand. Die Gazetten hätten eine Menge Geld dafür bezahlt, um etwas in Erfahrung zu bringen über diesen Mann, der unbeobachtet die Fäden zog und einen Welterfolg nach dem anderen auf den Markt brachte. Wie sah er aus? Was war er für ein Mensch? Was hatte er für ein Privatleben? Gab es ihn überhaupt? Man kannte nur seinen Namen und das NBE-Logo, das eine stilisierte Zeichnung seines Gesichts zeigte. Und so berühmt sein Name auch sein mochte: Nicht einmal der stimmte. Denn der Mann, der selbst so etwas war wie ein Schwarzes Loch, hieß natürlich nicht Nero Black, sondern war auf die Welt gekommen als Phillip Emanuel Schwarz. Er war 31 Jahre alt und so unscheinbar, wie ein Mann nur sein konnte. Klein und schmächtig. Blass. Mit einer unauffälligen Brille auf der Nase, deren dünnes Metallgestell natürlich schwarz war. Auch er trug stets nur schwarze Kleidung aus texanischem Kohlenstoff. Eine Zeit lang hatte er sogar seine straßenköterfarbenen Haare schwarz gefärbt, aber das war ihm dann doch zu albern gewesen. Schließlich wusste sowieso niemand, wer er war. Seine Villa im Süden der Stadt war extrem gut gesichert. Niemand hatte eine Ahnung, wer dort wohnte, auch nicht der Lieferservice, der ihn mit Lebensmitteln versorgte. Hier hatte er alles, was er brauchte. Wenn er nicht arbeitete, zog er Bahnen durch den Swimming Pool, spielte mit dem Gerät, das er Zauberstab nannte, las ein Buch oder sah sich einen Film an, in seinem eigenen Kino, das über eine riesige Leinwand und einen kinofähigen Digitalprojektor verfügte, und in dem – ja – ein einziger schwarzer Kinosessel stand. Phillip Schwarz hatte keine Freunde, und er wünschte sich auch keine. Er hatte die Einsamkeit zu einer Kunstform erhoben, er lebte sie aus auf geradezu inbrünstige Weise, weil er der festen Überzeugung war, dass diese Art zu leben besser zu ihm passte als alles andere. Wenn er das Grundstück hin und wieder verließ, dann stets nur durch einen unauffälligen Hintereingang, und anschließend fuhr er mit seinem Elektro-Fahrrad davon, wie ein ganz normaler Typ von nebenan. Schwarz hatte keinen Chauffeur und – bis auf eine Ausnahme – auch keine Bediensteten. Der einzige Mann, der außer ihm das Grundstück jemals betrat, war Hatchiko Matsumoto, ein 52-jähriger Japaner, der noch kleiner, schmächtiger und blasser war als er selbst. Matsumoto kümmerte sich dienstags und freitags um den Garten, reinigte den Pool und putzte das Haus. Den Hausherrn bekam Matsumoto dabei niemals zu Gesicht.
Wenn Phillip Schwarz mit dem E-Bike unterwegs war und anderen Menschen begegnete, benahm er sich unauffällig und kein bisschen exzentrisch. Er trat zurückhaltend auf, aber nicht wortkarg. Er besuchte Kunstausstellungen, und manchmal führte er dort mit Gleichgesinnten fachkundige Gespräche. Er flog in der Economy-Klasse nach Monte Carlo, um sich dort, von einer Hotelsuite an der Strecke, das Formel-Eins-Rennen anzusehen. Oder er begab sich, bekleidet mit einem Schutzanzug, in die Niederungen der Münchner Kanalisation und durchstreifte sie einen Nachmittag lang.
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