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Andere Personen als die in § 138 Abs. 1 StPO Genannten können vom Gericht nach § 138 Abs. 2 StPO als Verteidiger zugelassen werden. Die Genehmigung setzt einen Antrag an das Gericht voraus. Ist das Verfahren noch nicht bei einem Gericht anhängig, entscheidet in entsprechender Anwendung des § 141 Abs. 4 StPO das für das Hauptverfahren zuständige Gericht in der Besetzung, die für die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung zuständig ist.[13]
10
Die Vorschrift des § 138 Abs. 2 StPO hat insbesondere Bedeutung für ausländische Rechtsanwälte, die nicht unter das EuRAG fallen (s.o. Rn. 4)[14] und im gerichtlichen Verfahren für den Personenkreis des § 392 AO im Fall der Alleinverteidigung (s. nachf. Rn. 12). Möglich ist auch die Zulassung eines Syndikusanwalts, wenn er wegen § 46 BRAO nicht als Verteidiger für einen Beschuldigten tätig werden darf; dies ist gerade bei rechtlichen Spezialgebieten wie dem Steuerrecht denkbar.[15] Im Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) kann die Verteidigung nur gemeinsam mit einem Verteidiger aus dem Kreis des § 138 Abs. 1 StPO geführt werden.[16]
c) Steuerberatende Berufe
aa) Verteidigung im Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenverfahren
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§ 392 AO erweitert den Kreis der zur Verteidigung in Steuerstrafsachen befugten Personen. Im so genannten selbstständigen Steuerstrafverfahren können auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer zur alleinigen Verteidigung gewählt werden, dies gilt auch für das Bußgeldverfahren, § 410 Abs. 1 Nr. 3 AO.[17]
bb) Zeitliche Beschränkung
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Die Befugnis zur Alleinverteidigung endet, sobald die Staatsanwaltschaft oder das Gericht mit dem Verfahren befasst sind.[18] Ab diesem Zeitpunkt kann die Verteidigung nur noch gemeinsam mit einer der Personen des § 138 Abs. 1 StPO geführt werden. Diese Mitverteidigung bedarf nicht der Genehmigung gem. § 138 Abs. 2 StPO.[19] Die Alleinverteidigung durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe im Fall der nicht notwendigen Verteidigung kann das Gericht wiederum gem. § 138 Abs. 2 StPO genehmigen.[20] Im Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO ist eine Alleinverteidigung durch den Personenkreis des § 392 AO nicht möglich. Für die Verteidigerbestellung nach § 408b StPO (Erlass eines Strafbefehls mit Verhängung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr mit Bewährung) ist zu differenzieren: Beantragt die Finanzbehörde nach § 400 AO den Strafbefehl, kann der Verteidiger noch aus dem Personenkreis des § 392 AO bestellt werden. Ist das Verfahren jedoch auf die Staatsanwaltschaft übergegangen oder wurde es von der Staatsanwaltschaft von Anfang an geführt, scheidet der Personenkreis als selbstständiger Verteidiger aus und kann daher kraft Gesetzes nicht zum Verteidiger nach § 408b StPO bestellt werden. Im Hinblick auf die Streitfrage, ob der Personenkreis des § 392 AO gegen einen Strafbefehl überhaupt wirksam Einspruch einlegen kann (s. nachf. Rn. 12) und darauf, dass eine Verteidigung in der Hauptverhandlung wiederum nur gemeinsam mit einem Verteidiger nach § 138 Abs. 2 StPO erfolgen kann (wobei höchst umstritten ist, ob die Bestellung nach § 408b StPO nur für das Einspruchsverfahren oder darüber hinaus auch für die Hauptverhandlung gilt),[21] wird die Bestellung eines Verteidigers nach § 408b StPO aus dem Personenkreis des § 392 AO auch im Fall eines Strafbefehlantrags durch die Finanzbehörde schon aus praktischen Gründen nicht erfolgen, da bei erfolgtem Einspruch in der Hauptverhandlung die Verteidigung wieder nur gemeinsam mit einem Verteidiger nach § 138 Abs. 1 StPO geführt werden kann.
13
Die Frage, ob der Einspruch gegen einen im selbstständigen Steuerstrafverfahren erlassenen Strafbefehl von dem Personenkreis des § 392 Abs. 1 AO selbstständig eingelegt werden kann, ist umstritten.[22] Um alle denkbaren Schwierigkeiten zu vermeiden, sollte der Beschuldigte den Einspruch persönlich einlegen oder durch einen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer i.S.d. § 138 Abs. 1 StPO einlegen lassen.
14
Diese zeitliche Begrenzung der Alleinverteidigung durch den steuerlichen Berater ist neben der Problematik seiner „Involvierung“ in den strafrechtlichen Vorwurf (s.u. Rn. 26) sicher ein Hauptargument für die frühzeitige Übertragung zumindest eines Mitverteidigungsmandats auf einen Verteidiger nach § 138 Abs. 1 StPO .
cc) Sachliche Beschränkung
15
Die Verteidigungsbefugnis nach § 392 AO ist sachlich auf Steuerdelikte beschränkt.Sind weitere Straftatbestände Gegenstand der Ermittlungen oder einer Anklage, erstreckt sich die Verteidigungsbefugnis hierauf nicht; im Ermittlungsverfahren bedarf es daher eines Verteidigers i.S.d. § 138 Abs. 1 StPO, im Fall der Anklage wird durch die zeitliche Beschränkung der Alleinverteidigungsbefugnis des Steuerberaters die Zuziehung eines zweiten Verteidigers notwendig. Eine Mitverteidigung durch den Angehörigen der steuerberatenden Berufe auch bezüglich der nicht steuerstrafrechtlichen Tatkomplexe bedarf der Genehmigung nach § 138 Abs. 2 StPO. Das Ermessen wird in der Praxis nicht einheitlich ausgeübt.[23] Nach einer neuen, zuzustimmenden Entscheidung ist der Steuerberater als Verteidiger zwingend für andere Straftaten zuzulassen, wenn diese in einem engen Zusammenhang mit den Steuerstraftaten stehen wie z.B. bei Lohnsteuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB.[24]
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Die gemeinschaftliche Verteidigung i.S.d. § 392 Abs. 1, 2. Halbsatz AO beinhaltet eine Beschränkung der Handlungsbefugnis von Steuerberater, Steuerbevollmächtigtem, Wirtschaftsprüfer oder vereidigtem Buchprüfer. Es bleiben ihnen zwar bestimmte Verteidigungsakte zur selbstständigen Wahrnehmung erhalten wie z.B. Akteneinsicht, freier Verkehr mit dem Beschuldigten, Anwesenheitsrecht, Fragerecht.[25] Prozesshandlungen, wie insbesondere Beweisanträge und Rechtsmittelerklärungen, können jedoch nach ganz h.M. nur in Übereinstimmung mit dem Rechtsanwalt oder Rechtslehrer abgegeben werden.[26] Der Rechtsanwalt oder Rechtslehrer muss daher die Rechtsmittelerklärungen zumindest mit unterzeichnen oder innerhalb der Rechtsmittelfrist sein Einverständnis zur Rechtsmitteleinlegung erklären[27] oder eine Zustimmung zu einem vom Mitverteidiger gestellten Beweisantrag schriftlich oder zu Protokoll abgeben.
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› I. Der Verteidiger im Steuerstrafverfahren› 2. Tatsächliche Befähigung
2. Tatsächliche Befähigung
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Das Steuerstrafrecht stellt an den Verteidiger besondere Anforderungen.[28]
Die Steuerstrafgesetze, insbesondere die Tatbestände des § 370 AO sind in der Regel als Blankettstrafgesetze normiert, die durch die Steuergesetze ausgefüllt werden. Der objektive Tatbestand des § 370 AO z.B. verlangt daher zunächst eine steuerrechtliche Prüfung. Dies bedeutet, dass eine Verteidigung in Steuerstrafsachen zumindest Grundkenntnisse des Steuerrechts voraussetzt. Je komplexer und diffiziler nun die steuerliche Seite eines Falles ist, umso höher sind die Anforderungen an die notwendigen steuerrechtlichen Kenntnisse. Der Strafverteidiger stößt hier in der Regel sehr schnell an seine Grenzen.[29]
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Umgekehrt ist der Angehörige der steuerberatenden Berufe bald überfordert, wenn es um die andere Seite des Steuerstrafrechts geht: Die materiell-strafrechtlichen Aspekte wie z.B. Teilnahme, Versuch, Irrtum, subjektive Vorwerfbarkeit etc., die prozessualen Fragen in den einzelnen Verfahrensabschnitten und schließlich insbesondere die forensische Erfahrung, die gerade in einer Hauptverhandlung unentbehrlich ist.[30] Man denke hierbei nur an die Taktik und Technik der Zeugenvernehmungen oder an das Beweisantragsrecht.
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