Was, was, um des Himmels willen, war zu tun? Er vergrub sein Gesicht in seine Hände …
Ja, was die Kirche brauchte, das war ein neuer Orden; die alten waren, wenn auch nicht durch ihre eigene Schuld, an ihre Regel gebunden. Ein Orden war notwendig, ein Orden ohne Habit und Tonsur, ohne Traditionen und Gewohnheiten, ein Orden mit nichts als einer vollständigen, rückhaltlosen Hingabe und ohne Stolz selbst auf die heiligsten Privilegien, ohne Vergangenheit und damit ohne die Möglichkeit, sich selbstgefällig in jene zurückzuziehen. Seine Angehörigen müssten die Franktireurs 2der Armee Christi bilden, den Jesuiten ähnlich … Aber ein Gründer musste sich finden. — Doch wer, um Gottes willen, wer? — ein Gründer, nackt dem nackten Christus folgend. Ja, Franktireurs aus allen Ständen, Priester, Bischöfe, Laien und Frauen, mit den drei Gelübden natürlich, und einer besonderen Klausel, durch welche für immer und in jeder Form auch korporatives Besitzrecht verboten würde. — Jede empfangene Gabe müsste dem Bischof übergeben werden, aus dessen Diözese sie stammte, und dieser müsste für den Unterhalt und etwaige durch Reisen verursachte Ausgaben aufkommen. O, was könnte da nicht alles gewirkt werden! … Er war ganz hingerissen von seiner Idee.
Dann wieder rief er sich in die Wirklichkeit zurück und nannte sich einen Narren. War nicht diese Idee so alt wie die Welt, und auch ebenso nutzlos für praktische Zwecke? Und war es nicht der Traum eines jeden seeleneifrigen Mannes seit dem ersten Jahre der Erlösung gewesen, dass solch ein Orden gegründet werden sollte? … Er war ein Narr …
Und wiederum begann er, alles zu überdenken. Sicher, das war es, was erforderlich war, um mit Erfolg den Kampf gegen die Freimaurer aufzunehmen. Und Frauen, auch Frauen! — War nicht ein Versuch nach dem anderen misslungen, weil die Menschen der Macht der Frauen vergessen hatten? Dieser Fehler war es, der einst Napoleon zu Fall gebracht hatte; er hatte einst Josephine vertraut und sie hatte ihn enttäuscht; deshalb traute er keiner anderen Frau mehr. Auch in der katholischen Kirche war der Frau kein anderer aktiver Anteil übertragen worden, als entweder Arbeit ganz niedriger Art, oder die mit der Erziehung verbundene, und gab es denn sonst keinerlei Feld für andere Betätigung als dieses? Nun, es war ja doch nutzlos, sich darüber Gedanken zu machen. Und ihn ging die Sache ja schließlich nichts an. Wenn Papst Angelicus, der jetzt in Rom regierte, es nicht für gut fand, den Gedanken aufzunehmen, wie konnte ein eingebildeter Narr von einem Priester in Westminster sich unterfangen, es zu tun?
Und sich an die Brust schlagend, nahm er sein Brevier zur Hand.
Nach einer halben Stunde war er damit zu Ende und versank wieder in Nachsinnen, aber diesmal galt es dem bedauernswerten Father Francis. Was er wohl jetzt tun mochte? Ob er wohl schon das römische Priestergewand der Diener Christi abgelegt hatte? Der arme Mann! Und inwieweit war er, Percy Franklin, dafür verantwortlich?
Als in diesem Augenblicke ein leichtes Klopfen an die Türe erfolgte und Father Blackmore erschien, um vor dem Schlafengehen noch ein bisschen zu plaudern, sagte ihm Percy, was vorgefallen war. Father Blackmore nahm seine Pfeife aus dem Munde und seufzte.
»Ich wusste, es würde so kommen«, sagte er. »Ja, ja!«
»Er war übrigens durchaus aufrichtig«, erklärte Percy. »Vor acht Monaten schon sagte er mir von seinen Schwierigkeiten.«
Father Blackmore zog bedächtig an seiner Pfeife.
»Father Franklin«, begann er dann, »die Dinge liegen wirklich sehr ernst. Es ist dieselbe Geschichte, wo man nur hinblickt. Was in aller Welt geht denn eigentlich vor?«
Percy sann ein wenig nach, ehe er antwortete: »Ich glaube, es wird zu einem Sturm kommen«, erwiderte er.
»Einen Sturm, meinen Sie?«, fragte der andere.
»Was sonst?«
Father Blackmore sah ihn gespannt an.
»Mir scheint es, als ob wir uns in einer Windstille befänden«, sagte er. »Haben Sie sich je in einem Taifun befunden?«
Percy schüttelte den Kopf.
»Nun«, fuhr der andere fort, »das Verhängnisvollste dabei ist die Ruhe. Die See ist wie Öl, man fühlt sich halb tot, kann nichts tun, und dann bricht der Sturm los.«
Percy blickte überrascht auf. Nie zuvor hatte er bei dem Priester eine derartige Ansicht wahrgenommen.
»Jeder Katastrophe geht diese Ruhe voraus. In der Geschichte war es immer so. Es war so vor dem Krieg im Osten, es war so vor der Französischen Revolution. Auch vor der Reformation war es so. Es ist da eine Art Gärung, und alles ist erschlafft. So war es allenthalben auch in Amerika während mehr als achtzig Jahren … Father Franklin, ich glaube, dass sich etwas vorbereitet.«
»Sprechen Sie«, sagte Percy, indem er sich vorwärts beugte.
»Nun, ich sah Templeton eine Woche, bevor er starb, und er setzte mir diese Idee in den Kopf. Sehen Sie, Father, es mag sein, dass die Geschichte mit dem Osten über uns hereinbricht, aber andererseits glaube ich es auch wieder nicht. Auf religiösem Gebiet wird etwas geschehen. Wenigstens bin ich dieser Meinung … Father, für wen halten Sie Felsenburgh?«
Percy war so verblüfft über die unerwartete Nennung dieses Namens, dass er einen Augenblick sprachlos vor sich hinstarrte.
Es war draußen eine stille Sommernacht. Von der zwanzig Yards vom Haus entfernt laufenden Untergrundbahn her machte sich ab und zu ein schwaches Zittern bemerkbar; im Übrigen herrschte in den umliegenden Straßen vollkommene Ruhe.
Manchmal drang von ferne her ein Geheul, als ob irgendein unheilverkündender Zugvogel zwischen London und den Sternen kreuzte; manchmal erscholl aus der Richtung des Flusses her der hohe, schrille Schrei eines weiblichen Wesens. Sonst vernahm man nur das einförmige, schwache Summen, welches nunmehr weder bei Tag noch bei Nacht zur Ruhe kam.
»Ja, Felsenburgh«, wiederholte Father Blackmore noch einmal. »Ich kann diesen Mann nicht mehr aus meinem Kopf bringen. Und doch, was weiß ich von ihm? Wer weiß denn überhaupt etwas von ihm?«
Percy war im Begriff zu antworten, bemühte sich aber, sein pochendes Herz zu beruhigen. Er konnte nicht begreifen, weshalb er sich so erregt fühlte. Und schließlich, wer war denn auch dieser alte Blackmore, dass er ihm auf einmal Furcht einjagte? Aber bevor er noch sprechen konnte, fuhr Blackmore fort: »Sehen Sie, wie das Volk sich von der Kirche lossagt! Die Wargraves, die Hendersons, Sir James Bartlet, Lady Magnier und so viele andere. Nun kann man aber nicht sagen, dass alle diese Menschen charakterlos seien — ich wollte, sie wären es; es ließe sich leichter darüber reden. Und vergangenen Monat Sir James Bartlet! Da haben Sie einen Mann, der sein halbes Vermögen für kirchliche Zwecke hergegeben hat, und auch jetzt noch bedauert er es nicht. Er gibt zu, dass es immerhin besser ist, irgendeine Religion zu haben, als gar keine, aber so weit es auf ihn ankomme, könne er nicht länger an eine solche glauben. Was hat nun alles das zu bedeuten? Ich sage Ihnen, etwas bereitet sich vor. Gott weiß was! Und ich kann dabei diesen Felsenburgh nicht aus dem Kopfe bringen … Father Franklin —« »Ja?«
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