3. Ändert sich an der Beurteilung des Sachverhalts etwas, wenn entgegen der vertraglichen Vereinbarung Elisabeth Weisungen erhalten würde und täglich in den Räumen des Vereins anwesend sein müsste?
4. Elisabeth hat in den letzten drei Jahren jeweils Weihnachtsgeld von dem Verein bekommen. Wovon hängt es ab, dass sie in den nächsten Jahren einen Anspruch auf das Weihnachtsgeld hat?
5. Elisabeth hat einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Der Sozialverein ist eine Einrichtung der Caritas, welcher Bezug nimmt auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes. Elisabeth ist mit den Richtlinien nicht einverstanden. Können die Richtlinien einer AGB-Kontrolle unterzogen werden?
2 Die Begründung des Arbeitsverhältnisses
Aus der Sicht der ArbeitnehmerInnen setzt die Begründung des Arbeitsverhältnisses eine Stellensuche voraus. Bei erfolgreicher Suche kommt es anschließend zu einem Vertragsschluss. Vor dem Vertragsschluss muss geprüft werden, ob der Vertragsinhalt für die ArbeitnehmerInnen annehmbar ist.
2.1 Anbahnung des Arbeitsverhältnisses
Für das Suchen einer freien Stelle nach einer Kündigung besteht gegen die ArbeitgeberInnen ein Anspruch auf Freizeit zur Stellungssuche gem. § 629 BGB. Aus der Sicht der ArbeitnehmerInnen besteht eine Möglichkeit zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses im Lesen von Stellenanzeigen. Sowohl für die Beurteilung von Stellenanzeigen also auch für die Einschätzung von Fragen im Vorstellungsgespräch und anschließenden Absagen ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bedeutsam.
Übersicht 3
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
1. Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1
1.1 Schutzbereich
1.1.1 persönlich: Beschäftigte (§ 6 Abs. 1)
1.1.2 sachlich: Diskriminierungen i. S.v. § 1 u. a. in arbeitsrechtlichen Kontexten gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2
1.2 Eingriff
1.3 Rechtfertigung: Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen
1.3.1 des Alters (§ 10)
1.3.2 der Religion oder Weltanschauung (§ 9)
1.3.3 beruflicher Anforderungen (§ 8)
1.3.4 positiver Maßnahmen (§ 5)
2. Rechtsfolge bei Verstoß gegen § 7 Abs. 1
2.1 Entschädigung und Schadenersatz nach § 15
2.2 Unwirksamkeit von Verträgen nach §§ 134 BGB, 7 Abs. 2 AGG
2.3 Verletzung einer Vertragspflicht gem. § 7 Abs. 3
2.1.1 Stellenanzeige
Eine Stellenanzeige beinhaltet eine Aufforderung von ArbeitgeberInnen zur Bewerbung auf eine Beschäftigungsmöglichkeit (Schaub/Koch 2018, 617). Nach § 11 AGG darf eine Stellenanzeige nicht gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 AGG verstoßen. Wenn die Ausschreibung gegen dieses Verbot verstößt, wird gem. § 22 AGG vermutet, dass die ArbeitgeberInnen gegen das Benachteiligungsverbot bei der Personenauswahl verstoßen haben. Die ArbeitgeberInnen müssen dann Tatsachen vortragen, welche diese Vermutung widerlegen. Wenn solche Tatsachen nicht vorgetragen werden, kann dies zu einem Entschädigungsanspruch der BewerberInnen gegen die ArbeitgeberInnen führen (LAG Hessen 15.6.2015 – SA 1619/14).
Wenn beispielsweise mit einer Stellenanzeige ein junger Sozialarbeiter für ein Frauenhaus mit Lichtbild gesucht wird, kann die Anzeige gegen das Benachteiligungsverbot wegen Benachteiligungen aus Gründen des Alters, des Geschlechtes und der ethnischen Herkunft im Sinne von § 1 AGG verstoßen.
Der Verstoß aus Gründen der ethnischen Herkunft kann sich aus der Anforderung des Lichtbilds ergeben. Demnach liegt eine Vermutung nach § 22 AGG vor. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn Tatsachen vorgebracht werden, aus denen hervorgeht, dass eine unerlaubte Diskriminierung nicht vorlag.
In Bezug auf das Alter und die ethnische Herkunft kann dies widerlegt werden, wenn das Bewerbungsverfahren dokumentiert worden ist und aus der Dokumentation hervorgeht, dass BewerberInnen jeden Alters und jeder ethnischer Herkunft eingeladen worden sind und die am besten qualifizierten BewerberInnen ausgewählt worden sind.
Bezüglich des Geschlechts kann die Vermutung einer Benachteiligung widerlegt werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass bisher nur Frauen im Frauenhaus arbeiten aufgrund der Gewalterfahrungen der Nutzerinnen durch Männer und dass nun ein Mann als positives Vorbild zur Betreuung der Kinder der Frauen eingestellt werden soll. Dann ist diese Diskriminierung gem. § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.Wenn dagegen die Nachweise nicht gelingen, kommt gem. § 15 Abs. 2 AGG ein Anspruch auf Entschädigung in Betracht.
2.1.2 Vorstellungsgespräch
Im Rahmen der Stellensuche bzw. im Rahmen eines Stellenbesetzungsverfahrens findet in der Regel ein Vorstellungsgespräch statt. Im Rahmen dieses Vorstellungsgespräches können sich ArbeitgeberInnen und BewerberInnen jeweils übereinander informieren durch gegenseitiges Fragen. Aus der Bewerbungsperspektive stellt sich dabei die Frage, ob auf sämtliche Fragen der ArbeitgeberInnen wahrheitsgemäß geantwortet werden muss.
In Bezug auf die wahrheitsgemäße Beantwortung der Fragen ist zwischen dem Interesse der ArbeitgeberInnen an einer bestmöglichen Stellenbesetzung und dem Interesse der BewerberInnen an der Wahrung ihres Persönlichkeitsrechts abzuwägen. Unter dem Persönlichkeitsrecht wird dabei die Freiheit der BewerberInnen verstanden, zu entscheiden, was sie von sich preisgeben möchten und was nicht. Zwar kann niemand zu einer Antwort gezwungen werden, jedoch beinhaltet auch ein Schweigen auf eine Frage eine Aussage.
Deswegen wird in diesem Zusammenhang zwischen erlaubten und unerlaubten Fragen unterschieden. Während die BewerberInnen auf erlaubte bzw. zulässige Fragen wahrheitsgemäß antworten müssen, dürfen sie bei unzulässigen Fragen lügen. Wenn BewerberInnen auf zulässige Fragen wahrheitswidrig antworten, kann bei Zustandekommen eines Arbeitsvertrages ein Anfechtungsrecht der ArbeitgeberInnen gem. §§ 119, 123 BGB entstehen. Die wahrheitswidrige Beantwortung von unerlaubten Fragen der ArbeitgeberInnen hat für die BewerberInnen dagegen keine Konsequenzen (Schaub / Koch 2018, 359).
Fraglich ist, wann es sich bei einem Vorstellungsgespräch für eine Stelle in der Sozialen Arbeit um eine erlaubte Frage handelt, bei der wahrheitsgemäß geantwortet werden muss, und wann es sich um eine unerlaubte Frage handelt, bei der wahrheitswidrig geantwortet werden darf. Ausschließlich tätigkeitsbezogene Fragen sind zulässig. Wenn die Frage nicht tätigkeitsbezogen ist und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG verstößt und/oder gegen die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, ist sie unzulässig (Schaub/Koch aaO.).
So sind auf die Stelle bezogene Wissensfragen und Fragen nach der Berufserfahrung als SozialarbeiterIn als tätigkeitsbezogene Fragen zulässig. Die Frage nach einer Schwangerschaft ist dagegen aufgrund einer Benachteiligung des Geschlechts im Sinne von § 1 AGG stets unzulässig (Schaub / Koch 2018, 360) genauso wie die Frage nach der sexuellen Orientierung. Problematisch ist, ob die Frage nach der sexuellen Orientierung einer SozialarbeiterIn ausnahmsweise nach § 9 AGG gerechtfertigt sein kann. Dagegen spricht, dass nach § 9 AGG nur Benachteiligungen wegen der Religion oder Weltanschauung gerechtfertigt werden können, nicht aber unterschiedliche Behandlungen wegen der sexuellen Orientierung (Birk 2012, 120). Somit können zwar kirchliche Einrichtungen eine Frage nach der Religionszugehörigkeit im Vorstellungsgespräch aufgrund § 9 AGG stellen, eine Frage in Bezug auf die sexuelle Orientierung jedoch nicht. SozialarbeiterInnen dürfen daher nach der hier vertretenen Auffassung bei einer solchen Frage lügen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion ist gem. § 9 Abs. 1 Abt. 2 AGG nur zulässig, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt (BAG 25.10.2018-8 AZ R 501/14).
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