Zwischen tanzenden Sternen, ganz hoch oben, wohnte ein König, der das Reich regierte. Er regierte voll Liebe und Zuversicht, er war verständnisvoll und sehr weise.
Die Menschen auf der Erde sehnten sich nach dem Licht, welches es doch dort so viel gab. Hier unten konnten sie die Helle nicht verstehen und so verschlossen sich ihre Herzen immer mehr. Ein junger Mann, er war fromm und stets höflich, wollte der Menschheit das Lachen wieder zurückholen. So machte er sich auf den Weg, das Licht zu besorgen und es ins heil’ge Vaterland zu schaffen. Doch wie alle, die dies versuchten, scheiterte auch er.
Ohne Licht in den Händen zurückzukehren, machte dem jungen Mann solche Angst, dass er zornig wurde. Er verfluchte das Königreich der Sterne und hasste es von diesem Tage an abgrundtief. So machte er sich mit dunkler Magie vertraut und nach jahrelangem Üben tötete er schlussendlich den gütigen König und es gelang ihm, alle Sterne am Himmelszelt zu stehlen. Bevor dem König jedoch alles genommen wurde, schickte er seine Tochter in die Welt, zu richten, was er einst geschaffen hatte.
Als der junge Mann und Magier nach Hause kam, die Mutter dachte schon, er hätte mit dem Leben bezahlen müssen, wurde er freudig erwartet. Drei Tage und drei Nächte feierte man und dem jungen Retter wurde großer Wohlstand versprochen. Die Menschen stellten die Sterne bei sich auf und konnten tatsächlich wieder lachen. Aber hatten sie eine Sache vergessen, weshalb ihnen nach und nach das Lächeln vergehen sollte …
Denn wer den Ort der Wünsche und Träume zerstörte, der nahm sich auch die eigene Freude. Doch das konnten die Menschen damals noch nicht wissen und so verblassten die Sterne von Tag zu Tag …
Siebentausend Jahre später, die Menschen wussten schon lange nichts mehr von dem Geschehenen, lebte ein Mädchen auf dieser Welt. Seit vielen, vielen Jahren herrschte dort nun schon Dunkelheit. Kein Mensch konnte sich mehr an den letzten Lichtstrahl erinnern. Doch schlimmer als die Finsternis war nur die Trauer … die Trauer der Frauen und Männer, Mütter und Väter, Großmütter und Großväter. Die Kinder auf dieser Welt litten jedoch am meisten. Keiner lehrte sie das Wünschen und so etwas wie Träume kannten sie nicht. Die Welt war trist und grau.
Das Mädchen war anders. Es erkannte das Gute und das Böse im Menschen. Es wusste, was falsch und was richtig war, und traf es eine aufrichtige Seele, so sah es ein Leuchten in deren Augen. Das Mädchen war ein Waisenkind. In dem Haus, in dem es aufwuchs, herrschten strenge Regeln – kein Lachen oder Kichern, dafür aber viele kraftraubende Hausarbeiten. Das Kind jedoch war immerzu freundlich zu Mensch und Tier, sodass jedermann es gernhaben müsste. Doch war dies nicht so. Die Kinder im Waisenhaus hänselten es ständig und auch die Erwachsenen, die es traf, hielten nicht viel von ihm. Da das Kind obendrein noch so klein und zierlich wie eine Puppe war, nannte man sie nur noch das Dollchen.
„Was stehst du schon wieder vorm Fenster, Dollchen? In fünf Minuten ist Schlafenszeit, mach dich fürs Bett bereit!“, so sprach die Frau vom Waisenhaus.
Das Mädchen antwortete nur: „Der Himmel ist so weit und groß. Wie kann er da so leer sein? Ich glaube, ihm fehlt etwas.“
„Unfug!“, rief da die Frau. „Jetzt mach, dass du ins Bett kommst!“ Zornig verließ sie den Raum und das Dollchen war wieder allein.
Bevor sie sich schlafen legte, erhaschte sie noch einen kurzen Blick auf die schwarze Nacht. Sie sah etwas Kleines, Leuchtendes aufblitzen, doch sie glaubte, es sich eingebildet zu haben, und so schlief seelenruhig ein.
Am nächsten Tage stürmte es und da niemand das Haus verlassen wollte, um die Arbeit zu erledigen, musste Dollchen das tun. Durch Eiseskälte und starken Sturm lief das Mädchen zum Buchbinder. Als sie mit schlotternden Knien vor seiner Tür stand, winkte der alte Mann sie herein. Das Kind mochte den Buchbinder, denn er war warmherzig und weise. Sie kannte keinen sonst, der so aufrichtig zu ihr ist. Der Mann stellte ihr einen wärmenden Tee hin und begann zu erzählen, wie immer, wenn das Dollchen ihn besuchen kam. Diesmal hatte er eine ganz besondere Geschichte für sie dabei. Eine Geschichte, die nicht zufällig ausgewählt wurde. Er erzählte vom Königreich der Sterne und von dem Mann, der der Welt mehr Licht schenken wollte. Er sprach davon, wie dieser Mann böse wurde, sich zum Magier machte und welche Grausamkeiten er vollbracht hatte. Dann sagte er:
Die Sterne wurden vom Himmel geklaut,
man stellte sie auf Erden auf
zu erleuchten die Dunkelheit.
Das Leuchten verschwand so mit der Zeit,
denn König tot auf Ewigkeit?
Kein Wünschen und kein Hoffen mehr.
Er schaute dem Dollchen tief in die Augen.
Ein Mädchen fromm und heiter
führt die Geschichte weiter.
So soll es gehen über sieben Brücken
und finden wird es die letzten Stücke,
soll zum Leuchten sie wieder bringen.
Lange redete der Buchbinder auf sie ein, sie sei das Kind aus der Geschichte und sie soll sich auf den Weg machen, das Sternenreich zu retten.
Das Dollchen glaubte nicht, dass sie es sein konnte. Doch sie wollte den alten Mann nicht kränken und schloss deshalb all ihren Mut zusammen, begab sich auf den Weg, die Sterne zu finden. Der Buchbinder aber wurde von diesem Tag an nie wieder gesehen …
Die Sachen gepackt und den Beutel auf dem Rücken, machte sich das kleine Mädchen auf ins Unbekannte. Nach einer Weile erkannte Dollchen das kleine Leuchten von letzter Nacht wieder. Dieses Mal konnte sie es sich nicht eingebildet haben, denn inmitten des schwarzen Himmels war die kleine Helle deutlich zu sehen und sie begleitete das Kind Tag und Nacht auf dem langen Weg.
Als der erste Tag nun fast vorüber war, sah sie in der Ferne auch schon die erste Brücke. Mit Glück erfüllt, erlaubte sie sich eine kleine Pause und schlief etwas. Träumen konnte sie nicht, denn noch war das Reich der Sterne nicht befreit. So wie das Dollchen erwachte, bemerkte sie, dass ihre Jacke verschwunden war. Verzweifelt sah sich das Mädchen um. Hinter ihr stand ein kleiner Junge, eingehüllt in ihre Jacke, frierend. Er musste ihr nicht erzählen, dass er hier auf der Brücke lebt und ganz einsam war, denn das Dollchen sah ihn liebevoll an und überreichte ihm auch noch ihre Mütze, als sie sah, wie er zitterte.
„Was machst du denn hier?“, fragte der kleine Junge verdutzt.
„Ich werde das Sternenreich retten, damit der alte Buchbinder wieder glücklich wird“, sagte da das Dollchen nur. Und ohne darüber zu reden, folgte ihr der Junge auf dem weiteren Wege.
Die zweite Brücke lag nicht weit entfernt. Bevor die Kinder sie erreichen konnten, kam ein älterer Bettler auf die beiden zu. „Nur etwas Geld, ich habe doch sonst nichts zum Leben.“ Da das Dollchen das Leid des Mannes nicht ertragen konnte, packte sie all ihre Goldtaler aus und überreichte ihm diese mit den Worten: „Ich bin auf großer Reise, du brauchst sie mehr als ich.“
Der Mann war so gerührt von ihr, dass er den Kindern, ohne eine andere Frage zu stellen, folgte. Dem Dollchen könnte schließlich etwas zustoßen und er wollte sie dann schützen können. Zu dritt setzten sie ihre Reise fort.
Auch die dritte Brücke war kaum ein Hindernis. Nur eine junge Mutter saß am Straßenrand, gerade hatte sie ihr Kind verloren. Als das Dollchen das sah, trennte sie sich kurz von ihren Mitreisenden und ging zu der Frau. „Wir finden das Sternenreich und dann wirst du deine Tochter wiedersehen können, das will ich versprechen“, so sprach das Mädchen zu ihr und obwohl die Frau doch eigentlich in tiefster Trauer war, vertraute sie dem Dollchen und begleitete sie.
So ging es weiter durch Berge und Täler, durch Menschenmassen und Totenstille. Das Dollchen, der kleine Junge, der alte Bettler und die junge Mutter, alle waren sie noch mit dabei. Langsam gingen ihnen die Kräfte aus und als sie endlich die vierte Brücke erreichten, legten sie eine lange Pause ein.
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