Edgar –
Mein Leben zwischen
Nobelpreis und Arschkarte
Jens Reinländer
EDGAR —
MEIN LEBEN ZWISCHEN
NOBELPREIS UND ARSCHKARTE
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
www.jens-reinlaender.de
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Illustrationen © Sven Häberlein
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Heute ist der vierte Advent und ich liege gefesselt und geknebelt in meinem Bett.
Normalerweise liege ich an so einem Tag nicht gefesselt und geknebelt im Bett. Normalerweise! Aber was ist bei mir in letzter Zeit schon normal verlaufen? Seit sich dieses nervige Quasselmonster in meinem Ohr eingenistet hat, stolpere ich von einem Fettnäpfchen ins nächste. Keine Ahnung, wie ich das bisher alles überleben konnte. Aber ich bin noch da! Obwohl mir das eigentlich fast unmöglich erscheint, wenn ich alle Katastrophen zusammenzähle, die mich bis jetzt heimgesucht haben.
Bestimmt bin ich bloß noch nicht aus den Latschen gekippt, weil ich als Genie auf die Welt gekommen bin.
Ich bekomme ja demnächst alle möglichen Nobelpreise überreicht. Aber im Augenblick bin ich noch auf dem steinigen Weg zum Ruhm unterwegs und werde deshalb als Genie leider noch nicht so richtig wahrgenommen. Manche halten mich sogar für irre. Selbst mein bester Kumpel, der Gescheitelte Bernd. Aber Bernd hat mich beruhigt. Ich soll mir deswegen keine grauen Haare wachsen lassen, hat er gesagt. Das ist normal. Jedes Genie ist auch gleichzeitig immer ein bisschen bekloppt.
Und Bernd muss es wissen. Sein Onkel arbeitet in einer Klapsmühle. Darum weiß Bernd auch ziemlich genau über Klapsmühlen und bekloppte Genies Bescheid. In Klapsmühlen wimmelt es nämlich nur so von denen. Alles durchgeknallte Typen, die dir auf Anhieb sagen können, wie viel 237 x 894 ist. Bloß, dass sie dabei auf dem Kopf stehen und sich mit allen zehn Fingern gleichzeitig in der Nase popeln.
„Das Problem ist, Genie und Wahnsinn sind leider Geschwister“, hat Bernd mir erklärt und dazu ein Gesicht gemacht, als ob er mir damit ein großes Geheimnis offenbaren würde. Dabei wusste ich das längst. Bei mir zu Hause existiert dieses Geschwisterproblem schon so lange ich auf der Welt bin. Ich bin das Genie und mein kleiner Bruder Malte und meine große Schwester Stella sind die Wahnsinnigen. Aber ich schweife ab. Dazu später mehr. Jetzt wieder zurück zu den wichtigen Dingen. Zu mir!
Wie ich ja bereits erwähnte, werde ich demnächst alle möglichen Nobelpreise bekommen. Manchmal träume ich davon. Es ist immer derselbe Traum. Plötzlich hupt ein gelbes Postkranauto vor der Wohnungstür und der Briefträger ruft aus dem Fahrerhaus: „Guten Tag! Ich habe hier wieder einen Nobelpreis für Sie. Wo soll ich ihn denn diesmal abstellen?“
Daraufhin verdrehe ich die Augen und seufze: „Oh Mann, schon wieder ein Nobelpreis. Hört denn das nie auf? Stellen Sie ihn einfach zu den anderen.“ Und schon brummt und rattert der Kran los und ein gigantischer Pokal schwebt an einem Stahlseil baumelnd über das Haus in den Garten.
Dass der Pokal so riesig ist, habe ich der Auszeichnung zu verdanken. Weil die ja auch riesig ist. Ein Nobelpreis ist sozusagen der Dinosaurier unter den Preisen. Und ich habe schon neunundneunzig Stück davon. Jedenfalls in meinem Traum. Der ganze Garten ist mit Nobelpreisen vollgestellt. Ganz hinten links steht der Nobelpreis für die Erfindung des Ja-Pulvers. Ein sehr hilfreiches Mittel gegen widerspenstige Eltern. Darum ist es auch nur an Kinder verkäuflich. Es ist sehr sparsam im Gebrauch. Für einen mittleren Erwachsenen braucht man nicht mehr als eine Messerspitze davon. Man lässt die benötigte Menge Pulver auf die Handfläche rieseln und pustet sie dann dem störrischen Erwachsenen ins Gesicht. Und schon hat sich das Problem, das eben noch da war, in Luft aufgelöst.
„Darf ich heute Abend den Gruselfilm sehen?“ – „Ja.“
„Fahren wir morgen in den Zoo?“ – „Ja.“
„Kaufst du mir eine PlayStation?“ – „Ja.“
Natürlich gibt es in meinem Traum auch ein Nein-Pulver. Auch dafür habe ich einen Nobelpreis bekommen. Und klar, auch das Pulver darf nicht in falsche Hände geraten. Was heißt: Es darf nicht an Erwachsene verkauft werden! Damit es nicht zu Missbrauch kommt. Es soll ja Kindern helfen, ihren schwierigen Eltern Vernunft beizubringen.
„Muss ich mein Zimmer aufräumen?“ – „Nein.“
„Soll ich jetzt wirklich aufstehen?“ – „Nein.“
„Muss ich echt für Mathe üben?“ – „Nein.“
Welches der beiden Pulver man nimmt, ist egal. Sie helfen beide großartig, das Leben als Kind zu meistern. Man muss bloß höllisch aufpassen, dass man nicht aus Versehen das falsche Pulver erwischt. Die Pulver sehen sich nämlich zum Verwechseln ähnlich. Für den Fall habe ich gleich noch ein drittes Pulver erfunden. Das Lass-uns-später-noch-mal-drüberreden-Pulver. Mit dem Pulver verschafft man sich die nötige Zeit, das richtige Pulver herbeizuschaffen und den Fehler wieder auszubügeln. Natürlich habe ich auch dafür einen Pokal im Garten stehen. Der steht zwischen dem Nobelpreis für die Erfindung der Ganzjahresferien und dem Nobelpreis für die erste Achterbahn zum Mond. Dann gibt es noch Nobelpreise für die Entdeckung des Luft-in-Pizza-Umwandlers und der Zahnpflege-Limonade. Und für die Erfindung von „Haarstopp“. Zwei Tropfen davon auf die Kopfhaut geträufelt und man hat eine Sorge weniger. Die Haare hören auf der Stelle zu wachsen auf und man muss nie wieder zum Friseur.
Nobelpreis um Nobelpreis reiht sich in meinem Garten aneinander wie auf einer Perlenschnur. Und nun also noch einer. Der Einhundertste. Ein Jubiläums-Nobelpreis. Ein Nobelpreis für das massenhafte Erhalten von Nobelpreisen. Einhundert Pokale stehen jetzt in meinem Traumgarten herum, versperren mir die Sicht und drücken den Rasen platt. Und jeder ist mindestens so groß wie eine ausgewachsene Kuh.
„Bloß gut, dass sie nicht auch noch Kuhfladen auswerfen. Als Nobelpreisträger hat man es echt nicht leicht“, stöhne ich jedes Mal und wache dann prompt an der Stelle immer auf.
Darum weiß ich auch nicht, wie der Traum weitergeht. Aber eins weiß ich ganz sicher: dass mir mein erster Nobelpreis schon im Nacken sitzt. Und ich weiß auch schon, wofür ich den bekommen werde. Für meine peinlich-blöden Sprüche. Die habe ich dem Quasselmonster zu verdanken, das sich in meinem linken Ohr eingenistet hat. Seit es dort haust, bin ich echt reif für den Literaturnobelpreis.
Angefangen hat alles beim Frühstück.
Ich weiß nicht mehr genau, an welchem Tag es war. Aber ich weiß noch genau, dass es draußen vorm Fenster wie aus Kübeln gegossen hat. Ich sitze also in die Küche und mampfe mein Müsli. Nebenbei grüble ich wieder mal darüber nach, wofür ich wohl meinen ersten Nobelpreis bekommen werde, denn das ist mir zu diesem Zeitpunkt noch ein großes Rätsel. Da entdecke ich plötzlich in der Zeitung, die Papa auf dem Tisch liegen gelassen hat, ein Bild von Bruno Barrikade. Und über dem Bild steht in fetten Buchstaben: Heute große Sonderbeilage mit Fanposter!
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