Ronni hatte sich vorgebeugt und schaute Frank lachend in die Augen.
„Ja, du hast recht. Mich juckt es tatsächlich. Aber nicht in den Fingern, sondern im Kopf. Ich brauche etwas, womit sich meine Synapsen im Gehirn beschäftigen können“, dabei kratzte er sich demonstrativ seine kurzen, grauen Haare.
Plötzlich erhellte sich sein Gesicht, als hätte er eine unerwartete Erleuchtung.
„Apropos Rhein. Du hast recht. Ich sollte tatsächlich öfter am Rhein spazieren gehen. Dann würde ich vielleicht die Leiche dieses Industriellen finden. Ist dir der Fall von dem gekenterten Kanufahrer auf den Tisch gekommen?“, fragte Eisenstein.
Ronni erkannte in den Augen des pensionierten Kriminalhauptkommissars die gleiche Neugierde wie früher.
„Nein. Ich kenne keinen Fall von einem gekenterten Kanufahrer. Wann war das? Wenn dich das interessiert, kann ich gerne mal nebenan bei den Kollegen nachfragen.“
„Das war im Juni. Das stand doch groß in der Zeitung. Der Firmenchef Jochen Lippmann, diese Zulieferfirma für Windkraft, der Name ist mir entfallen, ist mit seinem Kanu auf dem Rhein gefahren und nicht mehr nach Hause gekommen. Die Ehefrau hat ihn bei der Polizei am nächsten Tag als vermisst gemeldet. Irgendwann hat man sein Kanu in der Nähe der Siegmündung kieloben gefunden. Von ihm keine Spur – bis heute.“
„Nein, den Fall kannte ich bisher nicht. Du scheinst ja gut informiert zu sein. Zumindest hast du den Fall ausführlich in der Zeitung verfolgt.“
Mit einem Mal wurde Ronni sehr nachdenklich. Er schaute zur Zimmerdecke hoch, als wenn er dort oben die Lösung seiner Fragen finden könnte.
„Fast die gleiche Geschichte habe ich heute Morgen gehört. Nur in der Geschichte handelte es sich um keinen Firmeninhaber, sondern um einen Vater und die Geschichte hat mir die Tochter erzählt. Dass es zweimal die gleichen Ereignisse in kürzester Zeit gibt, halte ich für unwahrscheinlich. Nein, das ist ein und dasselbe Ereignis, da bin ich mir sicher.“
Ronni erzählte seinem Freund in wenigen Worten, wie er Sarah vom Suizid abgehalten hatte und wie er sie heute Morgen unverhofft in der Straßenbahn wiedergetroffen hatte.
„Kennst du den Nachnamen dieser Sarah?“, wollte Eisenstein wissen.
„Nein. Trotzdem, ich vermute, das ist die Tochter dieses Jochen Lippmann.“
„Kann sein. Ich weiß, Jochen Lippmann hat eine Tochter, die ungefähr in dem Alter dieser Sarah sein muss. An den Vornamen kann ich mich nicht mehr erinnern.“
„Woher weiß du das und wieso interessiert dich dieser Fall so sehr?“, fragte Ronni verwundert.
„Ich kenne Jochen Lippmann noch aus meiner Zeit in Duisburg. Er hat seine Firma, einige Jahre bevor ich nach Bonn kam, in Bonn gegründet. Er ist ungefähr so alt wie ich. Vielleicht ein, zwei Jahre jünger. Ich kenne seine Tochter als junges Mädchen. Sie und meine Tochter waren gute Schulfreundinnen. Daher interessiert mich der Unfall – wenn es denn überhaupt ein Unfall war.“
„Was meinst du damit: Wenn es denn überhaupt ein Unfall war ?“
Ronni wurde hellhörig. Hatte Frank ihn aufgesucht, um mit ihm den Unfall von Jochen Lippmann zu besprechen? War er eventuell mehr als nur neugierig? Ganz klar! Er wollte aus dem Unfall einen Fall – seinen Fall – machen.
„Überlege doch mal: Jochen Lippmann ist ein äußerst sportlicher Mann, erfahrener Kanufahrer, der bestimmt nicht in der Mitte des Stroms, in der stärksten Strömung fuhr. Außerdem ist er ein hervorragender Schwimmer. Der Rhein hatte zu dieser Zeit kein Hochwasser, im Gegenteil, der Pegelstand war unter Normalwasser gesunken. Und dann kentert er aus unbekannten Gründen und seine Leiche ist bisher nicht auffindbar? Ich sage nur: seltsam – mehr als seltsam!“
„Da könntest du mit deiner Vermutung richtig liegen. Was sollen wir deiner Meinung nach unternehmen?“, fragte Ronni reichlich naiv, obschon er Franks Antwort bereits kannte.
„Ja, was wohl? Wir haben einen Fall – einen Vermisstenfall, vielleicht sogar einen unklaren Todesfall. Wir sollten die Ermittlungen aufnehmen“, war Franks eindeutige Forderung.
„Wir? Du meinst sicher ich. Du bist dabei raus“, antwortete Ronni spontan.
„Klar, ich meine auch dich. Aber vielleicht kann ich dir ein wenig zur Seite stehen, schließlich kenne ich die Familie. Ich könnte mich zum Beispiel einmal mit der Ehefrau oder mit der Tochter unterhalten. So von Freund zu Freundin. Ist vielleicht besser, als wenn du offiziell mit der Frau und mit der Tochter sprichst.“
„Hm“, machte Ronni und nickte bedächtig.
„Vielleicht hast du recht. Ich werde bei den Kollegen nachhören, wie damals die Ermittlungen verlaufen sind. Außerdem werde ich genaue Informationen über die Firma von Jochen Lippmann einholen. Vielleicht stoßen wir auf irgendwelche Ungereimtheiten. Aber du hältst dich zurück. Du kannst gerne privat mit der Ehefrau sprechen, aber das war es dann auch. Du bist nicht mehr im Dienst.“
„Natürlich, und danke. Ich fühle mich jetzt wieder besser. Es geht doch nichts über eine interessante Aufgabe.“
Ronni war erstaunt, wie sich die mentale Verfassung seines früheren Kollegen in wenigen Minuten vom Negativen ins Positive ändern konnte. Dass Frank von einer interessanten Aufgabe sprach, darauf wollte er besser nicht eingehen.
„Du hast deine Tochter erwähnt. Habt ihr inzwischen wieder Kontakt? Du hattest doch lange Zeit nichts mehr von ihr gehört, wenn ich mich recht erinnere“, wechselte Ronni das Thema.
„Stimmt. Seit zwei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen und gesprochen. Vor zwei oder drei Wochen habe ich sie gesehen. Sie saß draußen im Café in Bonn. Sie nickte mir kurz zu und wandte sich dann wieder ihrem Begleiter zu.“
„Und was hast du gemacht?“
„Ich habe ebenfalls genickt und bin weitergegangen.“
Ronni schüttelte den Kopf.
„Wieso hast du sie nicht angesprochen?“
„Sie war schließlich in Begleitung. Glaubst du, sie hätte dann Zeit für ihren alten Vater?“
„Du spinnst doch. Was heißt hier alter Vater . Erst einmal bist du nicht alt und zweitens bist du schließlich ihr Vater.“
„Trotzdem, ich will mich nicht aufdrängen. Als ich nach Hause kam, habe ich mir meine Laufschuhe angezogen und bin eine Runde joggen gegangen. Ich hasse Joggen wie du weißt, aber es macht den Kopf frei.“
Ronni schüttelte erneut den Kopf und wollte fragen, wieso er denn joggen gehe, wenn er es doch so sehr hasste, ließ die Frage dann doch bleiben. Er kannte Frank und wusste, dass er sich gerne quälte – besonders dann, wenn etwas nicht so lief, wie er es sich vorstellte.
„Wir hören voneinander. Ich werde demnächst Frau Lippmann aufsuchen“, sagte Frank, stand auf und verabschiedete sich von seinem Freund Ronni.
Würde Ronni ihn nicht kennen, wäre er mit Sicherheit über Franks plötzlichen Aufbruch pikiert gewesen – aber er kannte ihn nur zu gut.
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