Daniel nahm Lily auf den Arm. Die schlug beide Ärmchen um seinen Hals, während sie ihr Köpfchen in vertrauter Geste auf seine Schulter legte.
„Willst du mit uns unten essen? Susan meinte, sie könne es verantworten, dass du aufstehst“, fragte er vorsichtig.
Lizzy nickte freudig.
„Ich bin in fünf Minuten unten.“
Um nicht schon wieder rot zu werden, versuchte sie seinen Blick zu meiden, der fest auf ihr zu kleben schien.
„Warum war er nur so ernst?“, dachte sie still, als er gegangen war. Dann eilte sie sich, dass sie zum Essen kam.
Das Gewitter hatte sich verzogen, der Himmel war aufgerissen und die Sonne breitete ihre Strahlen über das Land. Die Luft war nun klar und frisch.
Daniel führte Lizzy durch den großen, gepflegten Garten. Lizzy bewunderte die sauberen Beete, die hohen Apfelbäume und die kleine Blumenrabatte. Etwas unsicher sagte Lizzy:
„Mir ist, als ob wir uns schon ganz lange kennen. Du bist mir so unendlich vertraut.“
Daniel seufzte hilflos bei ihren sanften, warmherzigen Worten, erwiderte aber nichts. Noch vertraute er seinem Selbstschutz.
„Ich muss morgen zurück. Sehen wir uns vielleicht wieder?“, fragte sie verlegen, auf ihre Schuhspitzen schauend.
Daniel rang mit sich.
„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Du Prinzessin, ich Tischler? Schlechte Konstellation, oder?“
Lizzy sah ihm fest in die Augen.
„Bei uns gibt es keine Standesunterschiede in der Partnerwahl.“
Daniel schüttelte abwehrend den Kopf. Lizzy verstand diese Geste falsch und bezog sie auf ihr Äußeres.
Gekränkt sah sie zu Boden. Wie konnte sie sich auch einbilden, dass ein Mann mit so einem Aussehen, so eine kleine graue und tollpatschige Maus, wie sie es war, lieben konnte? Während sie ihren düsteren Gedanken nachging, nahm er plötzlich ihr Gesicht in seine Hände, um ihr tief in die Augen sehen zu können. Leise, fast traurig sagte er:
„Mich umgibt ein dunkles Geheimnis, das nur Susan und Philip kennen. Jeder der es kennt, riskiert sein Leben und das anderer Menschen.“
„Hast du jemanden umgebracht?“, fragte sie bestürzt.
„Nein, nicht so etwas. Ich habe einfach nicht das getan, was man von mir erwartete. Ein Mord wäre da geradezu als banal zu bezeichnen.“
„Du bist nicht der, der du bist, stimmt’s? Aber ich will dich nicht in Verlegenheit bringen oder dich gar diskreditieren. Ich will einfach nur dich und ich weiß nicht wieso, aber ich vertraue dir.“ Daniel sah tief Luft holend an ihr vorbei. Lizzy legte nun allen Mut und vollste Zuversicht in ihre zitternde Stimme.
„Ich habe mich, glaube ich, unsterblich in dich verliebt.“
Daniel führte einen erbitterten Kampf mit sich und seinem Gewissen. Er startete einen letzten Versuch, um sie von ihm abzuhalten.
„Lizzy. Es ist lebensgefährlich für dich, wenn du dich mit mir abgibst. Glaub es mir. Ich kann das nicht verantworten“, sagte er schroffer, als beabsichtigt. Alle Bitterkeit hatte er in diesen einen Satz gelegt. Doch leise, fast lautlos fügte er hinzu:
„Dafür liebe ich dich viel zu sehr, als dass ich dich in Gefahr bringen könnte.“
„Das ist mir egal!“, sprudelte es aus ihr heraus.
Lizzy fühlte, was in ihm vorging. Daniel sah in ihre treuen, von Tränen gefüllten Augen, die ihn flehend und angstvoll ansahen. Das Herz siegte über den Verstand und alle gutgemeinten Vorsätze.
Ohne weitere Überlegungen nahm er sie entschlossen in die kraftvollen Arme und kam nicht umhin, sie zu küssen. Lizzy sah selig zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten wie Diamanten in der Sonne vor lauter Glück. Daniel schluckte. Er sah aus, als hätte er gerade ein Verbrechen begangen.
„Wir sehen uns wieder, aber nicht hier. Das ist zu gefährlich für Philip und seiner Familie. Ich lasse mir etwas einfallen. Versprochen.“
Er drückte sie fest an sich, so fest, als müsse er befürchten, dass der Erdboden sie jeden Moment verschlucken könnte, wenn er sie losließ.
4. Kapitel
Am nächsten Morgen war Lizzy soweit wieder genesen, dass man es riskieren konnte, sie nach Hause zu bringen. Philip und Daniel begleiteten sie. Lily war mit Lizzys Heimreise so gar nicht einverstanden, büßte sie doch eine treue Spielgefährtin ein, die noch dazu lustige Geschichten erzählte konnte.
„Ich will aber nicht, dass du zu deinem Daddy gehst, du musst hierbleiben bei Lily“, maulte sie und sah ihre neu gefundene Freundin vorwurfsvoll an.
„Sieh mal, mein Dad macht sich doch Sorgen um mich. Genauso sorgen sich deine Eltern um dich, wenn du einfach ohne zu fragen ins Dorf läufst, um mit den Kindern zu spielen.“
Lizzy war in Hocke gegangen, um mit Lily auf Augenhöhe zu sein.
„Versprich mir, dass du schön lieb bist, wenn ich weg bin. Vielleicht kann ich ja mal kommen und dich besuchen, wenn deine Eltern nichts dagegen haben.“
„Oh fein“, schniefte die Kleine zwischen Tränen und Lachen.
Auch von Susan verabschiedete sie sich herzlich. Sie dankte ihr für die Fürsorge und die Wärme, die man ihr in diesem Haus entgegengebracht hatte. Obwohl Lizzy nur drei Nächte bei den Hendersons verbracht hatte, waren ihr die Bewohner in dieser kurzen Zeit zutiefst vertraut geworden.
Auf dem Rückweg wurde kaum ein Wort gesprochen. Kurz vor dem Schloss, als man keine Gefahr mehr für das Mädchen sah, verabschiedeten sie sich. Lizzy sah bedrückt und gequält aus, während Daniel ihr mit unergründlichem Gesichtsausdruck wortlos die Hand zum Abschied reichte.
Wohlwollend verabschiedete sich auch Philip. Ohne sich noch einmal umzusehen, gab Lizzy dem Pferd die Sporen, damit keiner von beiden ihre Tränen sah.
Erst nachdem Lizzy die schützenden Schlossmauern passiert hatte, wendeten die beiden Freunde ihre Pferde, um zurück zur Tischlerei zu reiten, wo mehr als genug Arbeit auf sie wartete.
„Du weißt, was du da tust?“, fragte Philip von der Seite und sah Daniel ernst an.
„Nein, das weiß ich ausnahmsweise mal nicht“, antwortete der Angesprochene kurz angebunden.
Philip hatte die bedrückte Stimmung seines Gegenübers erfasst und respektierte sie, ohne weiter Fragen zu stellen. Schweigend ritten sie nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Es war spät geworden an diesem Abend. Die Kirchturmuhr im Dorf verkündete mit dumpfem Glockenschlag die elfte Nachtstunde.
„Hast du gewusst, was zwischen Daniel und der Prinzessin läuft?“, fragte Philip seine Frau neugierig.
„Aber ja doch. Das war doch wohl kaum zu übersehen, zumindest wenn man genauer hinsah.“
Philip zog sich die Bettdecke bis unter das Kinn.
„Deine Beobachtungsgabe möchte ich haben“, seufzte er schwer.
„Ich habe das erst gerafft, als die sich verabschiedeten oder besser als ich sah, wie sie es taten.“
Susan rollte sich auf die Seite, um ihrem Mann ins Gesicht sehen zu können.
„Wie, wie?“, fragte Susan unverblümt.
Er zögerte, als suche er nach den passenden Worten.
„Na eben zu nüchtern, kalt wie Hundeschnauze oder wie man das so nennt“, stammelte er.
„Ich fragte ihn, ob er weiß, was er da macht und der sagt einfach so ‚Nein‘.“
Susan drehte sich lachend wieder auf den Rücken. Nach einer kurzen Pause sagte sie wieder ernst werdend:
„Er wird die Konsequenzen, die sich daraus ergeben genau abgewogen haben und entsprechend handeln. Er weiß doch, was auf dem Spiel steht.“
„Aber irgendwann muss er ihr sagen, wer er ist und was wir, speziell ich, hier so treiben“, sprudelte es aus Philip zweifelnd hervor.
„Er wird keinen von uns in irgendeine Gefahr bringen, schon Lilys wegen nicht. Und wenn er ihr die Wahrheit über sich sagt, dann auch nur, wenn er zu hundert Prozent sicher ist, dass er ihr vertrauen kann. Und Daniel vertraut in der Regel niemandem, außer uns und sich selbst. Soweit müsstest du ihn doch wohl kennen.“
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