Askanio hatte eine Freundin, Julia, eine Russin im gleichen Alter, sie war auch mit ihm in Schöningen.
Askanio und Julia lebten dann in Italien zusammen, es gab eine Trennung, Julia ging nach Deutschland und Askanio in den Knast.
Wie das so ist, in der Abgeschiedenheit des Gefängnisses brach die große Liebe bei Askanio durch. Julia war cooler, sie prüfte die Lage.
In vielen Gesprächen hat mich Askanio dann gebeten, die „Liebesbriefe“ an Julia zu formulieren. Ich wurde der Mann im Hintergrund. Schrieb romantische Liebesbriefe und die E-Mails und Briefe von Askanio gingen in italienischer und deutscher Sprache raus. Die Aktion zeigte Wirkung. Ich erlebte noch im Juli, dass Julia schrieb: „Ich komme, aber ich bringe einen Priester mit, wir heiraten.“
Eine süße Story, so etwas könnte ich im normalen Leben niemals machen, so etwas geht nur im Knast. Heute sind beide zusammen und leben in Italien direkt am Meer.
Bei unserem nachmittäglichen Espresso, in der Zelle von Senna, tauchte plötzlich ein junger Mann auf, groß, gepflegt, völlig in Weiß gekleidet. Hose weiß mit exakter Bügelfalte, weißes Hemd, offen.
Er stellte sich als Zigeuner aus Rom vor, aus der wichtigsten italienischen Zigeunerfamilie. Ich fragte nach der Familie des vor zwei Jahren verstorbenen „Chefs der Familie“: Im TV hatte ich in Deutschland die spektakuläre Beerdigung gesehen, ein nicht genehmigter Helicopter hatte den Kranz abgeworfen. Skandal in Rom. Der Tote war der Onkel von dem Mann in Weiß.
Er bekam einen Espresso und freute sich, dass er mich hier kennengelernt hat, alles auf vornehmer und zivilisierter Basis.
Am nächsten Tag auf dem Hof traf ich den Zigeunerbaron, wieder in Weiß, ich grüßte im Laufen bei einer Runde, er fing an zu schreien: „Du deutscher Verbrecher, bist von der SS und hast vor 30 Jahren in Rom Zigeuner erschossen!“ Abgesehen davon, dass der Typ nicht rechnen konnte, in den Achtzigerjahren hat die SS in Rom nicht geschossen und ich war schon altersbedingt niemals in der SS.
Meine Freunde sicherten mich vor dem tobenden Zigeuner und sorgten am nächsten Tag für die Verlegung. Den Typ habe ich nicht mehr gesehen.
Am 10. Juli erlebte ich noch eine große Revolte im Knast, wie man so etwas nur aus Filmen kennt. Für mich das einzige derartige Erlebnis in der Realität. Abends war der Strom weg, normalerweise kein Problem, nach einer Stunde wurde es dann zu einem Problem. Für alle Leute kein Fernsehen. Zuerst Schreie und Treten und Schlagen gegen die Türen.
Dann flogen Sachen aus den Gitter-Fenstern, Stühle wurden zerschlagen, aus Tischen und Betten entstanden „Rammen“, die unter Schreien gegen die Gittertüren eingesetzt wurden. Der Knast tobte.
Die Beamten verschwanden von den Kontrollpositionen und verschlossen sämtliche Türen im Gefängnis automatisch.
Die Menge tobte noch etwa 45 Minuten, dann gab es wieder Licht, im wahrsten Sinne des Wortes.
In dem Jahr Gefängnis in Italien waren für mich neben dem wöchentlichen Telefongespräch mit meiner Frau das Eintreffen des „großen Briefes“ mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und dem „Spiegel“, von meiner Tochter Ina aus München, die absoluten Höhepunkte. Zweimal im Monat bekam ich diese wunderbare Sendung. Der Beamte schrie meinen Namen auf dem Flur, hörte ich natürlich nicht, Leute holten mich, mit der Information „Post“.
Ich schritt jedes Mal langsam und feierlich zur Ausgabe, der Brief wird geöffnet und kontrolliert, oft studierten die Beamten, was die Zeitungen in Deutschland kosten, dann Übergabe und stolzer Abgang.
Seit ich im August 1961 aus der DDR in den Westen kam, abonnierte ich „FAZ“ und „Spiegel“. Ich war wie „besessen“ von meiner täglichen Information in meinem Leben in Deutschland. Nach meinen langen Dienstreisen las ich nächtelang in Aufarbeitung die Presse. In Kiew und Moskau kannte ich die Stellen, wo ich, zum dreifachen Preis, FAZ und Spiegel selbst kaufen konnte. Diese Informationen bestimmten mein ganzes Leben. In Italien erstmalig ohne jede Information.
Im italienischen TV wenige Informationen und dann natürlich in italienischer Sprache. Für mich war dieser Mangel an Informationen das Schlimmste im Gefängnis. Für das großartige Pressegeschenk bin ich Tochter Ina sehr dankbar.
Der für mich wichtigste Schritt in dem Drama war die Auslieferung nach Deutschland, um in Deutschland Recht und Freiheit zu bekommen. Die zeitlichen Abläufe und die nervliche Belastung durch die juristischen Abläufe zwischen Italien und Deutschland sind für einen normalen deutschen Staatsbürger, der dieses Drama nicht erleben musste, unvorstellbar.
Im Januar 2017 stimmte die italienische Justizministerin meiner Auslieferung nach Deutschland zu. Im März wurde die Staatsanwaltschaft Düsseldorf informiert. Mit Datum 12.4.2017 bekam ich vom Landgericht Düsseldorf eine erstaunliche, aber gute Nachricht, dass Rechtsanwältin Sabrina Buelli, Köln, als Beistand bestellt wurde, weil Zweifel bestehen, ob der Verurteilte seine Rechte selbst hinreichend wahrnehmen kann. Erstaunlich, weil ich Rechtsanwalt Heinz Gerlinger, Dortmund, als meinen Anwalt benannt hatte. Aber sehr gut, wenn das Landgericht eine neue Anwältin beruft, dann gibt es Kontakte und Verbindungen zum Gericht, das kann meine Auslieferung endlich in Bewegung bringen.
Ich habe sofort Frau Buelli geschrieben und eine Antwort bekommen, dass die Sache in Düsseldorf angelaufen ist.
Mit Datum 30. Mai bekam ich die Kopie eines Schreibens der Staatsanwaltschaft Düsseldorf an das Justizministerium in Rom, dass am 5. Mai das Landgericht Düsseldorf erklärt hat, dass das Urteil des Appellationsgerichtes Torino für vollstreckbar erklärt wird.
Zu vollstrecken ist eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren, anerkannt wird der in Italien vollstreckte Teil der Sanktionen.
Was dann folgte, war ein Schock, die deutsche Übersetzung des Urteils von Torino, diese zusammengelogenen Abläufe der Übernahme der kleinen Firma Gessarolli, hatte ich bisher noch niemals gesehen.
Meine Gedanken waren, nur raus aus Italien, völlig egal, welche juristischen Abläufe erforderlich werden, nur nach Deutschland.
Ich hatte jetzt drei Rechtsanwälte, in Viterbo, in Dortmund und in Köln. Man könnte annehmen, diese ausgewählte erfahrene Truppe von Anwälten holt mich hier schnell raus, wo die rechtlichen Abläufe doch geklärt waren. Das ging leider an der Realität der Justiz in zwei Ländern vorbei. Es dauerte jetzt fast zwei Monate, um den Einsatz von Interpol und einen Flug von Rom nach Berlin sicherzustellen.
Zwei Monate mit ständigem Warten auf eine Information ist in dieser Zeit das Schlimmste, man erfährt nichts. Auch der ständige Kontakt zu den drei Anwälten bewegte nichts, ein schlimmes System.
Auch eine Frage an die Gefängnisleitung ruft nur ein Lächeln hervor.
Antwort: „Sie werden erfahren, wann der Flug nach Deutschland stattfinden wird.“
Dann an einem Samstag, 22. Juli, wurde ich in das Zentralbüro „Matricola“ bestellt, ein mir bekannter netter Beamter hat mich vor die Tür gebeten und mir mitgeteilt, am 25.07 geht der Flug nach Berlin.
Ich war so erfreut, emotional, so hochgedreht, dass ich den Beamten umarmte, das ist nun wirklich außergewöhnlich.
Der Polizei-Beamte lachte und sagte, es ist das erste Mal in seinem Berufsleben, dass ihn ein Gefangener umarmt.
Das gab neue Energie, die verbleibenden 2 Tage, mit gesteigertem Training. Ich lief am Montag zum Abschied vom Campo Runde um Runde mit hohem Tempo, als ginge es um einen großen Wettkampf.
Dann am Montag 17 Uhr, meine Sachen im Magazin abgeben, die neue Tasche von Rechtsanwalt Ceccarelli wird für den Transport gepackt. Ich bin sehr dankbar für diese Tasche, denn ich hatte buchstäblich nichts, meine Reisetasche war in der Ukraine, ich hätte einen blauen Plastiksack nehmen müssen.
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