1 ...8 9 10 12 13 14 ...56 Als Beispiele seien genannt: Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz; Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (umgesetzt durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.1.2002). Besondere Bedeutung für das deutsche Privatrecht hat ferner die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien (2000/43/EG; 2000/78/EG; 2002/73/EG; 2004/113/EG) durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14.8.2006 ( Rn 86, 561a). Die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht bewirkt, dass sich die Privatrechtsordnungen der EU-Staaten zunehmend einander angleichen. Sie bedeutet zugleich einen Reformschub für die nationalen Zivilrechte.
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Vielfach wird eine einheitliche europäische Zivilrechtskodifikationgefordert, von der wir allerdings noch ein gutes Stück entfernt sind. Die nationalen Rechte unterscheiden sich nicht nur durch die Inhalte einzelner Regelungen, sondern durch ihre Systeme und durch die Sprache. Es müssten also ein gemeinsames System und eine wenigstens in Grundbegriffen übereinstimmende Rechtssprache gefunden werden. Diese Arbeit kann nur von der europäischen Rechtswissenschaft geleistet werden, die seit geraumer Zeit Anstrengungen zur Ausbildung eines gemeinsamen europäischen Privatrechts unternimmt. So hat eine Kommission für Europäisches Vertragsrecht („Lando-Kommission“) einen Entwurf über „Prinzipien des europäischen Vertragsrechts“ ausgearbeitet, der allerdings noch kein geltendes Recht darstellt. Die deutschen Juristen werden noch geraume Zeit mit dem BGB arbeiten, das allerdings im Begriffe ist, mehr und mehr nach europäischen Vorgaben umgestaltet zu werden.
Rechtsquellen:
St. Grundmann/K. Riesenhuber , Textsammlung Europäisches Privatrecht, 2. Aufl. 2012; R. Schulze/R. Zimmermann (Hg.), Basistexte zum Europäischen Privatrecht, 4. Aufl. 2012.
Literatur:
G. Alpa/M. Andenas , Grundlagen des Europäischen Privatrechts, 2009; Chr. v. Bar , Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Die Kernbereiche des Deliktsrechts, seine Angleichung in Europa und seine Einbettung in die Gesamtrechtsordnungen, Bd. 1, 1996; Bd. 2, 1999; Chr. v. Bar , Gemeineuropäisches Sachenrecht, Bd.1, 2015; Chr. v. Bar./R. Zimmermann/O. Lando , Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teile I-III, 2002–2005; B. Heiderhoff , Europäisches Privatrecht, 4. Aufl. 2016; H. Kötz , Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; K. Riesenhuber , EU-Vertragsrecht, 2013; R. Zimmermann , (Hg.), Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts. 2003; P. Hommelhoff , Zivilrecht unter dem Einfluss der europäischen Rechtsangleichung, AcP 192, 71; H. Roth , EG-Richtlinien und Bürgerliches Recht, JZ 1999, 529; A.-Chr. Mittwoch , Die Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa – auf dem Weg zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch?, JuS 2010, 767; R. Rebhahn , Zivilrecht und Europäische Menschenrechtskonvention, AcP 210, 489: P. A. Windel , Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für das Privatrecht, JR 2011, 323.
Zeitschrift:
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, seit 1993.
4. Die Abstraktheit des BGB
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Die Vorschriften des BGB weisen eine auffällige Abstraktheit auf, die es dem Juristen schwer, dem Laien oft unmöglich macht, den Gesetzestext zu verstehen. Dabei ist zu bedenken: Jedes Gesetz muss allgemein gehalten sein, da es typischerweise nicht für einen Fall, sondern für eine Vielzahl gleicher Fälle gelten will. Jedoch gibt es verschiedene Grade der Abstraktion.
Nehmen wir zB den Mietvertrag, den ein Student mit dem Eigentümer eines privaten Studentenheims über die Miete eines möblierten Zimmers schließt. Die gesetzliche Regelung eines Mietvertrags (§ 535) kann relativ konkret oder relativ abstrakt erfolgen. Denkbar wäre, dass das Gesetz
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speziell die Miete von möblierten Zimmern in Wohnheimen |
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oder allgemeiner: die Miete von möblierten Wohnräumen |
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oder allgemeiner: die Miete von Wohnräumen |
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oder allgemeiner: die Miete von Räumen |
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oder allgemeiner: die Miete von Sachen (= körperlichen Gegenständen, § 90) |
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oder allgemeiner: die Miete von beliebigen Gegenständen regelt. |
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Wofür sich der Gesetzgeber entscheidet, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Regelt er die Verhältnisse konkret, so wird das Gesetz umfangreich; es wird viele Wiederholungen geben. So werden die Rechtsprobleme für die Miete von möblierten Wohnheimzimmern und anderen möblierten Zimmern fast dieselben sein. Die Miete von möblierten und unmöblierten Wohnräumen wird vielfach die gleichen Rechtsfragen aufwerfen. Wählt das Gesetz die allgemeinste Regelung, so wird das Gesetz zwar kurz; aber die abstrakten Begriffe verdecken die Vielgestaltigkeit der normierten Realität und vernachlässigen deren spezifische Eigenarten und Probleme. Die Normen über die „Miete von Sachen“ betreffen dann die Wohnraummiete ebenso wie die Miete von Geschäftsräumen und in gleicher Weise die Miete von Automobilen, Produktionsmaschinen und Büchern. Gegenüber den realen Lebensverhältnissen werden die gesetzlichen Vorschriften auf diese Weise blass. Die Schöpfer des BGB neigten einer möglichst abstrakten Fassung der Normen zu. So wurde zum Beispiel das Mietrecht allgemein für die Miete von Sachengeregelt, während die Besonderheiten einzelner Mietgegenstände an verschiedenen Stellen durch besondere Vorschriften berücksichtigt wurden.
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Insgesamt ergibt sich folgender Aufbau:
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Voran stehen allgemeine Regelungen für Mietverträge über Sachen (§§ 535–548), die gelten, sofern die folgenden Spezialvorschriften in Bezug auf bestimmte Mietgegenstände keine anderweitige Anordnung treffen. |
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Ausführlich ist dann das Recht der Miete von Wohnräumen geregelt (§§ 549–577a). Innerhalb dieser Vorschriften wird dann aber bei einzelnen Rechtsfragen weiter differenziert (zB in § 549 II, III: Miete von Wohnraum zu vorübergehendem Gebrauch, Untervermietung von möblierten Wohnräumen, Vermietung von Wohnraum in Studenten- und Jugendwohnheimen, etc). |
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Schließlich bringt das Gesetz weitere Regeln für „Mietverhältnisse über andere Sachen“ (§§ 578–580a), bei denen weiter zwischen den Mietgegenständen differenziert wird (Grundstücke, Räume, die keine Wohnräume sind, Schiffe, bewegliche Sachen, etc). |
Sehr übersichtlich ist das Ganze nicht. Will der wohnungssuchende Student nachsehen, welche Normen für die Anmietung eines Zimmers im Studentenwohnheim einschlägig sind, so wird er zunächst den Untertitel über die Wohnraummiete aufschlagen (§§ 549 ff). Aus § 549 III erfährt er aber, dass eine ganze Reihe von Mietvorschriften über Wohnraum für die Anmietung eines Zimmers im Wohnheim gerade nicht gelten. Andererseits sind auch die allgemeinen Vorschriften über die Miete beliebiger Sachen (§§ 535–548) einschlägig, soweit sie nicht durch die nachfolgenden Vorschriften über die Wohnraummiete verdrängt werden. Für die Miete eines Zimmers in einem Studentenwohnheim gilt also ein „Paragraphenmenü“, das man sich aus dem Gesetz sorgfältig zusammenstellen muss.
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Allgemein gesprochen ist das BGB – von einigen Partien wie dem viel belachten Bienenrecht (§§ 961–964) abgesehen – im Bestreben nach Abstraktion sehr weit gegangen. Das Gesetzbuch bemüht sich, durch Bildung von Oberbegriffen alle Verhältnisse zu erfassen und Regelungslücken zu vermeiden. Der Preis dafür besteht in der Unverständlichkeit für Laien und im Verschwinden der normierten sozialen Verhältnisse aus dem Blickfeld. Das BGB verwendet eine dem Nichtjuristen fremd anmutende Kunstsprache, welche die ohnehin empfundene Kluft zwischen „juristischem Denken“ und „gesundem Menschenverstand“ vertieft. Man muss freilich bedenken, dass die juristische Terminologie sich notwendig in gewissem Grade von der Alltagssprache entfernt. Gerade in einer Zivilisation, deren Lebensprobleme durch die ökonomisch-technische Entfaltung immer verwickelter werden, ist das Projekt eines allgemein verständlichen Gesetzbuchs, aus dem jedermann unschwer Recht und Unrecht entnehmen kann, eine Utopie. Gesetze und Rechtswissenschaft bedürfen, um die Problemkerne einer Unzahl von Einzelkonflikten herauszuarbeiten und miteinander vergleichbar zu machen, einer in sich möglichst stimmigen Terminologie, die mit der Umgangssprache gar nicht identisch sein kann. Die Frage ist nur, wie weit sich diese Terminologie davon entfernen muss. Ein Zurück zu einer volkstümlichen Gesetzessprache scheint heute als Illusion. Die heutige Gesetzgebung treibt das Auseinanderklaffen von natürlichem Wortsinn und rechtstechnischer Begrifflichkeit sehr viel weiter als einst das BGB und auch viel weiter als nötig.
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