143. Wie es nun die Priester des Zeus in Theben früher schon bei dem Geschichtsschreiber Hekatäus machten, als er ihnen sein Geschlecht aufzählte, und im sechzehnten Glied seinen väterlichen Stamm an einen Gott anknüpfte, so machten sie es auch bei mir, ohne daß ich mein Geschlecht aufs zählte. Sie führten mich in den Tempelraum, welcher groß ist, und wiesen nun die ganze angegebene Zahl an hölzernen Hochbildern nach. Denn jeder Oberpriester stellt bei seinem Leben daselbst sein Bildniß auf. Davon wiesen mir also die Priester die Zahl so, daß sie immer wieder vom Sohne den Vater nachwiesen, indem sie vom Bildniß des Nächstverstorbenen an Alle durchgingen, bis sie dieselben sämmtlich gewiesen hatten. Wie aber Hekatäus sein Geschlecht aufzählte, und im sechzehnten Glied an einen Gott anknüpfte, haben sie, dem gegenüber, bei der Zählung auch das Geschlecht angesagt, indem sie's ihm nicht zugestanden, daß ein Mensch von einem Gott stamme; und zwar sagten sie es ihm gegenüber so an, daß sie jedes von den Hochbildern für einen Piromis, der von einem Piromis stamme, erklärten, bis sie alle dreihundert und fünfundvierzig Hochbilder, als Piromis, stammend von Piromis, durchgewiesen hatten, allein ohne daß sie dieselben an einen Gott oder einen Heroen anknüpften. Piromis aber ist nach unserer Sprache ein "Ehrenmann."
144. Und von solcher Art denn, erklärten sie sofort, seyen sie Alle, deren Bildnisse da standen, von den Göttern aber weit entfernt. Doch vor diesen Menschen seyen Götter die Herrscher in Aegypten gewesen, aber ohne mit den Menschen zusammen zu leben; 80und davon habe immer Einer die Obergewalt gehabt; zuletzt sey Orus (Horus), der Sohn des Osiris, ihr König gewesen, welchen die Hellenen Apollo nennen; der sey, nach Absetzung des Typho, zuletzt König gewesen. Osiris aber ist Dionysus nach der Hellenischen Sprache.
145. Bei den Hellenen nun gelten Herakles, Dionysus und Pan für die jüngsten Götter; in Aegypten aber ist Pan der allerälteste und unter Denen, welche die acht ersten Götter seyn sollen; Herakles unter den zweiten, die ihrer zwölf seyn sollen; und Dionysus unter den dritten, den Nachkommen der zwölf Götter. Nun habe ich aber schon angezeigt, 81wie viel Jahre die Aegyptier behaupten, daß von Heratles bis auf König Amasis seyen; von Pan aber sollen es deren noch mehr, von Dionysus am wenigsten seyn, wiewohl man auch von Diesem fünfzehntausend Jahre zählt bis auf König Amasis. Und Dieses behaupten die Aegyptier mit Bestimmtheit zu wissen, wiefern sie die Jahre beständig zählen und beständig aufschreiben. Von Dionysus, welcher der Sohn Semele's, der Tochter des Kadmus, seyn soll, sind es nun beiläufig tausend sechshundert 82Jahre bis auf mich, und von Herakles, Alkmene's Sohne, neunhundert Jahre; endlich von Pan, dem Sohne der Penelope (denn Dieser und des Hermes Sohn soll Pan, nach den Hellenen seyn) sind weniger Jahre, als von den Trojanischen Zeiten her, beiläufig achthundert bis auf mich.
146. Von diesen beiderseitigen Angaben steht es nun frei, die anzunehmen, welche man eher glauben will, und ich habe dann schon meine Meinung über dieselben dargethan. 83Sind indessen, so wie Herakles, der Sohn Amphitryons, auch diese Andern in Hellas sichtbar und eben daselbst alt geworden, nämlich auch Dionysus, der Semele, und Pan, der Penelope Sohn, so könnte man sagen, sie haben auch, während sie eigentlich Menschen seyen, die Namen jener ältern Götter bekommen. Nun sagen aber sie Hellenen von Dionysus, daß ihn gleich nach seiner Geburt Zeus in seine Hüfte genäht und nach Nysa gebracht habe, welches hinter Aegypten in Aethiopien liegt; und von Pan wissen sie nicht einmal anzugeben, wohin er nach seiner Geburt gerathen. Da ist mir denn offenbar, daß die Hellenen die Namen dieser Götter später, als die der übrigen, erfahren haben, und ihren Ursprung von der Zeit an zählen, seit der sie es erfahren haben. Das war es also, was die Aegyptier selbst sagen.
(Dodekarchie, von 671 – 650.)
147. Was nun noch die andern Menschen und die Aegyptier, in Uebereinstimmung mit den Andern, sagen, daß in diesem Lande vorgekommen sey, Das will ich nunmehr bemerken; und dazu wird auch Manches von meiner eigenen Anschauung kommen. Als die Aegyptier, nach der Herrschaft des Hephästuspriesters, frei geworden waren, stellten Dieselben (denn nie wären sie im Stand ohne König zu leben) zwölf Könige auf, wobei sie aus ganz Aegypten zwölf Abtheilungen machten. Diese Könige Herrschten, nach wechselseitiger Verbindung durch Heirathen, unter dem gemeinschaftlichen Gesetz, daß sie einander nicht stürzen, noch trachten wollten, Einer vor dem Andern Etwas voraus zu bekommen; vielmehr wollten sie ganz und gar Freunde seyn. Und Dieses machten sie deßwegen sich zum Gesetz, worauf sie strenge hielten, weil ihnen gleich Anfangs, als sie ihre Herrschaft ans traten, der Spruch geworden war: "Welcher von ihnen aus eherner Schaale spenden würde im Hephästusheiligthum, der werde über ganz Aegypten König seyn." Sie kamen nämlich immer zusammen in alle Heiligthümer.
148. So beschlossen sie denn auch miteinander, ein gemeinsames Denkmal zu hinterlassen, und errichteten dem zu Folge ein Labyrinth (Irrbau), welches ein wenig hinter dem Möris-See, ziemlich nahe bei der sogenannten Krokodilenstadt (Arsinoe) liegt. Dieß habe ich schon selbst gesehen, und fand es über alle Beschreibung. Denn nähme Einer alle die Bauten der Hellenen und die von ihnen aufgeführten Werke, so würde bei ihnen zusammengerechnet, Arbeit und Aufwand sich) doch unter diesem Labyrinthe zeigen; so sehr auch der Tempel in Ephesus und der in Samos gewiß der Rede werth ist. Zwar schon die Pyramiden waren über Beschreiben, und jede für sich viele der größten Hellenischen Werke werth; allein das Labyrinth übertrifft noch die Pyramiden. Es hat nämlich zwölf Höfe mit Bedachung, 84deren Thore einander gegenüber stehen, sechs gegen den Nord und sechs gegen den Süd gelegen in einer Reihe; und außen herum schließt sie eine Mauerwand ein. Und innen sind zweierlei Gemächer, die einen unterirdisch, die andern im obern Raum über diesem, dreitausend an der Zahl, beide besonders eintausend fünfhundert. Von den Gemächern des obern Raumes nun spreche ich nach eigener Anschauung, wie ich sie mit eigenen Augen durchging; aber von den unterirdischen habe ich mir nur sagen lassen. Denn die Aegyptischen Aufseher wollten sie durchaus nicht zeigen, weil nämlich daselbst die Grüfte der Könige, eben der. Erbauer dieses Labyrinthes, und der heiligen Krokodile sich befänden. Also spreche ich von den untern Gemächern nach dem Hörensagen; die obern aber, fast übermenschliche Werte, habe ich selbst beschaut. Hat man doch an den Ausgängen, die durch die Zimmer, und den Schlangengängen, die durch die Höfe sich so ganz mannichfach ziehen, sein größtes Wunder, wenn man aus einem Hof hineingeht in die Gemächer, und aus den Gemächern in Vorhallen und wieder in andere Zimmer aus den Vorhallen, und in andere Höfe aus den Gemächern, an welchen allein die Decke, so wie die Mauerwand von Stein, und die Wand überall voll von eingehauenen Bildern ist. Auch ist jeder Hof aussen mit Säulen umgeben, und von weißem, genau gefügtem Stein. An der Ecke aber, wo das Labyrinth ausgeht, stößt eine Pyramide von vierzig Klaftern daran, worauf große Thiergebilde eingehauen sind, und zu welcher hin ein Weg unter der Erde gemacht ist.
149. Noch größer, als bei diesem doch so eingigen Labyrinth, ist das Wunder, das man an dem sogenannten Möris-See hat, bei welchem dieses Labyrinth erbaut ist. Das ganze Maß seines Umfangs ist dreitausend und sechshundert Stadien, was sechzig Schönen sind, eben so viele, als Aegypten längs dem Meere hat. Dieser See liegt der Länge nach vom Nord gegen den Süd, und mißt in seiner tiefsten Tiefe fünfzig Klafter. Daß er aber von Menschenhänden gemacht und gegraben ist, zeigt sich an ihm selbst. Denn so ziemlich mitten im See stehen zwei Pyramiden, deren jede fünfzig Klafter über das Wasser hervorragt, und wiederum eben so tief in's Wasser hineingebaut ist; auf beiden aber ist ein steinernes Hochbild, sitzend auf einem Thronstuhl. Also sind diese Pyramiden hundert Klafter hoch, und diese hundert Klafter machen gerade ein sechsplethriges Stadium, die Klafter zu sechs Fuß oder vier Ellen gemessen, da der Fuß vier Handbreiten und die Elle sechs Handbreiten macht. Das Wasser nun in diesem See hat nicht dort seinen eigenen Ursprung; denn hier ist ja das Land sehr wasserlos; sondern es ist aus dem Nil durch einen Rinngraben hineingeleitet; und zwar läuft es sechs Monate in den See hinein, sechs andere Monate wieder in den Nil heraus. So oft es nun da hinaus abläuft, wirft dasselbe allemal die sechs Monate hindurch dem Königshaus täglich, ein Silbertalent an Fischen ab, so oft aber das Wasser hineingeht, zwanzig Minen.
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