»Haben Sie bemerkt, wie wenig hervorragende Männer wir haben? Es ist nicht mehr, wie vor fünfzig oder selbst wie vor dreißig Jahren. Damals hatten wir Mason, Selborne, Sherbrook und ein halbes Dutzend anderer. Da gab es auch noch einen Brightman als Erzbischof, — und jetzt! Und dann die Kommunisten! Braithwaite ist seit fünfzehn Jahren tot. Gewiss, er war kein unbedeutender Mann, aber er sprach immer nur von der Zukunft, nie von der Gegenwart, und nun sagen Sie mir, welchen hervorragenden Mann haben wir seitdem aufzuweisen? Und da kommt dieser Neuling, den niemand kennt, der vor wenigen Monaten in Amerika auftauchte, und dessen Name bereits in jedermanns Munde ist. Nun gut, also!«
Percy runzelte die Stirn.
»Ich kann nicht behaupten, dass ich es verstehe«, sagte er.
Father Blackmore klopfte seine Pfeife aus, bevor er antwortete.
»Well«, sagte er, indem er aufstand, »ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, Felsenburgh ist im Begriffe, etwas zu unternehmen. Was es ist, weiß ich nicht; es kann etwas für uns sein, oder gegen uns. Aber er ist Freimaurer, vergessen Sie das nicht … Hm, mag auch sein, dass ich ein alter Narr bin. Gute Nacht!« —
»Einen Augenblick, Father«, sagte Percy langsam. »Meinen Sie —? Guter Gott! Sprechen Sie, was meinen Sie?« Er zögerte und blickte sein Gegenüber an.
Der alte Geistliche antwortete nur mit einem Blick unter den buschigen Augenbrauen hervor; es schien Percy, als ob auch jener, trotz seines leichten Plaudertones, von Furcht vor einem unbestimmten Etwas erfüllt wäre. Aber kein äußeres Anzeichen deutete darauf hin.
Percy stand regungslos da, auch nachdem sich die Türe bereits geschlossen hatte. Dann schritt er nach seinem Betschemel hinüber.
1 Kneifer, Zwicker <<<
2 Als Francs-tireurs bzw. Franktireur wurden die während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 aufgestellten französischen Freikorps bezeichnet. Auch während des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurden französische und belgische Partisanen als Francs-tireurs bezeichnet. <<<
Drittes Kapitel
Die alte Mrs. Brand und Mabel saßen an einem Fenster des neuen Admiralitätsgebäudes in Trafalgar-Square, um von dort aus Zeugen von Olivers Rede anlässlich des fünfzigsten Jahrestages der Armengesetzreform zu sein.
Es war ein erhebender Anblick, an diesem Junimorgen zu sehen, wie die Menge sich um die Statue Braithwaites scharte. Dieser Politiker, nun seit fünfzehn Jahren tot, war in seiner bekannten Haltung dargestellt, mit ausgestreckten, abwärts gesenkten Armen, das Haupt erhoben und einen Fuß ein wenig vorgesetzt. Heute war die Statue, wie dies bei solchen Gelegenheiten mehr und mehr Brauch geworden war, mit den Abzeichen der Loge geschmückt. Er war es gewesen, der jener geheimen Bewegung einen so mächtigen Impuls gegeben hatte durch seine im Parlament abgegebene Erklärung, dass die Schlüssel zum Fortschritt der Zukunft und zu wahrer Brüderlichkeit unter den Nationen sich in den Händen des Ordens befänden. Dadurch allein war es möglich geworden, der falschen Einheitsidee der Kirche mit ihrer fantastischen, geistigen Brüderlichkeit wirksam entgegenzuarbeiten. Der heilige Paulus hatte, so erklärte er, recht, wenn er die Scheidewände zwischen den Nationen niederriss, unrecht aber in seiner Verhimmelung Jesu Christi. Dieser Gedanke bildete die Einleitung zu seinen Ausführungen über die Vorlage zum Armengesetz, und nach einem Hinweis auf die wahre, aller religiösen Motive entkleidete, unter den Freimaurern existierende Nächstenliebe, erinnerte er an deren bekannte philanthropische Werke auf dem Kontinent; und durch die Begeisterung über den Erfolg des Gesetzes hatte die Loge einen bedeutenden Aufschwung an Mitgliedern genommen.
Die alte Mrs. Brand war heute in ihrem besten Staate und blickte mit ziemlicher Erregung auf die dicht gedrängte, unabsehbare Menge, die sich eingefunden hatte, um der Rede ihres Sohnes zu lauschen. Rund um die Bronzestatue des Staatsmannes war eine Tribüne errichtet, in einer Höhe, dass dieser, wenn auch um ein weniges über seine Umgebung hervorragend, mitten unter den Rednern zu stehen schien; auf dieser Tribüne, die mit Rosen geschmückt und von einem Schalldache überragt war, befanden sich ein Stuhl und ein Tisch.
Soweit man den Platz übersehen konnte, stand Kopf an Kopf, und das Gesumme von Tausenden von Stimmen wurde ab und zu übertönt von dem Geschmetter der Trompeten und dem dumpfen Wirbel der Trommeln, wenn die Wohltätigkeitsvereine und demokratischen Gilden mit ihren Bannern von Nord, Süd, Ost und West her aufmarschierten und den großen, eingefassten Raum einnahmen, der ihnen vorbehalten war. Auch die Fenster alle waren dicht besetzt; kolossale Gerüste zogen sich längs der Front der Nationalgalerie und St. Martinskirche hin gleich vielfarbigen Gartenbeeten hinter den stummen, weißen Bildsäulen, welche rings den Platz umstanden, von Braithwaite angefangen, vorbei an den Größen aus der Zeit Victorias — John Davidson, John Burns und den übrigen — bis zu Hampden und de Montford auf der Nordseite. Die alte Säule mit ihren Löwen war entfernt worden. Nelson war mit der Entente Cordiale 1nicht mehr in Einklang zu bringen, und auch die Löwen hatten vor der neuen Kunst keine Gnade gefunden; an ihrer Stelle war nun ein freier Platz zu sehen mit terrassenförmigen Steinstufen, die zur Nationalgalerie hinanführten, über den Dächern hoben sich enggedrängte Friese von Köpfen gegen den blauen Sommerhimmel ab. Nicht weniger als hunderttausend Personen waren um Mittag innerhalb der Seh- und Hörweite der Plattform zusammengedrängt.
Als die Uhren die Stunde verkündeten, kamen hinter der Statue zwei Gestalten hervor, traten in den Vordergrund, und wie auf einen Schlag wuchs das Murmeln zu einem Beifallssturm an.
Zuerst erschien der alte Lord Pemberton, eine grauhaarige, aufrechte Erscheinung, dessen Vater mitgeholfen hatte, das Herrenhaus, dessen Mitglied er war, anlässlich seines Falles vor mehr als siebzig Jahren, in Anklagezustand zu versetzen und in seinem Sohn war ihm ein würdiger Nachfolger erwachsen. Dieser Mann war nun Mitglied der Regierung und Vertreter von Manchester, und er war es, der bei dieser vielversprechenden Gelegenheit den Vorsitz zu führen berufen worden war. Nach ihm kam Oliver, unbedeckten Hauptes, tadellos in seinem Äußeren, und selbst auf diese Entfernung hin konnten seine Mutter und Mabel seine energischen Bewegungen, sein frohes Lächeln und beifälliges Nicken erkennen, als sein Name aus dem stürmischen Lärm, der sich rund um die Plattform erhoben hatte, ertönte. Lord Pemberton trat vor, erhob die Hand und machte ein Zeichen, und in einem Augenblicke erstarken die Hochrufe unter dem plötzlich einsetzenden Rollen der Trommeln und der sich daranschließenden Intonierung der Freimaurerhymne.
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