„Darum geht’s doch nicht. Lad ihn ein. Soviel ich weiß, mag er Paulas Werke. Er soll uns was liefern. Ganz im Sinne von ‚Schau ma mal, dann sehn ma schon‘.“ Peter lächelte. „Und wenn der auch nicht infrage kommt, kenne ich da einen gewissen Christopher Rose, der ein besonders talentierter, ambitionierter Jungautor sein soll.“ Wieder schmunzelte er, klopfte seinem Lektor von hinten auf beide Schultern und ließ ihn alleine in seinem Büro zurück.
Erteilte Peter Biber einen Auftrag, war keine Zeit zu verlieren. Zügig suchte Christopher die Telefonnummer des Herrn Gielding aus der Kartei und wählte dessen Nummer. Zuletzt hatte er ihn vor ca. zwei Jahren gesehen, als sie jemanden für die Erstellung eines Reiseführers durch Wien für junge Menschen brauchten. Der Autor war zwar in die engere Wahl gekommen, konnte aber letzten Endes nicht mit einer für die Zielgruppe adäquaten Sprache begeistern. So verschwand er wieder in den Untiefen ihrer Kartei und wurde später ein weiteres Mal konsultiert. Und nun gab man ihm schon zum dritten Mal eine Chance. Eine Eigenschaft, die der Lektor an Peter schätzte.
Nach dem vierten Klingeln hob Tobias ab. „Hallo? Hallo?“
„Christopher Rose hier, vom Verlag Biber & Benson.“
Er nahm ein Rascheln im Hintergrund wahr, bis die Leitung klarer wurde.
„Tut mir leid“, drang es aus dem Telefon, „ich war wohl gerade in einem Funkloch. Jetzt höre ich Sie besser. Herr Rose, habe ich das richtig verstanden?“
„Ja, genau. Christopher Rose. Wir haben uns vor einiger Zeit im Zuge einer Autorensuche für Biber & Benson kennengelernt. Erinnern Sie sich?“ Christopher war bewusst, wie absurd sich diese Frage anhörte. Wusste er davon nichts mehr, wäre er entweder schwer beschäftigt oder angehend dement.
„Ja, natürlich. Das Wien-Buch. Ich entsinne mich. Schade, dass es damals nicht geklappt hat. Aber ich habe es danach in der Buchhandlung entdeckt und etwas darin geschmökert.“
Dass Tobias damals leer ausgegangen war, hatte ihn mehr als geärgert. Da er für einige heimische Magazine jahrelang Tipps über neue Wiener Attraktionen, Lokalitäten und Ausflugsziele geliefert hatte, war er für die Konzeption eines Reiseführers geradezu prädestiniert gewesen. Den richtigen jugendlichen Schreibton hätte er sich schon noch aneignen können. Nichtsdestotrotz hatte er die Ausschreibung und Absage als fair in Erinnerung. Rose meldete sich stets nach Abmachung und erteilte wertschätzendes Feedback, mit dem er etwas anzufangen wusste. Als er dann das fertige Werk in einem Geschäft erspäht und darin geblättert hatte, nahm er zwar eine unangenehme Gefühlsmischung aus Neid und Enttäuschung wahr, übte sich jedoch einmal mehr darin, Angebotsabsagen ad acta zu legen und zu akzeptieren, dass er nicht der Richtige für das Projekt, sondern jemand anderes besser geeignet war. Und eines Tages würde er der Andere sein.
„Oh, das freut uns“, antwortete der Lektor. „Der Grund, warum ich anrufe, ist folgender: Es gibt da ein neues Projekt, wofür wir Sie gerne einladen möchten, sich zu bewerben …“
Gielding unterbrach ihn. „Wirklich? Schön, dass Sie dabei an mich denken. Worum geht es denn?“
„Dieses Mal handelt es sich um etwas gänzlich anderes. Kein Reiseführer, sondern um ein Werk im Krimigenre. Können Sie damit etwas anfangen?“ Während Christopher mit ihm sprach, ging er am Computer kurz den Lebenslauf des Ghostwriters durch. Zwar verfügte er nicht über die aktuellste Version seiner Vita, sondern über eine, die zwei Jahre zuvor endete, dennoch wurde ihm wieder klar, warum er ihn selber nie vorgeschlagen hätte. Bedeutende Publikationen aus seiner Feder fehlten bis dato.
„Sie meinen, Sie suchen etwa die männliche Antwort auf Paula Hogitsch?“ Tobias lächelte. Nie hätte er vermutet, dass er mit seinem naiv ausposaunten Vorschlag richtiger als erwartet lag.
„Genau das tun wir, Herr Gielding. Haben Sie Interesse, uns dafür ein Angebot zu legen? Sie wissen ja, wie es läuft. Von uns kommen ein paar Angaben, und Sie liefern das Exposé dazu. Als Zeitrahmen kann ich Ihnen eine Woche geben. Wie klingt das?“
„Sensationell. Zeitlich bringe ich es auch gut unter.“ Hoffentlich verriet das nicht, dass er momentan – wie so oft – über kein einziges Projekt verfügte und ihn seine Tagesfreizeit fast überforderte. Über die Jahre hatte er gelernt, seinen Auftraggebern stets ein Gefühl der Überbeschäftigung zu vermitteln, in der Hoffnung, damit einen Wirbel um seine Person zu entfachen, doch manchmal entfielen ihm seine eigens kreierten Regeln.
„Herr Gielding, das freut uns sehr. Sollte uns Ihr Exposé zusagen, setzen wir uns natürlich schnellstmöglich zusammen, keine Frage. Jetzt aber – aufgrund des Zeitdrucks – machen wir alles einfach am Telefon aus. Wie gesagt, schicke ich Ihnen umgehend alle Vorgaben, o. k.?“
„Sehr gerne. Spätestens übermorgen erhalten Sie mein Exposé.“ Tobias war außer sich vor Freude, überhaupt für eine „Audition“ wie jene, wie er das Prozedere immer nannte, infrage zu kommen.
„Kein Stress! Auch Sie haben eine Woche Zeit wie alle anderen. Nehmen Sie sich die.“
Christopher versicherte ein weiteres Mal, dass er sich freute, und verabschiedete sich. Tobias war ihm zwar sympathisch, dennoch hoffte er darauf, dass sein Exposé keine Begeisterungsstürme bei der Verlagsleitung hervorrief. Ihm gefiel die Idee immer mehr, selber den Ghostwriter-Job zu übernehmen.
„Danke vielmals für diese Chance“, sagte Tobias, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
„Paula Hogitsch“, flüsterte er nach dem Auflegen immer und immer wieder in den Raum hinein. Sollte das ein Scherz von Herrn Rose gewesen sein, oder ging es wahrhaftig darum, einen Nachfolger für sie zu finden?
Er freute sich, ernsthaft wieder für einen interessanten Auftrag in Betracht gezogen zu werden. In den letzten Monaten war es immer schwieriger geworden, an ein Stück des Schreibkuchens heranzukommen. Für ihn blieben nur die uninteressanten Kleinaufträge, durch die man kaum seinen Lebensunterhalt finanzieren konnte.
In den nächsten Minuten flatterte die E-Mail von Christopher Rose in seinen Posteingang. Da sich Tobias gleich vor den Computer gesetzt hatte, um keine Sekunde an Arbeitszeit zu verlieren, sah er die Nachricht umgehend und öffnete sie erwartungsvoll, um sofort zu erfahren, was hinter der geheimnisvollen Namenserwähnung einer seiner Lieblingsautorinnen stand.
Sehr geehrter Herr Gielding,
wie soeben besprochen, freuen wir uns, Ihnen folgende Anfrage für einen Ghostwriting-Auftrag zukommen zu lassen.
Wir suchen nach einem Autor, der bis Mai 2009 einen Kriminalroman im Namen von Paula Hogitsch verfasst. Wir haben ihr 14. und letztes Werk bereits im Verlagsprogramm des kommenden Jahres angekündigt und brauchen jemanden, der diese verantwortungsvolle Aufgabe zu unserer vollsten Zufriedenheit erfüllt. Paula Hogitsch ist – wie Sie bestimmt wissen – eines unserer wichtigsten Zugpferde, deren Fans wir nicht enttäuschen möchten. In Ihrer Bio haben wir gesehen, dass Sie bereits einen Kurzkrimi verfasst haben.
Das Dokument mit den Angaben sowie eine Verschwiegenheitserklärung finden Sie anbei. Bitte lassen Sie uns Ihr Exposé bis in exakt einer Woche zukommen, damit wir ehestmöglich eine Entscheidung treffen können.
Natürlich können Sie sich jederzeit mit mir in Verbindung setzen, wenn Sie noch Fragen dazu haben.
Vielen Dank für Ihre Bemühungen und alles Gute!
Christopher Rose
Tobias’ Herz schlug ihm bis zum Hals. Das Angebot vorhin war ernst gemeint. Außer der nicht unwesentlichen Tatsache, dass es keine Findung eines Nachfolgers von Paula, sondern ein Werk in ihrem Namen sein sollte. Wie um alles in der Welt kam der Verlag auf die Idee, ausgerechnet ihn diesbezüglich zu kontaktieren? Oder ging Peter Biber so bei jedem einzelnen Ghostwriter vor, den er in seinem System gespeichert hatte? Er konnte die Überraschung in Lilos Augen kaum erwarten. Obwohl die Sache äußerst heikel war und die Verschwiegenheitserklärung eindeutig besagte, niemandem davon zu berichten, dass ein Werk in Paulas Namen entstand, konnte er nicht umhin, zumindest seine eigene Ehefrau darüber in Kenntnis zu setzen. Sie wusste, dass er selber ein Fan ihrer Bücher war. Lilo hatte seines Wissens keinen ihrer Romane gelesen, aber das verwunderte nicht weiter, da es sich bei ihr um keine große Freundin der geschriebenen Worte handelte.
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