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B. Anspruch des A auf Entschädigung in Geld
I. Anspruch des A auf Entschädigung i. H. v. 6000,– € gem. § 15 II 1 AGG
A könnte gegen die D-GmbH einen Anspruch auf Entschädigung i. H. v. 6000,– € aus § 15 II 1 AGG haben.
A könnte ein Anspruch auf angemessene Entschädigung gem. § 15 II 1 AGG zustehen, wenn die D-GmbH gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 AGG verstoßen hätte.
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Als Stellenbewerber fällt A gem. § 6 I 2 AGG in den persönlichen Anwendungsbereichder §§ 6 ff. AGG. Auch die D-GmbH fällt als Arbeitgeberin gem. § 6 II 1 AGG in den persönlichen Anwendungsbereich.
Es müsste weiter eine Benachteiligunggem. § 7 AGG vorliegen. A könnte wegen seines Alters nicht eingestellt worden sein. Darin läge eine Benachteiligung wegen eines Grundes gem. § 1 AGG, und zwar ein Fall der unmittelbaren Diskriminierung nach § 3 I 1 AGG. Die Entscheidung über die Auswahl unter den Bewerbern wurde jedoch nicht unmittelbar mit dem Alter des A begründet. Vielmehr wurde A mit dem Hinweis abgelehnt, er sei Vater einer „jungen Familie“, also ein Vater kleiner Kinder. Darin liegt keine unmittelbare Diskriminierung, weil grundsätzlich (jedenfalls männliche) Arbeitnehmer jeden Alters eine „junge Familie“ haben können.
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Es könnte jedoch eine mittelbare Diskriminierunggem. § 3 II AGG wegen des Alters vorliegen. Es könnte ein dem Anschein nach neutrales Kriterium gem. § 3 II AGG, nämlich die Eigenschaft als „junger Familienvater“, den A in besonderer Weise benachteiligt haben. Dafür ist es grundsätzlich erforderlich, dass von einer (potentiellen) Ablehnung statistisch gesehen erheblich mehr junge als alte Stellenbewerber betroffen wären.[7] Dies ist der Fall, denn es gibt in der Altersgruppe der 25- bis 40-jährigen Männer einen wesentlich höheren Anteil an „jungen Familienvätern“ als in der Altersgruppe der hier offenbar bevorzugten 40- bis 55-jährigen Arbeitnehmer. Es könnte demnach eine mittelbare Diskriminierung vorliegen.
Exkurs/Vertiefung:Die Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung ist mit vielen Zweifelsfragen behaftet. Der Klausurschreiber sollte sich hier nicht zu allzu tiefgehenden theoretischen Erörterungen hinreißen lassen. Vgl. auch die Ausführungen im Repetitorium unter II, Rz. 40.
Eine mittelbare Diskriminierung liegt aber schon tatbestandlich gem. § 3 II AGG nicht vor, wenn die benachteiligende Regelung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigtund das eingesetzte Mittel zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich ist.
Exkurs/Vertiefung:In der Sache ist eine dem Studierenden aus dem öffentlichen Recht bekannte Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Die nachfolgend angeführte Rechtsprechung des EuGH muss dem Studierenden nicht bekannt sein. Es genügt eine gute Argumentation.
Allgemein hat der EuGH ausgeführt, dass eine mittelbare Diskriminierung nur notwendig ist, wenn die Maßnahme der Verwirklichung eines wirklichen unternehmerischen Bedürfnisses dient. Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Geschlechterdiskriminierung dürfen Arbeitnehmer mit höherem Erfahrungswissen oder einer besonderen Qualifikation bevorzugt werden.[8] Dasselbe gilt für Arbeitnehmer, welche eine qualitativ oder quantitativ höhere Arbeitsleistung erbringen.[9] Aber die Bevorzugung von Arbeitnehmern aufgrund einer pauschal behaupteten höheren ,,Motivation" ist keine Rechtfertigung.[10] Auch kann eine Diskriminierung bei der Einstellung nicht durch Umstände gerechtfertigt werden, welche erst im Laufe des Arbeitsverhältnisses zu Tage treten.[11]
Hier wurde die Ablehnung des A damit gerechtfertigt, dass er in seiner Eigenschaft als Familienvater nicht über die nötige Risikofreudigkeit verfüge. Eine nur behauptete fehlende Einsatzfreude ist keine Rechtfertigung. Ob A tatsächlich weniger risikofreudig und einsatzbereit ist, würde sich zudem erst nach Vertragsschluss zeigen. Wenn die D-GmbH sich darauf hätte stützen wollen, hätte sie mit den Bewerbern entsprechende Einstellungstests machen können.
Denkbar für die Ablehnung wäre weiter eine etwaig fehlende Erfahrung des A. Zwar hat A Erfahrungen gesammelt, aber es könnte ihm an der für diese Tätigkeit möglicherweise erforderlichen „Lebenserfahrung“ fehlen. An diesem Umstand wurde die Ablehnung jedoch nicht festgemacht. Zudem ist die Lebenserfahrung sehr vom persönlichen Schicksal abhängig und korreliert nicht zwingend mit dem Lebensalter.
Damit ist eine mittelbare Diskriminierung gem. § 3 II AGG gegeben.
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Liegt eine Benachteiligung nach § 3 II AGG vor, kann diese zulässig sein, wenn sie nach § 8 AGG oder nach § 10 AGG gerechtfertigt ist.
Nach § 8 I AGGist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn die Eigenschaft eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies trifft für das hier vom Arbeitgeber gewünschte „höhere Alter“ nicht zu.
Eine unterschiedliche Behandlung ist hier auch nicht nach § 10 AGGzulässig. Zwar ermöglicht § 10 S. 1, 2, 3 Nr. 1 AGG die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung mit dem Ziel, die berufliche Eingliederung von älteren Beschäftigten zu sicherzustellen. Dies wird von der D-GmbH jedoch hier nicht vorgetragen.
Die Ablehnung des A war damit nicht gerechtfertigt.
A muss den Anspruch innerhalb der Ausschlussfrist des § 15 IV AGG geltend machen.[12]
Es liegt eine Benachteiligung gem. § 7 AGG vor. Die D-GmbH muss A daher eine angemessene Entschädigung zahlen. Ein Verschuldenserfordernis besteht nicht.[13] Weiter muss für einen Entschädigungsanspruch nicht besonders festgestellt werden, dass ein immaterieller Schaden eingetreten ist; der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist ausreichend.[14] Für die Bemessung der Höhe der Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wie die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und ihre Folgen, Anlass und Beweggründe des Benachteiligenden, das Maß an Verantwortlichkeit des Benachteiligenden sowie von diesem möglicherweise geleistete Wiedergutmachungen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Höhe von 6000,– € angemessen. A hätte als bestqualifizierter Bewerber die Möglichkeit gehabt, einen dauerhaften Arbeitsplatz zu erlangen. Selbst wenn A nicht der am besten qualifizierte Bewerber gewesen wäre, hätte die Entschädigung diese Höhe gem. § 15 II 2 AGG erreichen können.
II. Anspruch des A auf Ersatz der 15,– € für die Fahrt zum Vorstellungsgespräch gem. § 15 I AGG
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A könnte gegen die D-GmbH einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 15,– € aus § 15 I AGG haben.
Die D-GmbH hat gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 AGG verstoßen (oben I. 2. bis 4., Rz. 26 bis 28).
Die D-GmbH müsste die Benachteiligung gem. § 15 I 2 AGG zu vertreten (§§ 276, 278 BGB) haben. Sie hat P in ihren vorvertraglichen Pflichtenkreis gegenüber den Stellenbewerbern eingesetzt. Das Verschulden des P muss sich die D-GmbH gem. § 278 BGB zurechnen lassen.[15]
Exkurs/Vertiefung:Ob und inwieweit § 15 I 2 AGG mit europäischem Recht in Einklang steht, ist umstritten.[16] Da die Voraussetzungen hier jedoch vorliegen, braucht dies nicht weiter problematisiert zu werden.
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