Robert Lyndon - Der Thron der Welt

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Über dieses Buch Man schreibt das Jahr 1072 nach Christi Geburt. Der fränkische Krieger Vallon hat nichts mehr zu verlieren. In den Alpen begegnet er dem jungen Gelehrten Hero, unterwegs mit seinem Meister. Als dieser stirbt, bittet Hero Vallon um seine Begleitung nach England, wo er einem normannischen Ritter die Lösegeldforderung des türkischen Sultans für seinen Sohn überbringen soll. Doch der Preis für die Freiheit des jungen Sir Walter Olbec ist unermesslich hoch: vier weiße Gerfalken, kostbare Vögel, die überaus selten sind. Nur hoch im Norden, im ewigen Eis, hat man schon Exemplare davon gesehen. Für Vallon, Hero und ihre Gefährten beginnt eine atemberaubende Odyssee durch die entlegensten Länder der Welt – von Grönland über Russland bis nach Konstantinopel, über das tobende Nordmeer und blutgetränkte Schlachtfelder. Grausame Wikingerkrieger und rachsüchtige Normannen stellen sich ihnen in den Weg, wilde Flüsse und unwegsame Pfade gilt es zu überwinden, bis sie endlich ans Ziel kommen – und die Welt plötzlich nicht mehr so ist, wie sie einmal war …
Über Robert Lyndon Robert Lyndon beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Falknerei und Geschichte. Einige Szenen aus dem «Thron der Welt» gründen sich auf seine eigenen Erfahrungen als Falkner, Kletterer und Reisender.
Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel «Hawk Quest» bei Little, Brown Book Group, UK

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Für Deborah und Lily

Eine Bemerkung zu den Sprachen

Im elften Jahrhundert sprachen Dänen, Norweger, Schweden und Isländer immer noch untereinander verständliche Sprachen, die mit dem Englischen verwandt waren. Wenn er sich ein bisschen Mühe gab, konnte ein Angelsachse einen Skandinavier verstehen.

Gerfalken-Preise im mittelalterlichen England

Das Domesday Book, im Auftrag Wilhelms des Eroberers zwischen 1086 und 1087 als Reichsgrundbuch für England zusammengestellt, gibt den Wert eines Gerfalken mit 10 Pfund an, was etwa dem halben Jahreseinkommen eines Ritters entsprach. Die Rechnungsbücher König Heinrichs II. weisen aus, dass er 1157 mehr als 12 Pfund für vier Gerfalken bezahlte, die er dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Friedrich Barbarossa als Geschenk sandte. Im Jahr 1162 kostete es Heinrich 43 Pfund, ein Schiff mit dem Auftrag nach Norwegen zu schicken, dort Falken zu kaufen. Mit dieser Summe hätte man 250 Kühe oder 1200 Schafe kaufen oder 50 Landarbeiter ein Jahr lang entlohnen können.

Eine kurze Chronologie

1054 Morgenländisches Schisma zwischen der römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen.

1066 September König Harold von England schlägt eine norwegische Armee bei Stamford Bridge in Yorkshire.

Oktober Wilhelm der Eroberer schlägt Harolds Armee bei Hastings in Sussex.

Dezember Wilhelm wird zum König der Engländer gekrönt.

1069–1070 Nach einem Aufstand in Nordengland führt Wilhelm eine Strafexpedition nach Northumbrien und verwüstet die Region zwischen York und Durham.

1071 August Ein Seldschuken-Heer unter Alp Arslan, dem «tapferen Löwen», besiegt die Armee des Kaisers von Byzanz bei Manzikert, das heute zur Osttürkei gehört. Der Sieg öffnet Anatolien für die Seldschuken und führt schließlich zum Ersten Kreuzzug.

1072 Juni König Wilhelm greift Schottland an.

1072 November Alp Arslan wird bei einem Feldzug in Persien von einem Gefangenen getötet.

Hunger verschlingt den einen, Sturm vernichtet den anderen.

Der Speer ersticht den einen, und ein anderer geht in der Schlacht zugrunde …

Einer stürzt ohne Flügel vom hohen Waldesbaum …

Einer muss allein in die Ferne ziehen, zwischen Fremden über unbekannte Straßen wandern …

Einer baumelt tot am schiefen Galgen …

Einem schneidet an der Festtafel das Schwert den Lebensfaden ab …

Für einen ein glückliches Los; für einen anderen nur Leiden.

Für einen freudvolle Jugend; für einen anderen Kampfesruhm, Meisterschaft im Krieg.

Für einen Geschick im Werfen oder Schießen; für einen anderen Glück beim Würfelspiel …

Einer ergötzt durch Geselligkeit in seinem Palas, erfreut die Trinker an der Festtafel …

Ein anderer zähmt den wilden Vogel, den stolzen Habicht auf seiner Faust, bis der Falke fügsam ist.

Aus: The Fortunes of Men , Exeter Book, England, 10. Jahrhundert

England, 1072

I

An diesem Morgen nahm eine normannische Reiterpatrouille einen jungen Engländer gefangen, der in den Wäldern südlich des Tyne wilderte. Nachdem die Reiter ihn befragt hatten, entschieden sie, dass er ein Aufständischer sei, und hängten ihn als Warnung für die Bewohner des Tales auf einem Hügel. Die Soldaten warteten mit hochgezogenen Schultern in der Kälte, bis die Zuckungen ihres Opfers erstarben, dann ritten sie fort. Noch während sie abzogen, stießen Aasvögel herab, die am Himmel gekreist hatten, und stürzten sich wie ein Schwarm bösartiger Fledermäuse auf die Leiche.

Gegen Abend schlichen ein paar hungernde Bauern den Hügel hinauf und verscheuchten die Vögel. Sie schnitten die Leiche ab und legten sie auf den gefrorenen Boden. Augen, Zunge, Nase und Genitalien fehlten, der lippenlose Mund war in einem stummen Schrei aufgerissen. Die Männer standen mit Haumessern in den Händen im Kreis um den Toten, ohne einen Blick oder ein Wort miteinander zu wechseln. Schließlich trat einer von ihnen vor, hob einen Arm des Toten an, schwang die Klinge und ließ sie niederfahren. Die anderen schlossen sich ihm an, sie hackten und sägten, von Krähen und Raben umflattert, die sich um Fleischfetzen zankten.

Unvermittelt flogen die Aasvögel mit rau lärmendem Geschrei davon. Die menschlichen Aasfresser hoben den Blick, erstarrten in ihrer Metzelei und richteten sich erschrocken auf, als ein Mann über dem Hügelkamm auftauchte. Er schien aus der Erde emporzuwachsen, schwarz gegen den düsteren Februarhimmel, ein Schwert in der Hand. Einer der Aasjäger rief etwas, und die Bande drehte sich um und rannte davon. Eine Frau verlor, was sie in den Händen hielt, schrie auf und wollte die paar Schritte zurück, um es aufzuheben, doch einer der Männer packte sie am Arm. Sie jammerte mit zurückgewandtem Blick, als er sie weiterzerrte.

Der Franke beobachtete ihre Flucht, sein Atem stieg wie weißer Rauch in die kalte Luft, dann steckte er sein Schwert wieder in die Scheide und zog sein knochiges Maultier auf den Galgen zu. Noch verdreckt und erschöpft von der Reise, war er ein furchteinflößender Anblick – er war groß, mit tiefliegenden Augen und einer hervorspringenden Nase. Ungekämmtes Haar umrahmte strähnig sein hageres Gesicht, und die wettergegerbte Haut über seinen Wangenknochen erinnerte an die Farbe von geräuchertem Aal.

Sein Maultier schnaubte, als sich eine Krähe, die sich im Brustkorb des Toten verfangen hatte, mit wilden Flügelschlägen befreite. Der Mann betrachtete die verstümmelte Leiche ohne große Gefühlsregung, dann runzelte er die Stirn. Vor ihm im fahlen Zwielicht lag das, was die Frau hatte fallen lassen. Es schien in ein Tuch eingewickelt zu sein. Er band sein Maultier an den Galgen, ging hinüber, drehte das Bündel mit dem Fuß um und blickte in das runzelige Gesicht eines Babys. Es war erst ein paar Tage alt, hatte Augen und Mund fest geschlossen. Es lebte.

Er sah sich um. Die Aasvögel flatterten wieder heran. Es gab keine Stelle, an der er das Baby hätte verstecken können. Die Vögel würden sich darüber hermachen, sobald er den Hügel verließ. Es wäre barmherzig gewesen, seinem Leiden auf der Stelle ein Ende zu bereiten, mit einem einzigen Schwerthieb. Denn selbst wenn seine Mutter zurückkäme, würde das Baby die Hungersnot nicht überleben.

Sein Blick fiel auf den Galgen. Nach kurzem Zögern hob er das Baby auf. Wenigstens war es gut gegen die Kälte geschützt. Er stapfte zurück zu seinem Maultier, öffnete eine Satteltasche und zog einen leeren Sack heraus. Das Baby machte ein seufzendes Geräusch, und sein Mund bewegte sich im Saugreflex. Er legte das Kind in den Sack, stieg auf das Maultier und band den Sack so weit oben an den Henkersstrick, dass die Wölfe ihn nicht erreichen konnten. Das würde die Vögel nicht lange abhalten, aber er nahm an, dass die Mutter zurückkommen würde, sobald er von dem Hügel verschwunden wäre.

Er lächelte freudlos. «Gehängt, bevor du eine Woche alt warst. Wenn du überlebst, kannst du dich damit brüsten.»

Die Vögel flatterten erneut auf, als ein weiterer Mann mit schweren Schritten den Hügelkamm erklomm. Beim Anblick des Galgens blieb er wie erstarrt stehen.

«Beeil dich», rief der Franke. «Es wird bald dunkel.»

Kopfschüttelnd sah er den Jüngeren näher kommen. Der Sizilianer war eine wandelnde Vogelscheuche. Noch eine Nacht ohne etwas zu essen oder eine Unterkunft mochte sein Ende sein, doch Tisch und Bett würden sie nur bei den Leuten finden, die den Engländer gehängt hatten.

Der Sizilianer blieb erschöpft stehen, seine Augen wirkten in dem blassen Gesicht dunkel und ausdruckslos. Er starrte auf die zerstückelte Leiche hinab und zischte angeekelt.

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