Lizzy schnaubte kurz durch die Nase. Sie ließ sich Zeit mit der Beantwortung der Frage.
„Gar nichts ist los, alles ist in bester Ordnung, wie immer.“
„Nichts ist in Ordnung, kleine Schwester. Hat man dir etwas getan? Setzt man dich unter Druck? Droht man dir? Rede endlich mit mir!“, donnerte Sarah gereizt heraus.
Lizzy indes lächelte nur in sich gekehrt.
„Ich habe mich nur unsterblich verliebt, das ist alles.“
Sarah starrte sie mit offenem Mund an.
„Mach den Mund wieder zu, es ist passiert und du kannst es nicht rückgängig machen.“
Lizzy lächelte matt.
„In wen und wo und wie?“
„In den, der mich gefunden und mir geholfen hat.“
„Der den Brief geschrieben hat? Der weiß, dass du eine Prinzessin bist. Der versucht doch nur, das für sich profitbringend auszunutzen.“ Sarah war schockiert.
„Wie kannst du nur auf so etwas reinfallen, Lizzy?“
Die Angeredete blieb ruhig und gelassen.
„Du kennst ihn nicht, auch nicht die Familie, bei der er wohnt und arbeitet. Sie waren alle so herzlich und besorgt um mich.“ Abrupt änderte sie ihre Tonlage, während sie ihr Gesicht ihrer Schwester zudrehte.
„Hat irgendjemand Geld gefordert? Ja?“, begehrte sie wütend auf.
Sarah schwieg.
„Hat irgendjemand, irgendetwas für mich gefordert? Die Antwort ist ein klares Nein. Höre auf mit deinen lächerlichen Verdächtigungen. Ich bin zwar etwas jünger als du und habe keine Erfahrungen mit Männern, doch besitze ich so viel Weitsicht um einschätzen zu können, wer es darauf anlegt, meinen Status als Prinzessin auszunutzen.“
Sarah schwieg noch immer. Für Einwände fehlten ihr im Moment einfach die Worte.
Lizzy atmete heftig vor Erregung. Krampfhaft versuchte sie sich zu beruhigen.
Nach einigen peinlichen Minuten sagte Sarah kleinlaut:
„Aber ich habe mir einfach nur fürchterliche Sorgen um dich gemacht, kleine Schwester. Du wirkst immer so zerbrechlich und zart. Ich will dich beschützen, eben weil du in vielen Sachen noch unerfahren bist.“
„Das brauchst du aber nicht. Daniel ist ein einfacher Möbeltischler, kommt aus simplen Verhältnissen, geht sträflich und korrekt seiner Arbeit nach und hilft seinen Wirtsleuten, wo er kann. Er ist ein Mensch, kein Monster oder Verbrecher.“
„Du triffst ihn heimlich?“, fragte Sarah vorsichtig.
„Ja“, kam es kurz und knapp zurück. Auch wenn Sarah die Situation als keinesfalls gut einschätzte, so antwortete sie von sich selbst überrascht:
„Nimm bitte in Zukunft immer zwei Wachen als Geleitschutz mit. Du kannst sie ja in angemessener Entfernung auf dich warten lassen. Bitte versprich mir das!“
„Mache ich, versprochen. Weißt du, was komisch ist? Daniel hatte mir zu dieser Maßnahme auch schon geraten. Der ist um mich mindestens genauso besorgt, wie du es bist.“ Lizzy lachte gepresst. Für sie war das Thema hier beendet.
Es war fast Mitternacht, als Sarah ihr Schlafzimmer aufsuchte. Liam spielte mit Oberst Stelton und Dr. Gregory Karten. Das konnte mitunter die ganze Nacht in Anspruch nehmen.
So war sie allein und konnte das eben gehörte in Ruhe verdauen und ihren eigenen Gedanken störungsfrei nachgehen. Noch immer nicht so recht zufrieden krabbelte sie schließlich ins Bett. Die Zweifel an diesem Tischler waren ihr keineswegs genommen. Vielleicht steckte doch Eigennutz hinter dem Handeln dieses Mannes.
War es nicht kinderleicht, bei so einem Stelldichein Lizzy kurzer Hand zu kidnappen und später Lösegeld zu fordern? Der Hinweis von ihm, sie möge in Begleitung reiten, war vielleicht nur gezielt gesetzt, um zu erfahren, wie bewacht Lizzy auf ihren heimlichen Ausritten tatsächlich war.
Sarah hatte Lizzy versprechen müssen, ihr nicht zu folgen bzw. sie verfolgen zu lassen. Irgendetwas musste sie aber doch tun. Aber was! Es würde sinnlos sein, nach einem jungen Tischler suchen zu lassen, der bei irgendwelchen Leuten wohnte. Das konnte überall sein, ging es ihr durch den Kopf.
Ihr Vater legte keinen Wert auf Konventionen und ließ seinen Töchtern die freie Partnerwahl insofern, dass nicht irgendwelche miesen Machenschaften von den gewählten Partnern ausgingen. Trotzdem würde sie mit ihm reden müssen. Gewiss würde es sich einrichten lassen, dass Lizzys heimliche Liebschaft ins Schloss eingeladen würde. Nur so hatte sie die Möglichkeit, dem Tischler gehörig auf die Finger schauen zu können, gegebenenfalls seine Absichten zu ergründen. Selbstzufrieden mit dieser Lösung fand Sarah endlich Schlaf.
Daniel hatte zutiefst gehofft, Lizzy würde nicht beim ersten vereinbarten Treffpunkt erscheinen, nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen.
Wozu eine Liebe festigen, die niemals sein durfte. Vielleicht hatte der Abstand zu ihm in den wenigen Tagen gereicht, sie zu Sinnen zu bringen. Würde sie nicht erscheinen, würde er aufatmend in die Tischlerei zurückkehren, sich noch eine Zeit lang quälen und sie, so hoffte er, irgendwann vergessen. Doch Lizzy kam und sie kam immer wieder, trotz seiner Einwende und Vorbehalte. Je öfter sie sich trafen, desto mehr schweißte es sie zusammen.
Daniel machte sich Vorwürfe, dass er nicht die Kraft besaß, diesem natürlichen, treuherzigen Mädchen zu widerstehen. Er hatte alles versucht, sie von der Sinnlosigkeit ihrer verbotenen Liebe zu überzeugen, doch sie blieb ungerührt und fest in ihren Absichten.
Irgendwann würde einer von beiden dafür bezahlen müssen. Da war sich Daniel sicher. Die Sorge um Lizzy schwächte sich auch nicht ab, als er erfuhr, dass sie von zwei bewaffneten Wachen begleitet wurde, welche sich in gebührendem Abstand zu ihnen aufhielten.
Die kleine Ruine des alten Fischerhäuschens am Green Lake bot einigermaßen Schutz vor neugierigen Blicken. Kaum einer wagte sich hierher, da die Sage umging, dass ein furchtbar armer Fischer, der hier aus Verzweiflung Frau und Kinder ermordete und sich selbst erschoss, als blutrünstiges Gespenst umherging. Stunden lang saßen Lizzy und Daniel dicht nebeneinander gedrängt, verborgen in der von Efeu eingewachsenen Ruine, fernab von der Außenwelt, gehüllt in Glück und Seligkeit.
Seit einiger Zeit forderte Lizzy Daniel immer wieder auf, mit auf das Schloss zu kommen, um der Heimlichtuerei ein Ende setzen zu können. Bisher hatte er es geschafft, ihr diese eingehende Bitte unter fadenscheinigen Ausreden abzuschlagen. Doch Lizzy drängte ihn immer mehr in die Enge.
„Dad interessiert es nicht, ob du adlig bist oder vom einfachen Volk abstammst. Er will nur das Beste für mich und das sind nach seiner Meinung Liebe, Vertrauen, Treue und Respekt. Konventionen sind für ihn unwichtig.“ Sie sah ihm tief in die Augen.
„Sieh mal, Sarah hat auch einen Mann von weit unter unserem Stand geheiratet. Liam stammt zwar vom Adel ab, aber seine Familie ist völlig verarmt. Mache dir doch nicht solche Sorgen, Dad lädt dich herzlich ein, soll ich dir sagen.“ Lizzys Gesicht strahlte vor Offenheit.
Daniel schluckte, bevor er in sachlichem Ton antwortete.
„Der Stand interessiert mich auch nicht Lizzy, dem entspreche ich leider voll und ganz. Es ist eher meine Herkunft, die mich zwingt, die Einladung deines Vaters rigoros abzulehnen.“
Lizzy sah ihn verblüfft an.
„Was für einen Stand? Earl, Peer, Duke?“ Sie lachte unbekümmert. Daniel lachte mit, doch es war kein herzliches Lachen, es war Bitterkeit. Lizzy sah ihn irritiert an.
„Es ist viel schlimmer“, erwiderte er leise, mehr zu sich selbst.
„Wie viel schlimmer geht es denn noch?“, scherzte sie mit klopfendem Herzen.
Daniel stöhnte gequält.
„Lizzy, dein Vater würde mich vierteilen, nachdem er mich ertränkt und erschossen hat, meine Einzelteile fest verschnüren und triumphierend nach Corlens Castle schicken.“
„Verdammt Daniel. So schlimm kann es doch wohl nicht sein. Dad ist der liebste und verständnisvollste Mensch, den ich kenne. Er wäre zu so etwas niemals fähig. Außerdem gibt es doch gar keinen Grund dafür.“
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