Eine Tötung mit gemeingefährlichen Mittelnwird angenommen, wenn der Täter Tatmittel einsetzt, deren Wirkungsweise er im Einzelfall nicht sicher zu beherrschen vermag und die geeignet sind, eine größere Zahl von Menschen an Leib und Leben zu gefährden.
Die Rücksichtslosigkeit des Täters, der eine allgemeine Gefahr in Kauf nimmt, um sein Ziel zu erreichen, ist der Grund für die Aufnahme dieses Merkmals in den Tatbestand des § 211.[38]
Beispiel
A war Angestellter in einem mittelständischen Familienbetrieb und wurde vom Firmenchef aus betriebsbedingten Gründen entlassen. Mit dieser Entlassung ist das Leben des A nach dessen Ansicht zerstört. Um sich am ungeliebten Chef zu rächen, vergiftet er in der Kantine die an diesem Tag auf der Speisekarte stehende Erbsensuppe. Er geht davon aus, dass sein ehemaliger Chef, wie jeden Mittag, in der Kantine essen und infolge der Vergiftung sterben wird.
Hier liegt unstreitig eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln vor, da der A keinerlei Einfluss darauf hat, wer von dieser Suppe essen wird und es sehr wahrscheinlich ist, dass nicht nur der ehemalige Chef, sondern auch seine ehemaligen Kollegen die Suppe essen und sterben werden. Zur Erreichung des einen Zieles ist A mithin bereit, andere Menschenleben zu opfern. In diesem Vorgehen offenbart sich seine besonders rücksichtslose Gesinnung.
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Zu den gemeingefährlichen Mitteln gehören Feuer, Sprengstoffe, sowie radioaktive und giftige Stoffe, aber auch eine Schnellfeuerwaffe, mit welcher in die Menge geschossen wird, sowie ein gegen die Fahrtrichtung fahrendes Fahrzeug auf der Autobahn.
Beispiel
Im „Berliner Raser-Fall“ (s. Rn. 19) hat das LG Berlin [39] das Auto als gemeingefährliches Mittel angesehen, da der Täter die Kollision nicht sicher beherrschen konnte (fahren ein oder mehrere Autos in die Kreuzung ein und wie viele Insassen sitzen in den Autos?) und zudem aufgrund umherfliegender Autoteile die umstehenden Passanten hätten getroffen werden können.
Beachten Sie, dass es nicht tatsächlich zu einer konkreten Gefährdung gekommen sein muss, diese Gefährdung mussim Einzelfall nur möglich gewesen sein. Die Gemeingefährlichkeit scheidet demnach aus, wenn bei der konkreten Anwendung diese Möglichkeit nicht gegeben ist.
Beispiel
A zündet unter dem Auto des B, welches auf einem leeren Parkplatz geparkt ist, eine Bombe.
Die Gemeingefährlichkeit scheidet auch aus, wenn der Täter nur eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation zur Tat ausnutzt. Dies gilt selbst dann, wenn der diese Situation selbst geschaffen hat. Voraussetzung ist nämlich, dass der Täter bei der Tat das Mittel einsetzt, so dass eine gemeingefährliche Tötung durch Unterlassen nicht möglich ist.
Beispiel
A, der die Trennung von seiner Freundin F nicht verkraften kann, beschließt, aus dem Leben zu scheiden. Zu diesem Zweck öffnet er die Gasleitung in seiner in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung. Nach 15 Minuten schließt er den Gashahn wieder und telefoniert mit F, die daraufhin kurze Zeit später vorbeikommt, um ihre Sachen abzuholen. Er öffnet ihr die Türe und lässt es geschehen, dass F sich eine Zigarette anzündet. Die Flamme entzündet das Luft-Gas-Gemisch und bringt das Haus aufgrund einer Explosion zum Einsturz. A und F überleben wie durch ein Wunder, andere Hausbewohner haben weniger Glück.
Hier könnte sich A des Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen strafbar gemacht haben, indem er F nicht davon abhielt, sich eine Zigarette anzuzünden. Da A das Mittel aber nicht zielgerichtet zur Tötung der F einsetzte sondern nur eine zuvor ohne Tötungsvorsatz geschaffene Lage ausnutzte, hat der BGH , der wie die h.M. in der Literatur auch einen solchen Mord nicht für möglich erachtet, eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln verneint.[40] Anders wäre die Situation nur dann zu bewerten, wenn A schon bei der Gefahrverursachung mit Tötungsvorsatz gehandelt hätte. Hier könnte A jedoch nicht nachgewiesen werden, dass er an eine Gefährdung der Hausbewohner allein durch das Ausströmen des Gases in seiner Wohnung gedacht hatte.
2. Teil Straftaten gegen das Leben› C. Mord, § 211› V. Subjektiver Tatbestand
V. Subjektiver Tatbestand
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Im subjektiven Tatbestand ist zunächst der Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestandes zu prüfen. Dabei reicht dolus eventualis.
Bei den Mordmerkmalen „heimtückisch“ und „grausam“ haben Sie bereits im objektiven Tatbestand die entsprechenden subjektive Komponenten geprüft.
Des Weiteren sind hier die täterbezogenen, subjektiven Mordmerkmalezu prüfen. Die Prüfung erfolgt also wieder in zwei Schritten:
Schritt 1 |
Schritt 2 |
Vorsatz bezüglich des objektiven Tatbestandes |
Täterbezogene Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 |
Mordlust |
zur Befriedigung des Geschlechtstriebs |
Habgier |
sonstige niedrige Beweggründe |
zur Ermöglichung einer Straftat |
zur Verdeckung einer Straftat |
2. Teil Straftaten gegen das Leben› C. Mord, § 211› VI. Mordmerkmale der ersten Gruppe
VI. Mordmerkmale der ersten Gruppe
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Die Mordmerkmale der ersten Gruppe beschreiben das verwerfliche Motivzur Tatbegehung.
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Bei der Mordlust ist der Wunsch, einen anderen Menschen sterben zu sehen, einziger Zweck der Handlung.[41] In der Klausur wird Ihnen dieses Mordmerkmal eher selten begegnen. In der Praxis liegt bei solchen Tötungen zumeist eine verminderte oder gar aufgehobene Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 vor.
Aus Mordlusthandelt demnach, wer seine Befriedigung in dem Tötungsakt sucht.
Beispiel
F möchte einmal live und nicht nur im Kino erleben, was man empfindet, wenn man einem anderen beim Sterben zusieht. Zu diesem Zweck und um seinen Freunden zu imponieren überfällt er eines Abends den ihm körperlich unterlegenen Nachbarsjungen N, durchtrennt ihm mit einem gekonnten Schnitt die Halsschlagader und sieht ihm genüsslich beim Verbluten zu.
2. Zur Befriedigung des Geschlechtstriebes
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Zur Befriedigung des Geschlechtstriebstötet, wer zum einen schon im Tötungsakt die geschlechtliche Befriedigung sucht, darüber hinaus aber auch derjenige, der die geschlechtliche Befriedigung an der Leiche sucht. Auch der Sexualverbrecher, der das Opfer zur Ermöglichung seiner Tat würgt und dabei in Kauf nimmt, dass das Würgen den Todeseintritt zur Folge hat, handelt zur Befriedigung des Geschlechtstriebes.
Entscheidend ist, dass das Tötungsopfer identisch ist mit der Person, auf die sich das sexuelle Begehren richtet.[42] Ferner muss das Bedürfnis zum Zeitpunkt der mit Vorsatz ausgeführten Tötungshandlung vorliegen. Wie bei allen Mordmerkmalen der ersten Gruppe muss es das Motiv zur Tatbegehungsein.
Beispiel
A überfällt abends die zwei Freundinnen F und H. Um sich an F ungestört vergehen zu können, tötet A zunächst die H. In diesem Fall liegt keine Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebes vor, da keine Opferidentität gegeben ist. In Frage kommt jedoch eine Tötung zur Ermöglichung einer anderen Straftat. Sofern A danach jedoch auch die F während des Geschlechtsverkehrs würgt, um sie daran zu hindern, zu schreien und dabei bewusst den Tod in Kauf nimmt, handelt er darüber hinaus auch zur Befriedigung des Geschlechtstriebes.
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