Die amerikanische Ausgabe wurde Lois Dwight Cole gewidmet.
Der Autor stellt entschieden in Abrede,
daß lebende Personen die Vorbilder für die Figuren des Romans waren.
I
Houlun schickte die alte Dienerin Jasai in die Jurte ihres Stiefbruders, des verwachsenen Kurelen. Die Alte schlurfte durch das lodernde Licht des Sonnenunterganges und wischte sich die blutverschmierten Hände an ihrem schmutzigen Gewand ab. Der Staub, den ihre eiligen Schritte aufwirbelten, folgte ihr wie eine goldene Wolke. Sie traf Kurelen wie üblich beim Essen an. Er leckte sich die Lippen bei einem Trunk Kumyß, den er aus einem Silberbecher schlürfte. Nach jedem Schluck hob er den Becher hoch, der von einem chinesischen Wanderhändler erbeutet worden war, und betrachtete ihn bewundernd aus zusammengekniffenen Augen. Er ließ seinen verkrümmten, schmutzigen Finger über die zarte Ziselierung gleiten und sein finsteres, abgezehrtes Gesicht erhellte sich in nahezu sinnlichem Entzücken.
Jasai ging am Karren vorbei zu Kurelens Jurte. Die Ochsen waren ausgespannt, und sie glotzten die Alte aus klaren, braunen Augen an, in denen sich der gleißende Sonnenuntergang spiegelte. Das Weib blieb vor dem zurückgeschlagenen Zelteingang der Jurte stehen und spähte zu Kurelen hinein. Kurelen wurde von allen verachtet, weil er so vieles erheiternd fand, aber er wurde auch gefürchtet, weil er die Menschen haßte. Er lachte und verabscheute gleichzeitig alles und jeden. Selbst seine Gier und sein unersättlicher Appetit hatten etwas Verächtliches an sich, als wären es nicht seine, sondern die unangenehmen Eigenschaften eines anderen, über die er ständig spöttelte.
Jasai maß Kurelen mit finsterem Blick. Sie war nur eine Karuitsklavin, aber selbst sie brachte dem Bruder der Häuptlingsfrau keinen Respekt entgegen. Sie kannte seine Geschichte. Selbst den Viehtreibern und Schafhirten, die so beschränkt waren wie die Tiere, die sie auf die Weide trieben, war sie bekannt. Houlun war ihrem Gemahl, der einem anderen Stamm angehörte, am Hochzeitstag von Jesukai, dem Jakka-Mongolen, geraubt worden. Einige Tage später war ihr verwachsener Bruder in Jesukais Zeltlager gekommen, um die Rückgabe seiner Schwester zu erbitten. Der Stamm der Merkiten, dem Kurelen und seine Schwester Houlun angehörten, war schlau. Er lebte in Wäldern und betrieb schwunghaften Handel. Mit Kurelen hatten sie Jesukai einen durchtriebenen und geschwätzigen Boten gesandt, der eine schöne und einschmeichelnde Stimme besaß. Wenn jemand etwas erreichen konnte, dann war es Kurelen. Sollte er getötet werden, so war sein Stamm bereit, das mit philosophischem Gleichmut hinzunehmen. Er war ein Unruhestifter und Lacher und bei seinen eigenen Leuten wenig beliebt. Vielleicht würden die Merkiten Houlun nicht zurückbekommen, aber dafür bestand die Wahrscheinlichkeit, Kurelen loszuwerden. Wäre er ein kräftiger und handfester Mann gewesen, hätte sein eigener Stamm ihn vielleicht getötet, weil die Leute ihn weder mochten noch verstanden. Als Krüppel und Häuptlingssohn jedoch durften sie ihn nicht beseitigen. Außerdem war er ein ungemein gewiegter Händler, ein geschickter Handwerker und konnte Chinesisch lesen, was bei Geschäften mit den spitzfindigen Händlern Kathais von großem Vorteil war. Sein Vater hatte bemerkt, daß die Leute seines Stammes ihn auch dann nicht getötet hätten, wenn er gerade Glieder gehabt hätte, denn er wäre nie Manns genug geworden, um eines gewaltsamen Todes würdig zu sein. Bei diesem weisen Ausspruch lachte der Stamm herzlich, aber Kurelen hatte bloß in seiner wortlosen, spöttischen Art, die auf schlichte Gemüter besonders aufreizend wirkte, den Mund verzogen.
Houlun wurde weder dem Zeltdorf ihres Vaters noch ihrem Gatten zurückgegeben, denn sie war auffallend schön und Jesukai hatte sie in seinem Bett höchst ergötzlich gefunden. Aber auch Kurelen kehrte nicht wieder. Es war eine sehr einfache Geschichte. Man hatte ihn zu Jesukais Zelt geführt und der junge, hochmütige Jakka-Mongole hatte ihn stirnrunzelnd gemustert. Das hatte Kurelen nicht eingeschüchtert. Mit sanfter und interessierter Stimme hatte er gebeten, sich das Zeltlager des jungen Khans ansehen zu dürfen. Jesukai, der Bitten und Drohungen erwartet hatte, war völlig verdutzt und überrascht gewesen. Kurelen hatte weder nach seiner Schwester gefragt noch den Wunsch geäußert, sie zu sehen, obwohl er aus dem Augenwinkel bemerkt hatte, daß sie hinter der Klappe des Zeltes ihres neuen Gemahls zu ihm herüberblickte. Auch die feindseligen Blicke der jungen Krieger hatten Kurelen nicht gestört.
Jesukai, dem jede Durchtriebenheit mangelte und dessen Verstand sehr schwerfällig arbeitete, wenn er überhaupt dachte, ertappte sich zu seinem größten Erstaunen dabei, wie er den Bruder seiner Gemahlin durch das Zeltlager führte. Die Frauen und Kinder standen auf den Karren oder in den offenen Zelteingängen ihrer Jurten und glotzten. Tiefe Stille senkte sich über die Siedlung. Selbst die Pferde und das heimkehrende Vieh lärmten weniger als gewöhnlich. Jesukai ging voran und Kurelen folgte ihm hinkend und mit unergründlichem Lächeln. Hinter ihnen marschierten finsteren Blicks die jungen Krieger und feuchteten sich die Lippen an. Die Hunde vergaßen zu bellen. Es war eine lange und lächerliche Wanderung. Allmählich kam Jesukai sich wie ein Narr vor und blickte ab und zu stirnrunzelnd über seine Schulter auf den humpelnden Krüppel zurück. Aber Kurelens Miene war offen, erfreut und harmlos wie die eines Kindes. Immer wieder nickte er, gleichsam angenehm überrascht, und murmelte unverständliches Zeug vor sich hin. „Zwanzigtausend Jurten!“ sagte er einmal mit lauter, melodischer Stimme. Er strahlte Jesukai bewundernd an.
Sie kehrten zu Jesukais Jurte zurück. Am Eingang machte Jesukai halt und wartete. Jetzt würde Kurelen die Rückgabe seiner Schwester oder zumindest eine reiche Entschädigung fordern. Aber Kurelen hatte es offenbar nicht eilig. Er wirkte nachdenklich. Der tapfere Jesukai begann unsicher von einem Fuß auf den anderen zu treten. Er zog ein finsteres Gesicht. Er betastete den Chinesendolch an seinem Gürtel. Seine schwarzen Augen loderten drohend. Die Krieger waren es müde, ständig ingrimmig zu blicken und sahen einander ratlos an. Irgendwo vor einer Jurte lachte unverhohlen eine Frau.
Kurelen hob eine dunkle, verkrümmte Hand an seinen Mund und kaute grübelnd an den Nägeln. Ohne seine Verwachsung wäre er ein großer, hagerer Mann gewesen. Seine Schultern waren breit, wenn auch krumm. Sein gesundes Bein war lang, obwohl das andere knorrig wie ein Baum der Wüste war. Sein Körper war hager und abgezehrt und die Knochen schief. Er hatte ein langes, mageres, dunkles und boshaftes Gesicht mit schmalen, blitzenden Zähnen, die weiß wie Milch waren. Seine Backenknochen stachen wie kantige Felsen unter glitzernden Schlitzaugen vor, in denen die Spottlust funkelte. Sein Haar war schwarz und lang. Er hatte ein belustigtes und gleichzeitig tückisches Lächeln.
Endlich richtete er mit größtem Respekt, durch den der Spott wie ein silberner Faden leuchtete, das Wort an Jesukai. „Du hast einen mächtigen Stamm, tapferer Khan“, sagte er, und seine Stimme klang sanft und schmeichelnd. „Laß mich mit meiner Schwester Houlun sprechen.“
Jesukai zögerte. Er hatte bereits beschlossen, daß Houlun ihren Bruder nicht sehen sollte. Jetzt aber war er geneigt, die Bitte des anderen zu erfüllen, obwohl er nicht wußte, weshalb. Er winkte den Dienerinnen kurz zu, die auf dem Karren neben seiner Jurte standen. Sie führten Houlun heraus und nahmen sie in ihre Mitte. Da stand sie, groß, schön und stolz und erbittert. Ihre grauen Augen waren vom Weinen gerötet und verschwollen. Als sie ihren Bruder erblickte, lächelte sie und trat mit impulsiver Geste auf ihn zu. Es war jedoch eher seine Miene, als die zugreifenden Hände der Dienerinnen, die sie jäh zum Stehen brachten. Er betrachtete sie mit sanfter Teilnahmslosigkeit und Zurückhaltung. Sie sah ihn aus großen Augen an und erbleichte. Sie liebte ihn sehr, denn er und sie waren die intelligentesten und vernünftigsten Kinder ihres Vaters, und zwischen ihnen bedurfte es nur weniger Worte.
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