c) Ähnliche geschäftliche Kontakte
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Ähnliche geschäftliche Kontakte (§ 311 II Nr. 3) erfassen diejenigen Fälle, in denen der rechtsgeschäftliche Kontakt eine der Nr. 1 und insbesondere der Nr. 2 vergleichbare Qualität und Dichte hat. Zu nennen sind die Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtsgeschäftlichem Charakterohne primäre Leistungspflicht[51].
2. Schuldverhältnis zu Dritten und Eigenhaftung Dritter
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Nach § 311 III können auch Dritte anspruchsberechtigt oder einem Anspruch aus culpa in contrahendo ausgesetzt sein[52].
a) Culpa in contrahendo beim Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
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Das zeigt sich etwa beim Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und soll an unserem Fall 9[53] illustriert werden. Die Mutter M betritt mit ihrem fünfjährigen Kind K den Teppichladen des T. Als M die gekaufte Ware bezahlen will, fällt eine Teppichrolle, die ein sorgsam ausgewählter und ansonsten immer untadeliger Angestellter des T unsorgsam abgestellt hat, auf K und verletzt das Kind schwer. Kann K von T Ersatz verlangen?
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1. K könnte gegen T einen Anspruch aus § 280 I 1 haben. Voraussetzung dafür ist ein Schuldverhältnis zwischen ihnen. Fraglich ist jedoch, ob ein Schuldverhältnis zwischen T und K bestand, da ein Vertrag nur zwischen T und M zustande gekommen ist. § 311 III 1eröffnet nunmehr aber ausdrücklich die Möglichkeit, dass ein Schuldverhältnis mit besonderen Schutzpflichten auch zu Personen entstehen kann, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Das trifft auf T und K grundsätzlich zu. Fraglich ist demnach, ob ein solcher Fall hier vorliegt. Hier könnte die Sonderverbindung durch ein Schuldverhältnis mit Schutzwirkung zugunsten Dritterbegründet sein, vermöge dessen K ein eigener vertraglicher Anspruch zustünde. Zu prüfen ist demnach, ob K in den Vertrag zwischen T und M einbezogen ist. Die Voraussetzungen eines solchen Schuldverhältnisses mit Schutzwirkung zugunsten Dritter[54] liegen vor: Die erforderliche Leistungsnähe besteht, weil K der Gefahr einer Schutzpflichtverletzungin gleicher Weise ausgesetzt ist wie M. Auch die Gläubigernähe ist gegeben, weil M als Mutter für das Wohl und Wehe ihres Kindes verantwortlich ist. Schließlich war für T erkennbar, dass ihn hier auch hinsichtlich des Dritten (K) Schutzpflichten treffen könnten. Die Schutzbedürftigkeit von K ist zu bejahen, da es keine eigenen vertraglichen Ansprüche hat. Mögliche deliktische Ansprüche sind dabei aufgrund der mitunter etwas verkürzend sog. „Schwäche“ des Deliktsrechts durch den fehlenden umfassenden Vermögensschutz, die Exkulpationsmöglichkeit bei der Haftung für Verrichtungsgehilfen sowie die fehlende Verschuldensvermutung nicht gleichwertig. Somit besteht ein Schuldverhältnis zwischen K und T in Gestalt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dieses zieht nach dem ausdrücklichen Verweis in § 311 III 1 auf § 241 II die Pflicht zu besonderer Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter des anderen Teils nach sich, die hier missachtet wurde. Den T selbst trifft zwar kein Verschulden; er muss sich jedoch die Pflichtverletzung und die Unachtsamkeit (§ 276 II) seines Angestellten nach § 278 S. 1 zurechnen lassen, weil dieser mit seinem Wissen und Wollen in seinem Pflichtenkreis in Erfüllung einer Verbindlichkeit tätig und somit sein Erfüllungsgehilfewar. Da ein Mitverschulden des K nach § 254 I 1 mangels Verschuldensfähigkeit nach § 828 I ausscheidet und auch keine Anzeichen für ein anrechenbares Mitverschulden der M (§§ 254 II 2, 278 S. 1) ersichtlich sind, haftet T dem K aus § 280 I 1 auf Schadensersatz.
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2. Ein Anspruch aus § 831 I 1 besteht nicht, weil sich T für den sorgsam ausgewählten Angestellten exkulpieren kann, § 831 I 2.
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§ 311 III 2normiert die bereits früher anerkannte und fallgruppenweise erschlossene Möglichkeit der Eigenhaftung eines Dritten[55].
aa) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens
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Erforderlich ist demnach, dass der andere Teil entweder auf die außergewöhnliche Sachkundeoder die besondere persönliche Zuverlässigkeit des Dritten vertraut hat[56], d. h. – mit den Worten von BGHZ 126, 181, 189– wenn der Dritte ein „zusätzliches, von ihm selbst ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen“ hervorgerufen hat und kein nur „normales Verhandlungsvertrauen“ beansprucht. Erforderlich ist mithin ein qualifiziertes Vertrauen[57]. Der Dritte muss also eine zusätzliche und gerade von ihm ausgehende Gewähr übernehmen[58]. Dieses Garantieelementsollte nach wie vor auch in der Fallbearbeitung eine entscheidende Rolle spielen.
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Soweit § 311 III 2 von einem „Vertrauen für sich“ spricht, ist dasselbe gemeint wie beim „persönlichen Vertrauen“[59]. Eine die Eigenhaftung begründende und rechtfertigende Stellung als Sachwalter, wie der Dritte in diesen Fällen bezeichnet wird, kann sich daher nicht aus dem schlichten Hinweis auf besondere eigene Sachkunde[60] oder dem bloßen Auftreten als Wortführer[61] und nicht einmal ohne weiteres aus dem Gerieren als ausgewiesener Fachmann ergeben[62]. Allerdings haftet ein Gebrauchtwagenhändler, der ein in Zahlung genommenes Kraftfahrzeug namens des Kunden verkauft, regelmäßig als Sachwalter persönlich[63].
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Das Wort „insbesondere“ in § 311 III 2 zeigt, dass es neben der ausdrücklich genannten Fallgruppe andere gibt und somit Raum für weitere Kriterien besteht[64]. Die Regelung entspricht damit der Tatsache, dass sich in Rechtsprechung und Schrifttum weitere Fallgruppenherauskristallisiert haben:
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Zu nennen ist zunächst der Sonderfall der Prospekthaftung, die eine Art „typisierten Vertrauens“[65] zum Gegenstand hat. Es geht dabei um die Einstandspflicht für unrichtige Angaben in Prospekten über Kapitalanlagen, wie sie vor allem bei der Beteiligung an einer Publikums-KG nicht selten unterlaufen.
(2) Unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse des Dritten
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Schwieriger zu beurteilen ist dies bei der Fallgruppe des persönlichen wirtschaftlichen Eigeninteresses. Ein solches kann der Dritte etwa als Bürge oder Gesellschafter einer GmbH haben. An einem Vertrauensmoment fehlt es in derartigen Fällen häufig. Daher ist die Rechtsprechung mit der Haftung des Dritten aufgrund wirtschaftlichen Eigeninteresses mittlerweile sehr zurückhaltend[66]. Die Fallgruppe beschränkt sich im Wesentlichen auf die Eigenhaftung des Vertreters, die insbesondere angenommen werden kann, wenn jemand in Wirklichkeit selbst an dem Geschäft interessiert ist und nur aus formalen Gründen als Vertreter handelt, weil er ansonsten eigene Verpflichtungen gegenwärtigen müsste[67].
3. Culpa in contrahendo des Minderjährigen?
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Im Schnittpunkt zum Allgemeinen Teil steht die Frage, ob auch der Minderjährige aus culpa in contrahendo gemäß §§ 311 II, 280 I 1, 241 II haftet. Soweit darin zugleich ein Betrug liegt, hat er dafür in den Grenzen der Deliktsfähigkeit (§ 828) und Strafmündigkeit (§§ 19 StGB, 3 JGG) deliktisch einzustehen (§ 823 II i. V. m. § 263 StGB)[68]. Vertraglich haftet der Minderjährige entsprechend § 179 III 2 hier jedoch höchstens, wenn der gesetzliche Vertreter dem Eintritt der Vertragsverhandlungen zugestimmt hatte[69], da dies sonst den Minderjährigenschutz unterlaufen würde. Für den Fall, dass der Minderjährige sich beim Vertragsschluss für einen Volljährigen ausgibt, dürfte zudem § 109 IIeine abschließende Sonderregelung darstellen[70].
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