Das Steuergeheimnis ist in Steuerstrafverfahren ständiger Begleiter der zuständigen Mitarbeiter bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle und der Steuerfahndung. Der BGH verlangt, dass die Staatsanwaltschaft ständig über Fälle auf dem Laufenden gehalten wird, bei denen eine Evokation durch die Staatsanwaltschaft nicht fern liegt.[3] Dies findet seinen Niederschlag in Nr. 22 Abs. 2 und Nr. 140 AStBV(St) 2014. Dabei ist zu beachten, dass § 386 Abs. 4 AO nicht als Gesetz i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO angesehen werden kann, sondern in jedem Einzelfall die Offenbarungsbefugnisse abzuprüfen sind.[4]
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› III. Das Steuergeheimnis (§ 30 AO)› 2. Aufbau der Vorschrift
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Grundsätzlich gewährt das Steuergeheimnis über § 30 Abs. 2 AO umfassende Geheimhaltung aller personenbezogenen Daten („Verhältnisse eines anderen“ Nr. 1), darüber hinausgehend auch aller „fremden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ (Nr. 2). Die betreffenden Daten müssen hierfür aus einer bestimmten Quelle stammen („bekannt geworden in einem … Verfahren … [Nr. 1a, b], durch Mitteilung oder Vorlage von …“ [Nr. 1c]). Die Geheimhaltungspflicht des § 30 AO gilt nur für einen bestimmten Personenkreis (Abs. 1 u. 3). Den Schwerpunkt der gesetzlichen Regelung bildet Abs. 4, der in mehreren umfangreichen, detaillierten Regelungen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Geheimhaltungspflicht nicht gilt.
Die Offenbarung ist dabei zugelassen :
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durch Spezialgesetz (Nr. 2) oder mit Zustimmung des Betroffenen (Nr. 3) , die regelmäßig für die Offenbarung von Daten in einem Zivilrechtsstreit vonnöten ist; |
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für steuerliche Verfahren (Nr. 1) (Verwaltungs-, Gerichts- und Strafverfahren); |
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für andere Strafverfahren (Nr. 4) nur unter einschränkenden Voraussetzungen; |
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und im Übrigen , insbesondere auch für allgemeine Verwaltungsverfahren, nur bei „zwingendem öffentlichem Interesse “ (Nr. 5a–c) , das anhand von Regelbeispielen näher, wenn auch nicht abschließend umschrieben ist; |
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schließlich enthält Abs. 5 einen besonderen Rechtfertigungsgrund für die Offenlegung vorsätzlich falscher Angaben, während |
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Abs. 6 ergänzende Sonderregelungen für den automatisierten Abruf von Daten (EDV) trifft, |
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Abs. 7 schließlich passt die Vorschrift an die elektronische Kommunikation (§ 87a AO) an. |
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› III. Das Steuergeheimnis (§ 30 AO)› 3. Inhalt
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Den Inhalt des Steuergeheimnisses definiert § 30 Abs. 2 AO: Ziffer 1 erfasst alle Verhältnisse eines anderen , die
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in einem Verwaltungs-, einem Rechnungsprüfungs- oder einem gerichtlichen Verfahren in Steuersachen (a), |
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in einem Steuerstrafverfahren oder Bußgeldverfahren wegen einer Steuer ordnungswidrigkeit (b), |
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aus anderem Anlass durch Mitteilung einer Finanzbehörde, gesetzlich vorgeschriebene Vorlage eines Steuerbescheides oder einer Bescheinigung über die bei der Besteuerung getroffenen Feststellungen (c) |
bekannt geworden sind.
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Verhältnisse i.S.d. Ziffer 1 sind alle persönlichen, familiären, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Umstände und ihre steuerliche Behandlung.[5] Der Begriff umfasst alles, was das Finanzamt über eine Person weiß und zwar unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige an der Geheimhaltung ein Interesse hat. Geschützt sind jedoch nur personenbezogene Daten, die individualisiert oder individualisierbar sind. Die Verhältnisse eines anderen sind nicht nur auf den Steuerpflichtigen beschränkt, sondern betreffen auch andere Personen (Auskunftspersonen, steuerliche Berater u.Ä.). Darunter sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung auch Name und Verhältnisse von Informanten des Finanzamts (Anzeigeerstatter, Gewährsleute, V-Männer, so genannte „Denunzianten“) fallen.[6] Diese Auffassung findet immer schon Widerspruch in Rechtsprechung und Literatur,[7] ändert aber nichts an der Verwaltungspraxis. Zuletzt hat der BFH im Jahr 2006 deutlich gemacht, dass er dem Informantenschutz ein höheres Gewicht beimisst als dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen, solange die vertraulichen Informationen im wesentlichen zutreffend waren und zu Steuernachforderungen geführt haben.[8] Ist dies nicht der Fall, kann dies im Umkehrschluss nur bedeuten, dass im Strafverfahren wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB) das Steuergeheimnis gegenüber den Strafverfolgungsbehörden durchbrochen werden kann.[9]
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Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (Ziff. 2) sind alle Tatsachen des geschäftlichen oder betrieblichen Lebens, die nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und anderen Personen nicht ohne weiteres zugänglich sind.[10] Ziffer 3 schützt ausdrücklich den unbefugten Datenabruf der in einem Verfahren nach Nr. 1 gespeicherten Daten betreffend der persönlichen Verhältnisse eines anderen sowie fremder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse . Eine Verletzung der in Ziff. 1–3 umschriebenen Inhalte des Steuergeheimnisses ist jedoch nur bei unbefugtem Offenbaren oder Verwerten , bzw. bei unbefugtem Datenabruf gegeben. Offenbarung ist jedes ausdrückliche oder schlüssige Verhalten, aufgrund dessen Verhältnisse eines anderen bekannt werden können. Darunter sind mündliche, schriftliche oder elektronische Erklärungen, aber auch andere Handlungen und Gesten (z.B. Gewährung von Akteneinsicht, Kopfnicken) oder auch Unterlassungen zu verstehen. Sind die Verhältnisse bereits in allgemein zugänglichen Quellen wie z.B. den Medien bekannt gemacht worden, so ist begrifflich ein Offenbaren nicht mehr möglich. Diese Verhältnisse fallen nicht unter den Schutz des Steuergeheimnisses.
Unbefugt ist alles, was ohne einen der in Abs. 4 u. 5 als Durchbrechungen des Steuergeheimnisses abschließend aufgeführten Rechtfertigungsgründe geschieht.
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› III. Das Steuergeheimnis (§ 30 AO)› 4. Durchbrechungen
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Das Steuergeheimnis erfährt in § 30 Abs. 4 und Abs. 5 AO eine Vielzahl von Durchbrechungen. Hiernach ist die Offenbarung der in § 30 Abs. 2 AO geschützten Verhältnisse, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erlaubt. Bei der Entscheidung, ob dem Steuergeheimnis unterliegende Verhältnisse offenbart werden sollen ist zu berücksichtigen, dass das Steuergeheimnis auch dazu dient, die Beteiligten am Besteuerungsverfahren zu wahrheitsgemäßen Angaben zu veranlassen. Ist die Befugnis zur Offenbarung gegeben und besteht gleichzeitig ein Auskunftsanspruch, der für sich allein das Steuergeheimnis nicht durchbricht, z.B. § 161 StPO, so ist die Finanzbehörde zur Auskunftserteilung verpflichtet. Ein unbefugter Datenabruf bleibt bereits als solcher – unabhängig von einer Offenbarung oder Verwertung – ein rechtswidriger Verstoß gegen das Steuergeheimnis.
a) Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO
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Ziffer 1 beseitigt das Steuergeheimnis für das Besteuerungs- und das Steuerstrafverfahren und lässt damit einen umfassenden Informationsaustausch zwischen den Finanzbehörden zu. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das Steuergeheimnis weder das Besteuerungsverfahren noch das Steuerstrafverfahren bzw. das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten behindern darf.
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