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Die Tätigkeit von zwei Verteidigern verlangt absolute Kooperation.[51] Dies beginnt mit vollständigem Informationsaustausch, so dass der Wissensstand beider Verteidiger stets identisch ist. Verteidigungsstrategie und Verteidigungsziel müssen vorab festgelegt und von beiden Verteidigern gleichermaßen getragen werden. Nichts ist abträglicher als versteckte oder gar offen zutage tretende Disharmonie der Verteidiger, die dann möglicherweise gegeneinander ausgespielt werden. Gemeinsame Verteidigung verlangt daher Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit.
d) Mehrere Verteidiger und mehrere Beschuldigte
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Gemeinschaftliche Verteidigung muss auch unter dem Aspekt mehrerer Beschuldigter mit mehreren Verteidigern gesehen werden. Eine Koordinierung der Verteidiger durch Informationsaustausch und Verteidigerbesprechungen ist grundsätzlich zulässig und notwendig.[52] Grenzen sind allein dadurch gesetzt, dass die Verteidigung nicht zu einer verfahrenswidrigen Kollusion werden darf, die in einer Strafvereitelung mündet. Gerade die steuerrechtliche Seite des Verfahrens ist in der Regel eine gemeinsame Grundlage der Verteidigung aller Beschuldigten, auf die die strafrechtliche Betrachtung für den Einzelnen, z.B. die Frage nach seinem Tatbeitrag, aufbaut. Daher ist es nicht nur zulässig sondern auch notwendig, dass die Verteidiger z.B. die steuerrechtliche Seite gemeinsam erörtern, um zumindest insoweit eine gemeinsame Verteidigungslinie zu finden. Denkbar ist auch eine darüber hinausgehende „ Basis-“ oder „ Sockelverteidigung“, solange es um Sach- oder Rechtsfragen geht, die für die Beschuldigten gleich gelagert sind.[53] Diese werden sich häufig gerade im objektiven Bereich finden, während im subjektiven Bereich die einzelnen Verteidigungspositionen differieren können.
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› I. Der Verteidiger im Steuerstrafverfahren› 4. Anzahl der Wahlverteidiger
4. Anzahl der Wahlverteidiger
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Die Zahl der Wahlverteidiger für einen Beschuldigten ist auf drei beschränkt, § 137 Abs. 1 S. 2 StPO. Besteht eine Sozietät aus mehr als drei Anwälten, empfiehlt es sich, in der Verteidigungsanzeige klarzustellen, wer den Beschuldigten vertritt.[54]
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› I. Der Verteidiger im Steuerstrafverfahren› 5. Pflichtverteidiger
5. Pflichtverteidiger
a) Notwendige Verteidigung nach § 140 StPO
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Hat der Beschuldigte keinen Wahlverteidiger, so ist ihm in den Fällen der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1, 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, sobald er gem. § 201 StPO zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert wird, § 141 Abs. 1 StPO. Eine Pflichtverteidigerbestellung im Vorverfahren erfolgt nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft, § 141 Abs. 3 StPO; ein entsprechender Antrag des Beschuldigten wird nur als Anregung an die Staatsanwaltschaft gesehen, einen entsprechenden Antrag zu stellen.[55] Einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger im Ermittlungsverfahren hat der Beschuldigte also nicht.
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Der wichtigste Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 StPO ist für Steuerstrafverfahren die Hauptverhandlung vor dem Landgericht, § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Die Schwere der Tat nach Abs. 2 richtet sich nach der zu erwartenden freiheitsentziehenden Maßnahme; diese beginnt in der Regel bei einem Jahr Freiheitsstrafe.[56] Die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage wird angenommen bei der Vielzahl von Tatvorwürfen und mehreren Hauptverhandlungstagen, Einschaltung eines Sachverständigen, unterschiedlicher rechtlicher Bewertung des Sachverhalts und dergleichen mehr.[57]
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Den Pflichtverteidiger bestellt der Vorsitzende des Gerichts gem. § 142 Abs. 1 S. 1 StPO. Der Beschuldigte hat danach keinen Anspruch darauf, dass der von ihm genannte Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt wird.[58] Dem Beschuldigten soll jedoch Gelegenheit gegeben werden, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen, § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO; diesen bestellt der Vorsitzende, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen, § 140 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Damit ist der Vorsitzende bei der Ausübung seines Ermessens gebunden. Grundsätzlich muss dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens beigeordnet werden.[59] Dies ist insbesondere beim bisherigen Wahlverteidiger der Fall.[60]
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Der Beiordnung eines auswärtigen Verteidigers steht § 142 Abs. 1 S. 1 StPO nicht entgegen, grundsätzlich geht auch hier das Vertrauensverhältnis vor.[61] Die Beiordnung eines Referendars, die nach § 142 Abs. 2 StPO grundsätzlich möglich ist, wird in Steuerstrafsachen kaum möglich sein, es sei denn der Referendar verfügt über eine steuerliche Ausbildung (s.o. Rn. 5).
51
Eine Beiordnung von mehreren Pflichtverteidigern ist möglich, wenn auf Grund des Umfangs und der Schwierigkeiten des Verfahrens hierfür ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine ausreichende Verteidigung zu gewährleisten.[62] Dies kann gerade in Steuerstrafverfahren aus den oben dargelegten Gründen gegeben sein. Auch die Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers muss nach den Grundsätzen des § 142 Abs. 1 StPO erfolgen.[63]
52
Die Entscheidung des Vorsitzenden, der dem Vorschlag des Beschuldigten oder dem Antrag der Verteidigung nicht entspricht, ist für den Beschuldigten, nicht für den nicht beigeordneten Verteidiger mit der Beschwerde anfechtbar.[64]
b) Der Sonderfall im Strafbefehlsverfahren
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Ein Pflichtverteidiger ist auch dann zu bestellen, wenn im Strafbefehlsverfahren gem. § 407 Abs. 2 S. 2 eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verhängt werden soll. Streitig ist, ob der nach § 408b S. 1 bestellte Verteidiger nur bis zur Einspruchseinlegung bestellt ist oder ob seine Bestellung das gesamte weitere Verfahren umfasst.[65] Die Praxis zeigt, dass § 408b StPO in der Regel ohnehin nur dort angewandt wird, wo bereits ein Verteidiger für den Beschuldigten tätig ist.
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› I. Der Verteidiger im Steuerstrafverfahren› 6. Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger
6. Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger
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Grundsätzlich hat der Wahlverteidiger den Vorrang vor dem Pflichtverteidiger. Dies ergibt sich aus § 143 StPO, wonach die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückzunehmen ist, wenn sich ein Wahlverteidiger legitimiert. Gleichwohl kann ein Pflichtverteidiger zusätzlich neben dem Wahlverteidiger bestellt werden. Die Rechtsprechung hält dies für zulässig, wenn sich im konkreten Fall die Gefahr abzeichnet, dass der Wahlverteidiger die zur reibungslosen Durchführung der Hauptverhandlung notwendigen Maßnahmen nicht treffen kann oder nicht treffen will, insbesondere wenn feststeht, dass er an der Hauptverhandlung nicht oder nicht vollständig teilnimmt.[66] Gerade in so genannten Großverfahren wird die Gefahr einer gelegentlichen Verhinderung des Wahlverteidigers oft angenommen und daher ein Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt.[67]
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Eine derartige Beiordnung kann weder der Angeklagte noch der Verteidiger verhindern. Zeichnet sich eine solche Beiordnung ab, sollte auch hier vom Angeklagten ein Vorschlag zur Bestellung der Pflichtverteidigung gemacht werden, um die Kooperation zwischen Wahl- und Pflichtverteidiger zu gewährleisten. Denn auch in diesem Fall ist dem Vorschlag des Angeklagten zu entsprechen, wenn nicht gewichtige Gründe entgegenstehen.[68] Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann durchaus im Interesse des Angeklagten und des Wahlverteidigers liegen und der Verteidigung Vorteile bieten. Auch hier muss es zu einer Kooperation kommen, wobei der Pflichtverteidiger den Vorrang des Wahlverteidigers anzuerkennen hat. Wo eine Kooperation nicht zu Stande kommt, muss der Wahlverteidiger darauf hinwirken, dass sich der Pflichtverteidiger auf eine passive Rolle beschränkt. Gezwungen werden kann er hierzu freilich nicht, auch nicht unter standesrechtlichen Gesichtspunkten. Dies kann zu unlösbaren Problemen führen.[69]
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