„Vermutlich haben wir ihm viel zu viel bezahlt.“
Chatchio zuckte mit den Schultern. „Na und? Wir sind in einer Gegend, wo uns nicht jeder sofort im Schlaf die Gurgel durchschneidet, und was wir bei ihm zu viel bezahlt haben, können wir bei der Unterkunft vermutlich sparen. Ich finde, das war es wert.“
Na-Ochone antwortete nicht mehr. Er hatte den sehr unangenehmen Verdacht, dass sie beide gerade bewiesen hatten, was für unwissende Provinzler sie waren. Hoffentlich war das kein Vorgeschmack darauf, wie der königliche Hof sie empfangen würde! Mürrisch trieb er sein Pferd an, der roten Tür entgegen.
Der Empfang war nicht gerade herzlich. Ja, es gab freie Zimmer, und ebenfalls ja, sie waren für einen annehmbaren Preis zu haben, inklusive eines Platzes für ihre Pferde. Aber die Männer, die in Vorderraum beisammen saßen, aßen und tranken, sahen misstrauisch zu den beiden neuen Besuchern, die ganz offensichtlich keine Händler waren. Die ebenso offensichtlich ein Wappen führten, was sie als Adelige auswies. Der Wirt zeigte ihnen das Zimmer. Ein Zimmer, ein Bett. Na-Ochone hatte den Verdacht, dass er sein Gold noch anderweitig brauchen würde. „Ihr könnt was zu essen haben von dem, was alle hier kriegen“, sagte der Wirt. „Ich bringe es Euch aufs Zimmer.“
Chatchio kniff die Augen zusammen. „Warum?“
„Weil meine anderen Gäste sich in einer Gesellschaft wie der Euren nicht wohlfühlen würden.“
Na-Ochone winkte ab, als Chatchio antworten wollte. „Schon gut. Bringt uns etwas. Und einen Krug Wasser.“
Der Wirt sah zweifelnd drein. „Wasser? Keinen Wein?“
„Wasser“, bekräftigte Na-Ochone.
Der Wirt verschwand kopfschüttelnd.
Na-Ochone sah sich in dem Zimmer um. Roher Dielenboden, weiß gekalkte Wände, ein Strohdach. Dazu ein Schemel, ein Gestell, das vermutlich für Kleidung gedacht war, und das Bett. Eine Holzkonstruktion mit einem Strohsack und einer Wolldecke. Chatchio hob bereits den Strohsack an.
„Scheint kein Ungeziefer drin zu sein. Und breit genug, dass wir beide darauf liegen können, ist es auch.“
„Aber es ist eine Unterkunft weit unterhalb meines Standes“, gab Na-Ochone mürrisch zurück.
„Na und?“
„Ja und! Wenn die anderen Adeligen am Königshof hören, wo wir abgestiegen sind, werden sie uns garantiert nicht für voll nehmen.“
„Spielt das eine Rolle? Nach allem, was dein Vater erzählt hat, tun sie das sowieso nicht.“
Na-Ochone ballte die Fäuste. „Sie sollen es aber! Ich muss es einfach schaffen!“
Chatchio antwortete nicht.
Na-Ochone hatte gewusst, dass es schwer werden würde. Aber er hatte es sich nicht sooo schwer vorgestellt. Eine Audienz beim König? Das ging nicht einfach so. Wäre ja noch schöner, wenn jeder dahergelaufene Provinzadelige einfach so beim König vorsprechen könnte, hatte ihm der Zeremonienmeister hochnäsig erklärt. Es hatte dreier Goldstücke bedurft, um überhaupt mit auf die Liste zu kommen. Und dann hieß es warten. Elend lange warten.
Nach dem ersten Mond hatte nicht einmal Chatchio noch Lust, durch die Stadt zu streifen oder Karten zu spielen. Es war geradezu ein Glücksfall, dass einer der Händler mit einem lahmenden Pferd ankam. Zufällig hörte Chatchio, wie der Mann davon sprach, das Tier an den Schlachter zu verkaufen. Er bot dem Mann an, das Pferd binnen einer Handvoll Tage zu kurieren. Gegen einen kompletten Abend für ihn und Na-Ochone mit Freibier, wenn er Erfolg hatte.
Die Wüstenkräuter halfen. Noch besser halfen Chatchios kräftige Hände, die genau wussten, wie die Gelenke eines Pferdes sich anzufühlen hatten. Und das anschließende Besäufnis war eines der besten, was sie beide seit langem gehabt hatten.
Danach war das Warten erträglicher. Der Nachschub an kranken Pferden kam praktisch mit jeder Karawane. Und die Tatsache, dass sogar Na-Ochone mit Hand anlegte, ließ die Vorbehalte der Händler gegen die beiden Adeligen schwinden. Jetzt hatten sie nicht nur genug zu trinken, sondern auch Unterhaltung.
Selbst der Wirt wurde umgänglicher. Eines schwülheißen Abends, als sie bei einem Bier im Schankraum saßen, kam er zu ihnen an den Tisch.
„Ich hab´gehört, Ihr wartet auf eine Audienz.“
Na-Ochone brummte zustimmend.
„Ihr habt mit dem Zeremonienmeister gesprochen?“
„Vermutlich haben eher meine drei Goldstücke mit ihm gesprochen.“
Der Wirt nickte bedächtig. „Drei Goldstücke sprechen ziemlich leise. Ihr hättet die zehnfache Menge gebraucht. Aber vermutlich habt Ihr die nicht, sonst würdet Ihr nicht hier wohnen.“
Na-Ochone ballte die Fäuste. „Heißt das, wir bekommen keine Audienz?“
„Das heißt, ihr braucht einen Fürsprecher. Sonst wartet Ihr im nächsten Sommer noch immer.“
„Und du weißt – rein zufällig natürlich – einen solchen?“
„Eine solche. Ich kenne eine Kurtisane, die das Ohr eines ganz bestimmten hochrangigen Mitglieds des königlichen Hauses hat.“
„Und weshalb sollte diese Dame gewillt sein, mir zu helfen? Ihre Dienste dürften ja wohl deutlich teurer sein als dreißig Goldstücke.“
„Besagte Dame ist die Tochter des dritten Sohnes der zweiten Frau meines Vaters. Sie verdankt es mir, dass sie einen Platz im Seidenschloss bekam und damit Zugang zum Hof des Königs.“
Das Seidenschloss kannte Na-Ochone, wenn auch nur von außen. Es war eines der angesehensten Vergnügungshäuser der Stadt. Ausschließlich der Adel verkehrte dort.
„Weshalb ist dir plötzlich so an unserem Wohlergehen gelegen?“
Der Wirt breitete beide Hände aus und grinste schief. „Weil Ihr gut für mein Geschäft seid. Seitdem Ihr das mit den Pferden macht, hat sich meine Kundschaft glatt verdoppelt. Und ich zahle prinzipiell gerne meine Schulden zurück.“
Was immer die Nichte des Wirts tat, es funktionierte. Keine fünf Tage später bekam Na-Ochone Nachricht, dass er zur Audienz geladen war.
„Wappenträger Na-Ochone aus dem Hause Mehme!“
Ajitaka, König Karapaks, aus dem ruhmreichen Haus Nahne, hob kaum merklich die Augenbrauen. Mal wieder ein Mehme! Augenscheinlich hatten sie den Versuch noch nicht aufgegeben, bei Hofe wieder an Boden zu gewinnen. So zuverlässig, wie eine Generation der anderen folgte, stand bei jedem Nahne-König irgendwann einer von ihnen im Audienzsaal und versuchte, die nicht vorhandenen Fähigkeiten seiner Sippe anzupreisen. Und wie schon sein Vater vor ihm war auch Ajitaka gewillt, das Spielchen mitzumachen. Es war schließlich überaus amüsant, zu sehen, wie sie sich drehten und wanden und mühten. Die Mehme begriffen einfach nicht, dass sie keine Chance hatten und auch nie eine kriegen würden, magielos, wie ihr Haus war.
Um den Mund des Wesirs spielte die Andeutung eines spöttischen Lächelns, und etliche Adelige zeigten mehr als nur eine Andeutung. Diese spezielle Audienz versprach lustig zu werden. Insbesondere, da die Mehme es anscheinend nie merkten, dass sie bei ihren Auftritten vor dem König lediglich die Stelle eines Hofnarren einnahmen.
Der junge Mehme trat mit federnden Schritten und selbstbewusst erhobenem Haupt den Thronsaal.
Sein Begleiter folgte etwas vorsichtiger. Offenbar ebenfalls ein Mehme, der Nase nach zu urteilen, auch wenn er das Wappen nicht trug. Ein Bastard also. Unwichtig. Und richtig, der Mann trat rasch zur Seite und ließ den ersten Mann alleine nach vorne zum König gehen.
Na-Ochone sah eigentlich nicht unsympathisch aus. Nur verdammt hässlich mit dieser langen, gekrümmten Nase. Mal ganz zu schweigen von der Tatsache, dass seine Tunika einen Schnitt hatte, der seit mindestens sechs Jahren völlig aus der Mode war, und er tatsächlich seine Haare noch in diesem völlig altmodischen Kriegerknoten trug, den nicht einmal die reguläre Armee noch forderte.
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