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A benötigt für eine samstägliche Spritztour ein schönes Cabriolet. Er verkleidet sich deshalb als Angestellter bei „Mr. Wash“ und begibt sich in das Parkhaus des Kaufhauses „Billig und gut“. Dort spiegelt er der ahnungslosen B vor, dass sie in den Genuss einer Kundenaktion komme, wonach jeder 50. Kunde umsonst sein Auto gewaschen bekomme. B solle ihm ihren Schlüssel aushändigen, A werde das Auto dann zu dem sich im UG befindlichen „Mr. Wash“ fahren und nach ihrem Einkaufsbummel werde sie den Wagen dann im 3. OG frisch gewaschen ausgehändigt bekommen. Tatsächlich fährt A sofort nach der Schlüsselübergabe und Verschwinden der hocherfreuten B mit dem Auto davon.
Er begibt sich alsdann zur nächsten Tankstelle, wo er den leeren Tank mit Benzin der X-GmbH im Wert von 100 € füllt. Wie von vorneherein geplant, entfernt er sich – unbemerkt vom Tankstellenpersonal – ohne zu bezahlen. Auf dem Weg zu seiner Freundin entdeckt er vor dem „Wilfried Durstig Getränkemarkt“ (D) mehrere dort zur Abholung durch einen Hersteller bereit gestellte Pfandflaschen der Marke „Trinkgut“. Es handelt sich dabei um Standardpfandflaschen, die von einer Vielzahl von Getränkeherstellern benutzt werden. In einem unbeobachteten Moment nimmt er eine Kiste mit leeren Flaschen weg, geht damit zur Kasse und lässt sich Pfand in Höhe von 4 € herausgeben.
Nachdem er mit seiner Freundin einen Ausflug in die Eifel gemacht hat, fährt er – wie ebenfalls geplant – abends mit dem Auto wieder in das Parkhaus von „Billig und gut“ und lässt es dort stehen, wo es am nächsten Morgen von einem Mitarbeiter gefunden wird.
Strafbarkeit des A? (eventuell erforderliche Anträge sind gestellt)
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Lösung
Erster Handlungsabschnitt: Verlassen des Parkhauses mit dem Auto der B
I. Strafbarkeit gem. § 242 am Auto
A könnte sich wegen Diebstahls gem. § 242 strafbar gemacht haben, indem er mit dem PKW der B das Parkhaus verließ.
Dann müsste A eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben.
Das Auto stand im Eigentum der B und war damit für A fremd. Es stellte ferner eine Sache gem. § 90 BGB dar, die – da A mit ihr fortfahren konnte – auch beweglich war.
JURIQ-Klausurtipp
Bei eindeutigen Prüfungspunkten brauchen Sie nicht unbedingt den Gutachtenstil zu verwenden. Möglich ist – im Interesse der Effizienz – auch die Verwendung des verkürzten Gutachten- oder (eingeschränkt) auch des Urteilsstils.
Fraglich ist, ob A diese fremde bewegliche Sache weggenommen hat, indem er mit dem Auto das Parkhaus verließ.
Wegnahme bedeutet den Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers. Unter Gewahrsam wird dabei ein tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis getragen von einem natürlichen Herrschaftswillen verstanden.
Das Auto stand zunächst im Gewahrsam der B. Durch das Entfernen des Autos aus dem Parkhaus war es B allerdings nicht mehr möglich, jederzeit ohne wesentliche Hindernisse auf das Fahrzeug zuzugreifen, da sie nicht mehr wusste, wo sich das Fahrzeug befand. Sie verlor damit zu diesem Zeitpunkt die Sachherrschaft über das Fahrzeug und damit auch den Gewahrsam.
Mit dem Wegfahren hob A mithin den alten Gewahrsam der B auf und begründete zugleich neuen und eigenen Gewahrsam.
Fraglich ist nun aber, ob dieser Gewahrsamswechsel gegen oder ohne den Willen der B als Gewahrsamsinhaberin erfolgte, da B die Schlüssel an A übergab und ihm damit eine Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug einräumte. Es könnte somit ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vorliegen. Voraussetzung dieses Einverständnisses ist jedoch, dass es sich auf den vollständigen Gewahrsamsverlust richtet. Hier war B zwar damit einverstanden, dass A mit dem Auto zu „Mr. Wash“ fuhr, sie ging jedoch davon aus, jederzeit zu wissen, wo sich ihr Auto befindet und infolgedessen auch jederzeit auf das Auto zugreifen zu können. B wollte den Gewahrsam also lediglich lockern, nicht jedoch vollständig auf A übertragen. Damit liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis nicht vor. Der Gewahrsamsverlust erfolgte mithin durch ein eigenmächtiges Handeln des A und damit gegen den Willen der B.
Der objektive Tatbestand ist damit verwirklicht.
2. Subjektiver Tatbestand
A handelte mit Wissen und Wollen und damit vorsätzlich.
Darüber hinaus müsste A die erforderliche Zueignungsabsicht besessen haben. Zueignungsabsicht liegt vor, wenn der Täter mit zumindest dolus eventualis den bisherigen Eigentümer dauerhaft aus seiner Eigentümerposition verdrängen möchte und mit dolus directus 1. Grades zumindest vorübergehend wie ein Eigentümer über die Sache oder den in ihr verkörperten Sachwert verfügen möchte.
Problematisch ist, ob A die B dauerhaft enteignen wollte, da er schon zum Zeitpunkt des Wegfahrens beabsichtigte, das Auto später in das Parkhaus zurückzubringen. Ein Enteignungsvorsatz läge nur dann vor, wenn A zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hätte, dass B den Wagen nicht zurückerhält und diese Möglichkeit billigend in Kauf genommen hätte.
JURIQ-Klausurtipp
Achten Sie in der Klausur darauf, wann der Täter den Entschluss, die Sache zurückzuführen, fasst. Wird er erst nach der Wegnahme gefasst, so ist die Zueignungsabsicht unproblematisch.
Hätte A das Auto irgendwo abgestellt und es dem Zufall überlassen, ob das Auto gefunden wird oder nicht, so könnte man eine dauerhaft gewollte Enteignung eventuell bejahen. Hier hat A das Auto aber exakt dort abgestellt, wo er es entwendet hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass er glaubte, das Auto werde dort entweder von der bereits eingeschalteten Polizei, sicherlich aber von einem Mitarbeiter des Parkhauses gefunden. Damit kann dem A kein auf dauerhafte Enteignung gerichteter Vorsatz unterstellt werden.
Der subjektive Tatbestand ist damit nicht verwirklicht.
II. Strafbarkeit gem. § 246
A könnte sich gem. § 246 Abs. 1 wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben, indem er mit dem Fahrzeug das Parkhaus verließ.
Dann müsste A sich das Auto, welches wie bereits festgestellt eine fremde bewegliche Sache ist, objektiv zugeeignet haben. Umstritten ist, was unter Zueignung zu verstehen ist.
Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass die Handlung des Täters zu einer tatsächlichen, dauerhaften Enteignung des Eigentümers geführt haben muss[85] oder dass zumindest die konkrete Gefahr dieser Enteignung besteht.[86] Diesen Auffassungen ist allerdings entgegenzuhalten, dass sie die Unterschlagung zu sehr verengen auf die Fälle des zivilrechtlichen Eigentumsverlustes durch z.B. gutgläubigen Erwerb oder Vermischung. Rechtsprechung und überwiegende Lehre gehen von der Manifestationslehre aus, wonach sich ein auf Ent- und Aneignung gerichteter Wille (wie bei § 242, allerdings mit dem Unterschied, dass Absicht nicht verlangt wird) in einem äußerlich erkennbaren Akt manifestiert haben muss.
Zu unterscheiden ist zwischen der weiten und der engen Manifestationstheorie.[87] Nach der weiten Manifestationstheorie genügt jedes beliebige Verhalten, welches ein objektiver Beobachter bei Kenntnis des Tätervorsatzes als Betätigung des Zueignungswillens ansehen würde.[88]
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