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Auch bei steuerrechtlichen Vorfragen von grundsätzlicher Bedeutung verbleibt dem Strafrichter ein Ermessensspielraum zu der Frage, ob das Strafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt werden soll. |
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Eine „sonstige Leistung“ i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG liegt auch ohne eine solche erkennbare Erwerbstätigkeit bei der gelegentlichen Vermittlung eines Immobiliengeschäfts jedenfalls dann vor, wenn das Entgelt für die Vermittlung nicht zwischen den Beteiligten lediglich verrechnet wird.[52] |
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§ 396 AO ist eine speziellere Vorschrift und geht den §§ 154d, 262 Abs. 2 StPO vor.[53] Die Aussetzung kann solange dauern, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Während der Aussetzung des Verfahrens ruht die Verjährung, § 396 Abs. 3 AO.[54] Diese steuerstrafrechtliche Vorschrift hat Vorrang gegenüber der allgemeinstrafrechtlichen Bestimmung des § 78c Abs. 3 StGB, mit der Folge dass die absolute Verjährung bei Ruhen des Verfahrens im Zuge einer Aussetzung nach § 396 AO nicht eintritt, sondern die Verjährung praktisch um die Dauer des Ruhens ergänzt wird.[55] Eine zwingende Notwendigkeit zur Aussetzung des Verfahrens besteht nicht, weil der Strafrichter an die finanzgerichtliche Entscheidung nicht gebunden ist und ihm die Vorfragenkompetenz zusteht.[56] Selbst wenn er das Strafverfahren ausgesetzt hatte, um den Ausgang des Besteuerungsverfahrens abzuwarten, ist er rechtlich nicht gehindert, die im Strafverfahren bedeutsame steuerrechtliche Frage anders zu beurteilen als die Finanzbehörde oder das Finanzgericht.[57]
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Über die Aussetzung entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft, nach Anklageerhebung das Gericht; sofern das Ermittlungsverfahren von der Finanzbehörde selbstständig geführt wird, befindet sie über die Aussetzung des Strafverfahrens im Ermittlungsstadium (§ 399 Abs. 1 i.V.m. § 386 Abs. 2 AO).[58] Die Ermessensentscheidung muss die Abwägung des öffentlichen Interesses an Rechtssicherheit durch Verhütung widersprüchlicher Entscheidungen in derselben Rechtssache gegen die Interessen des Beschuldigten oder Angeklagten erkennen lassen, dem die Aussetzung des Strafverfahrens wegen ihrer urteilsverzögernden Wirkung manchmal durchaus willkommen ist.
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Die Aussetzungsmöglichkeit wird in der Praxis – wenn auch öfters – immer noch verhältnismäßig selten wahrgenommen.[59] Dem Gesetzeszweck des § 396 AO, widersprüchliche Interessen im Straf- und im Besteuerungsverfahren zu vermeiden, wird durch das dem Strafrichter eingeräumte Ermessen gesetzestechnisch nur unvollständig Rechnung getragen. Demzufolge ist auch umstritten, wann eine Aussetzung konkret in Betracht kommt.
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Die Sachverhaltsermittlung bleibt uneingeschränkt Aufgabe der Strafverfolgungsorgane, Zweifel zur Höhe der hinterzogenen Steuern sind ebenso wie Fragen zur inneren Tatseite nicht vorfragenrelevant .[60] Unklar ist, ob eine Aussetzung erst dann in Betracht kommt, wenn sich die Frage nach der Strafbarkeit auf das grundsätzliche Bestehen eines Steueranspruchs zuspitzt, wobei es nur noch um die Auslegung steuerlicher Rechtsfragen geht.[61] Eine Verpflichtung des Strafgerichts, das Verfahren zur Klärung steuerrechtlicher Vorfragen auszusetzen, wenn dadurch schwere Nachteile für den Angeklagten, wie z.B. eine öffentliche Hauptverhandlung vermieden werden können, wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt. Es ist lediglich von Amts wegen zu prüfen, ob das Strafverfahren ausgesetzt werden soll.[62]
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Die Aussetzungsverfügung bzw. der -beschluss muss klar zum Ausdruck bringen, aufgrund welcher der Vorschriften das Steuerstrafverfahren jeweils ausgesetzt wird. Dies hat Bedeutung für die Verjährung, denn nur bei der Aussetzung gem. § 396 AO ruht die Verjährung, während dies bei einer Aussetzung gem. §§ 154d, 262 StPO nicht der Fall ist.[63] Nicht nur nach Aufassung der Verwaltung ist § 396 AO als Ausnahmevorschrift zu dem in Art. 6 Abs.1 EMRK garantierten (strafprozessualen) Beschleunigungsgebot im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung zu verstehen und darf deshalb nur restriktiv angewendet werden.[64]
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Gegen die Aussetzungsverfügung der Staatsanwaltschaft, gleich ob sie die Aussetzung anordnet oder ablehnt, ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben, sondern nur die Dienstaufsichtsbeschwerde möglich. Dies gilt auch, wenn die Finanzbehörde über die Aussetzung im selbstständig geführten Ermittlungsverfahren entscheidet; der Beschuldigte kann sich hier noch an die Staatsanwaltschaft mit der Bitte wenden, dass sie das Strafverfahren an sich ziehe, § 386 Abs. 4 S. 2 AO.
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Hat das Gericht über die Aussetzung des Strafverfahrens entschieden, so ist auch hier ein gesondertes Rechtsmittel nicht gegeben. Gegen die Ablehnung eines Aussetzungsbegehrens gibt es keine Beschwerde nach § 305 StPO, weil sie mit den nachfolgenden Sachentscheidungen in engem Zusammenhang steht; die Entscheidung kann daher nur mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil angegriffen werden.
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Die Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss ist ausnahmsweise zulässig, wenn er der Vorbereitung des Urteils nicht dienlich, deshalb ohne inneren Zusammenhang mit ihm ist und nur verfahrenshemmend und -verzögernd wirkt, oder wenn er überhaupt gesetzeswidrig ist, weil die Voraussetzungen des § 396 AO nicht vorliegen.[65]
b) Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens
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Nach § 74 FGO kann [66] das Finanzgericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Entscheidung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Die Vorschrift entspricht § 363 AO. Die Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich, die Aussetzung kann jedoch angeregt werden. Bei einer Untätigkeitsklage nach § 46 FGO kann das Gericht das Verfahren aussetzen (§ 46 Abs. 1 S. 3 FGO), bei einem Vorlageverfahren nach Art. 100 GG an das BVerfG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen Norm muss es aussetzen.
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Die Durchführung eines den Fall betreffenden Strafverfahrens wird überwiegend als ein „ Rechtsverhältnis “ i.S.d. § 74 FGO angesehen,[67] nach der Rechtsprechung des BFH kommt es jedoch auf die Umstände des Einzelfalls an.[68] Die Entscheidung nach § 74 FGO ergeht durch Beschluss. Gegen diesen Beschluss ist für die Verfahrensbeschleunigung suchende Partei die Beschwerde gegeben, § 128 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 letzter Hs. FGO.
c) Aussetzung des Verwaltungsverfahrens
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Auch die Finanzbehörde kann die Entscheidung über einen Steueranspruch nach § 363 Abs. 1 AO aussetzen , wenn die Entscheidung ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängig ist, das entweder den Gegenstand eines anderweitig bereits anhängigen Rechtsstreits bildet oder zu dessen Feststellung eine andere Behörde berufen ist.
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Die Entscheidung über eine Steuerstraftat schafft ein Rechtsverhältnis .[69] Die Aussetzung liegt im Ermessen der zur Entscheidung berufenen Behörde; sie bedarf nicht der Zustimmung des Rechtsbehelfsführers.
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Praktisch bedeutsam ist, dass angesichts der Schwemme von Rechtsmittelverfahren, der Bundesfinanzhof nunmehr auch in Einspruchsverfahren in der Tendenz sogar eine Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens wegen eines vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Musterverfahrens annimmt.[70] Voraussetzung ist ein vor dem Bundesverfassungsgericht anhängiges, nicht aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm, zahlreiche bei den Finanzgerichten anhängige Parallelverfahren (Massenverfahren) sowie kein besonderes berechtigtes Interesse des Rechtsbehelfsführers an einer Entscheidung des Finanzgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren. Diese für das Klageverfahren zunächst entwickelten Grundsätze sind mittlerweile vom Bundesfinanzhof auch auf das Einspruchsverfahren übertragen worden.[71]
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