Sie löschte das Licht.
„Ich mache mir aber Sorgen. Von allem was kommen konnte, kommt natürlich das Schlimmste in Form von Prinzessin Elizabeth von Lenox Castle. Ich glaube es einfach nicht …“
„Es wird sich alles fügen. Vertraue deinem Freund, wie du es immer getan hast. Und nun schlafe endlich und freue dich, dass du in dieser Nacht im warmen Bett bist und nicht im kalten, verräucherten Kellern bei den Widerständlern.“ Damit war für sie das Gespräch beendet. Brüsk wand sie ihrem Gatten den Rücken zu, um endlich zu schlafen.
Lizzy wurde im Schloss aufgeregt empfangen. Sie wurde von ihrem Vater, als auch von Sarah mit Fragen überschüttet.
„Ich sage nicht, wo ich mich aufhielt. Die Menschen dort waren alle so gut zu mir. Nie würde ich es auch nur ansatzweise wagen, den Leuten in irgendeiner Form Ärger zu bereiten. Es bringt nichts, mich weiter nach ihnen auszufragen“, sagte sie entschieden, vor Selbstbewusstsein strotzend.
„Das Pferd ging durch, ein Ast war meinem Kopf im Weg, fertig. Mir geht es gut, ich bin unversehrt und wohlbehalten wieder hier. Jetzt lasst mich bitte ausruhen, ich möchte allein sein.“
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters, um sich in ihren eigenen Räumlichkeiten zu verkriechen.
König William und Sarah sahen sich verblüfft an. So sicher und selbstbewusst in ihrem Auftreten hatten sie Lizzy noch nie erlebt.
„Na gut“, schnaufte William ratlos.
„Dr. Gregory werde ich ihr aber doch nachschicken. Ich muss ganz sicher gehen, dass es meiner Kleinen wirklich gut geht.“
Gregory untersuchte seine etwas widerwillige Patientin akribisch und kam zu dem Schluss, dass Lizzy nur noch etwas Ruhe bedurfte, ihr ansonsten aber nichts fehlte.
Im Kellergewölbe, unter der „Alten Schenke“ waren die Mitglieder der Widerstandsgruppe versammelt. Unter ihnen befanden sich, kampferfahrene und unerschrockene Männer jeder Altersgruppe und aus allen Gesellschaftsschichten.
Sie alle verfolgten nur ein Ziel: „Der Herrschaft des Königs mit aller Härte die Stirn zu bieten“. Jeder Einzelne von ihnen hoffte, dass man den Herrscher irgendwann stürzen und dem jungen Thronfolger den Weg für die Regentschaft ebnen zu können. Auch wenn niemand wusste, wo er untergetaucht war. Alle Hoffnung war auf den Kronprinzen gesetzt, er würde wieder Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit über das Land und seine Bewohner bringen.
„Ich habe beunruhigende Nachrichten. Im Schloss vermutet man einen Spitzel, welcher interne Informationen über die Aktivitäten des Königshauses in Bezug auf Geldbeschaffungsmaßnahmen nach außen an die Rebellen weitergibt. Man versucht mit allen Mitteln, meinen Informanten zu enttarnen. Er ist somit gezwungen, seine Aktivitäten im Schloss auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Gleichzeitig plant man, eine vertrauliche Mitteilung mit einer Falle zu garnieren, um aus dem Hinterhalt die Rebellen, also uns, zu stellen, zu verhaften und natürlich unschädlich zu machen.“
Philip fuhr mit schneidender Stimme fort:
„Wir werden deshalb unseren Tatendrang auf eher zufällig eintretende Ereignisse beschränken müssen. Und auch hierbei sei allerhöchste Vorsicht geboten.“
Ein mürrisches Raunen zog sich durch den Raum.
„Also Däumchen drehen und zusehen, wie Oma Agatha aus dem Bett gezerrt, ihr von den Schergen des Königs das letzte Huhn geklaut und ihr noch das Dach über dem Kopf angezündet wird.“
„Ach so!“, fuhr Lord Milton mit sarkastischem Unterton auf.
„Und mich macht man einen Kopf kürzer, weil ich in eben diese Falle, trotz Warnung blindlinks reingelatscht bin, um Oma zu helfen. Tolle Aussichten.“
„Wir können im Moment nichts anderes machen. Kommen wir gerade dazu, wenn Oma Agathas Huhn geklaut wird, sind wir da und helfen. Wenn nicht, hat sie Pech gehabt, die Gute, leider. Aber nach Plan vorgehen …? Nicht mit mir, nicht nach der Warnung“, sagte der Besitzer der Glashütte mit schneidender Stimme. Ein anderer höhnte:
„Du hast ja auch deine Schäfchen im Trockenen!“
Philip fuhr dazwischen.
„Was nützt es, wenn auch nur einer von uns in Gefangenschaft gerät oder was viel schlimmer ist, getötet wird, nur weil wir unbesonnen vorgehen. Ihr wisst alle, dass die Herrschaften auf dem Schloss mittelalterliche Verhörmethoden anwenden, um jemanden zum Reden zu bringen.
Ich möchte den sehen, der da nicht seine alles geliebte Großmutter verrät. Kurz und gut: ‚Haben die Einen von uns, sind wir alle dran, einschließlich unserer Familien.‘“
Philip spuckte fast vor Zorn. Mit Nachdruck fügte er hinzu:
„Wir sollten abwarten, bis ich bessere Nachrichten erhalte.“
Es wurde nun auf einem weniger aggressiven Niveau debattiert. Letztendlich akzeptierte man Philips Vorschlag einstimmig.
„Wir sollten uns jetzt besser um den Ersatz für Livington kümmern. Sein Tod liegt nun schon fast vier Wochen zurück“, gab Lord Milton zu bedenken.
„Na, finde mal jemanden auf die Schnelle, der für unsere Sache den Kopf riskiert und noch dazu verschwiegen ist wie ein Grab“, polterte der kleine, aber athletische Müllerssohn los. Ein anderer rief mit dreister Stimme:
„Wie sieht es denn mit deinem Angestellten aus Philip? Der hat keine Familie und scheint gut durchtrainiert zu sein.“
Philip seufzte schwer, bevor er antwortete:
„Gib dem eine Waffe in die Hand und du musst aufpassen, dass er sich nicht selbst verletzt. So etwas hat mir gerade noch gefehlt“, log Philip unverblümt bedauernd. Allgemeines Gelächter folgte.
„Mein Schwager ist ein stiller Aufrührer, er kann gut mit Schwert und Degen umgehen. Soll ich dem mal diskret auf den Zahn fühlen?“, fragte der Besitzer der Schusterwerkstatt.
„Einen Versuch ist es wert“, erwiderte Philip. Man diskutierte noch über dieses und jenes. Mitternacht war lange vorbei, als einer nach dem anderen die Schenke in teils sturzbetrunkenem Zustand oder teils griesgrämig verlies. Die Tarnung verlief wie immer perfekt.
Beunruhigt steuerte Sarah an einem frühen Abend das Schlafzimmer ihrer Schwester an.
Lizzys Veränderung bereitete ihr Sorgen. Sicher ging sie präzise ihren Pflichten im Schloss nach, doch wirkte sie oft abwesend, dann wieder traurig oder sie starrte mit entrücktem Lächeln zum Fenster hinaus. Irgendetwas hatte Lizzy verändert, irgendetwas hatte sich zugetragen, dass mit dem Verschwinden ihrer Schwester zu tun hatte. Hatte man ihr vielleicht doch Gewalt angetan, sie bedroht und zur Verschwiegenheit genötigt?
Tausend wirre Fragen gingen ihr seit Tagen durch den Kopf, die sie nicht ruhen ließen und deren Beantwortung sie sich heute von Lizzy erhoffte.
Wie von Sarah erwartet, saß Lizzy schon im Bett, versunken in ihrer Einschlaflektüre.
„Ist es schon zu spät zum ‚Schwesternkuscheln‘?“, fragte Sarah gespielt übermütig.
„Rutsch rein ins Bett“, erwiderte die Angesprochene lächelnd. Sarah streifte ihre Reitstiefel ab und schlüpfte grazil unter die dünne Daunendecke.
„Wir hatten schon lange keinen gemütlichen Schwesternabend mehr, findest du nicht?“
Sarah begann mit leichter Konversation.
„Schon lange nicht mehr.“ Lizzy griff nach dem Glas Rotwein auf ihrem Nachttisch. Sie trank einen Schluck und reichte das Glas schweigend an ihre Schwester weiter.
„Der Wein ist verdammt gut. Aus Dad’s heimlichen Vorräten?“
„Ertappt. Habe ich gestern mitgehen lassen, als ich die Weinbestände geprüft hatte, um die Neubestellungen an den Verwalter weitergeben zu können.“
Nach Minuten des Schweigens entschloss sich Sarah den direkten Weg einzuschlagen und konform zu gehen.
„Was ist mit dir los? Du bist völlig verändert, seit du wieder hier bist“, fragte Sarah forsch.
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