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Hier könnte die Einstellung gem. § 99 II Nr. 1 BetrVGgegen ein Gesetz verstoßen. Diese Vorschrift berechtigt den Betriebsrat allerdings nicht, in jedem Fall eines Verstoßes gegen zwingendes Recht die Zustimmung zu verweigern. Der Betriebsrat wird durch die Norm nicht zum „Hüter des zwingenden Rechts“.[26]
Notwendig ist, dass die personelle Maßnahme als solche, also die Einstellung, gegen zwingendes Recht verstößt. Dies ist bei einer Einstellung, die gegen ein Diskriminierungsverbot verstößt, anzunehmen.[27] Als zwingende Norm kommt daher § 7 AGG in Betracht. Die Wertung des § 15 Abs. 6 AGG steht dem nicht entgegen, da auch über den Betriebsrat nicht die Einstellung des diskriminierten Bewerbers erreicht werden kann.[28]
Hier liegt jedoch kein Verstoß gegen § 7 I AGG vor. A wurde hier nicht mittelbar oder unmittelbar aufgrund eines Merkmals gem. § 1 AGGbenachteiligt. Vielmehr wurde Y aufgrund seiner persönlichen Bekanntschaft mit P bevorzugt. Die Einstellung des Y verstieß damit nicht gegen zwingendes Recht.
Möglich ist aber, dass ein Verstoß gegen eine Auswahlrichtlinie gem. §§ 99 II Nr. 2 , 95 BetrVGvorliegt.
Der Betriebsrat und die D-GmbH haben eine Auswahlrichtlinie gem. § 95 I BetrVG geschlossen. Nach den Vorgaben der Richtlinie hätte A eingestellt werden müssen. Demnach liegt ein Verstoß gegen die Richtlinie vor. Ein Verstoß ist aber nur zu bejahen, wenn die Auswahlrichtlinie selbst wirksam ist.
Die Auswahlrichtlinie könnte gegen § 75 I BetrVG verstoßen, da sie die älteren Bewerber benachteiligt. Die Norm bezieht sich jedoch nur auf im Betrieb tätige Mitarbeiter. Die Frage, ob sich aus dem Überwachungsgebot des § 75 I BetrVG überhaupt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung ergeben könnte, kann daher dahinstehen.
Die Auswahlrichtlinie könnte weiter gegen § 7 AGG verstoßen. Nach § 7 II AGG sind auch Betriebsvereinbarungen unwirksam, die eine Benachteiligung wegen des Alters darstellen. Die Bevorzugung jüngerer Stellenbewerber stellt eine unmittelbare Benachteiligung älterer Stellenbewerber gem. § 3 I 1 AGG dar.
Eine Rechtfertigung gem. § 8 oder § 10 AGG ist nicht gegeben.
Allerdings sieht § 5 AGG vor, dass sog. positive Maßnahmen zulässig sind, wenn durch sie in geeigneter und angemessener Weise bestehende Nachteile einer Gruppe von Merkmalsträgern ausgeglichen werden sollen.
Dies könnte es Arbeitgebern und Betriebsrat gestatten, eine sog. „Minderheitenquote“ für jüngere Stellenbewerber einzuführen. § 5 AGG könnte jedoch seinerseits unwirksam sein.
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§ 5 AGG könnte gegen Art. 7 I der Richtlinie 2000/78[29] verstoßen, nach der „positive Maßnahmen“ durch die Mitgliedstaaten, nicht aber durch die privaten Arbeitgeber durchgeführt werden dürfen.
Exkurs/Vertiefung:Die Regelung ähnelt Art. 157 IV AEUV, nach dessen Wortlaut spezifische Vergünstigungen durch die Mitgliedstaaten , nicht aber durch die privaten Arbeitgeber durchgeführt werden dürfen. Diese Norm bezieht sich aber nur auf die Geschlechterdiskriminierung.
Es erscheint in der Tat widersprüchlich, dass ein privater Arbeitgeber wegen eines bestimmten Merkmals nicht diskriminieren darf, aber dann sogar eine kollektive Regelung mit eindeutig diskriminierendem Inhalt treffen können soll. Andererseits könnte Art. 7 I der Richtlinie 2000/78 es den Mitgliedstaaten möglicherweise gestatten, private Arbeitgeber zur Durchführung von positiven Maßnahmen zu ermächtigen.
Wegen der mangelnden horizontalen Direktwirkung der Richtlinie bleibt § 5 AGG als nationale Norm jedoch anzuwenden, selbst wenn ein Verstoß vorläge.
Exkurs/Vertiefung:Zur Wirkung von Richtlinien vgl. weiter Fall 7, Rz. 125.
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§ 5 AGG könnte aber gegen europäisches Primärrecht verstoßen. Nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Mangold[30] ist das „Verbot der Diskriminierung wegen des Alters“ als „allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts“ (jetzt: „Unionsrechts“) anzusehen. Das Verbot ergebe sich gem. Art. 6 II EUV aus den „verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten.“ Es kann weiter aus Art. 6 I EUV i. V. m. Art. 51 I, 21 I der Charta der Grundrechte der Europäischen Union[31] hergeleitet werden.
Das Verbot gilt als primärrechtlicher Grundsatz nicht nur im Verhältnis von Privaten zu Trägern hoheitlicher Gewalt, sondern es gilt ganz allgemein, also gerade auch im Verhältnis von privatem Arbeitgeber zu Arbeitnehmer.
Damit muss sich alles rangniedrigere Recht an diesem Recht messen lassen, d. h. alle einfachen Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge. Verstößt eine gesetzliche Regelung gegen das Verbot, ist sie „nicht anzuwenden“. Der nationale Richter muss sie inzident verwerfen.
Allerdings hat der EuGH diese Rechtsprechung nachfolgend wieder eingeschränkt. Das Verbot der Altersdiskriminierung habe nur unmittelbare horizontale Direktwirkung, wenn eine Anknüpfung zum Unionsrecht bestehe[32] bzw. wenn der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet sei.[33] Dies ist der Fall, wenn durch die im Streit stehende nationale Norm eine Richtlinie umgesetzt werden soll und die möglicherweise diskriminierende Maßnahme nach Ablauf der Umsetzungsfrist erfolgte. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da durch § 5 AGG gerade Art. 7 I der Richtlinie 2000/78 umgesetzt werden soll und die Maßnahme – hier die Einstellung – nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie (2.12.2006)[34] erfolgte.
Jedoch gilt das Verbot der Altersdiskriminierung auch dann nicht uneingeschränkt. Ein Verstoß scheidet grundsätzlich aus, sofern sich das rangniedere Recht im Rahmen dessen hält, was die Richtlinie 2000/78 zulässt. Nach Art. 7 I der Richtlinie 2000/78 könnte es – wie unter aa), Rz. 36bereits erwähnt – den Mitgliedstaaten gestattet sein, private Arbeitgeber zur Durchführung von positiven Maßnahmen zu ermächtigen.[35] Es kann jedoch nicht angenommen werden, dass Art. 7 I der Richtlinie 2000/78 eine solche Ermächtigungsgrundlage enthält. Diese ist im Wortlaut der Norm nicht einmal angedeutet. Insbesondere wäre zu erwarten, dass die Richtlinie angibt, welche Akteure zu derartigen Einschränkungen der Diskriminierungsverbote berechtigt wären (z. B. die Tarifvertragsparteien).
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Selbst wenn man aber sog. „private Quoten“ grundsätzlich für zulässig hielte, könnte die hier vereinbarte „starre Quote“, die die ausnahmslose Bevorzugung bei gleicher Eignung anordnet, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen, weil die Quote unverhältnismäßig ist. Dies entspräche im Ergebnis der Rechtsprechung des EuGH zur ehemaligen Bestimmung in Art. 2 IV der Richtlinie 76/207.[36] ,[37] Grundsätzlich müssen die Maßnahmen jedenfalls dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.[38] Die Anknüpfung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz würde auch hier gegen die Zulässigkeit einer „starren Quote“ sprechen. Zulässig wäre z. B. eine Quote mit Öffnungsklauseln wie „soweit nicht Gründe in der Person des älteren Mitbewerbers überwiegen.“
Damit ist § 5 AGG wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters nicht anzuwenden.
Die „Altersquote“ ist daher eine Benachteiligung wegen des Alters gem. § 7 I AGG. Die Betriebsvereinbarung ist gem. § 7 II AGG unwirksam.
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