Beispiel:A wird aufgefordert, eine Hecke zurückzuschneiden. Daraufhin schlägt er vor, die Hecke ganz zu beseitigen, was ihm zu gestatten ist.
c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i. e. S. (Abs. 2)
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Gefahrenabwehr um jeden Preis ist unzulässig. Im Einzelfall muss zwischen dem beabsichtigten Erfolg(Gefahrenabwehr) und den durch die Maßnahme herbeigeführten Nachteilen –sei es für den Störer selbst, für Dritte oder die Allgemeinheit – abgewogenwerden. Rechtswidrig ist eine Maßnahme dann, wenn zwischen beiden ein offenbares Missverhältnisbesteht.
Beispiele:Die Durchführung einer Personenfeststellung bei einer Verkehrskontrolle ist unverhältnismäßig, wenn der Fahrer gerade seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus bringen will.
Ist anlässlich einer Versammlung mit gewalttätigen Gegendemonstrationen zu rechnen, so kann es (ausnahmsweise) angemessen sein, die Versammlung zu verbieten, wenn die verfügbaren Polizeikräfte nicht ausreichen, um die Versammlungsteilnehmer und unbeteiligte Dritte zu schützen (vgl. BayVGH, DVBl. 1979, 737; BVerwG, NVwZ 1999, 991, 993). Ein genereller Leinenzwang für Hunde im gesamten Gemeindegebiet ist unangemessen (OVG Lüneburg, NVwZ 1991, 693; OLG Hamm, NVwZ 2002, 765 f.; vgl. auch OVG Rheinl.-Pfalz, DÖV 2007, 82).
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Beim Abschleppen von Kfztritt häufig die Frage auf, ob dieses eine angemessene Reaktion auf den begangenen und fortdauernden Verstoß gegen Vorschriften des Verkehrsordnungswidrigkeitenrechts darstellt. Die Rechtsprechung (VGH BW, VBlBW 1990, 257; 1996, 32, 33; BWVPr. 1995, 233; VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 28; 1995, 29, 30; OVG Münster, NJW 1990, 2835, 2836) bejaht dies – zutreffenderweise – bereits dann, wenn der Zweck des Abschleppens allein in der Beseitigung des nicht ganz unerheblichen Rechtsverstoßes liegt und eine Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer möglich ist, ohne dass weitere Beeinträchtigungen (z. B. konkrete Behinderung, Vorbildwirkung) hinzukommen müssten.
§ 6 Maßnahmen gegenüber dem Verursacher
(1) Wird die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch das Verhalten von Personen bedroht oder gestört, so hat die Polizei ihre Maßnahmen gegenüber demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung verursacht hat.
(2) 1Ist die Bedrohung oder Störung durch eine Person verursacht worden, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber demjenigen treffen, dem die Sorge für diese Person obliegt. 2Ist für eine Person ein Betreuer bestellt, kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem Betreuer im Rahmen seines Aufgabenbereichs treffen.
(3) Ist die Bedrohung oder die Störung durch eine Person verursacht worden, die von einem anderen zu einer Verrichtung bestellt worden ist, so kann die Polizei ihre Maßnahmen auch gegenüber dem anderen treffen.
Literatur: Britz, Abschied vom Grundsatz fehlender Polizeipflicht von Hoheitsträgern?, DÖV 2002, 891; Erichsen/Wernsmann, Anscheinsgefahr und Anscheinsstörer, Jura 1995, 219; Finger, Der „Freier“: Ein Störer im Sinne des Gefahrenabwehrrechts?, VBlBW 2007, 139; Frenz, Störerinanspruchnahme: Grundlagen und Aktuelles, Die Polizei 2013, 279; Garbe, Die Störerauswahl und das Gebot der gerechten Lastenverteilung, DÖV 1998, 632; Germann, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung im Internet, 2000; Greiner, Die Verhinderung verbotener Internetinhalte im Wege polizeilicher Gefahrenabwehr, 2001; Hartmann, Pflichtigkeit im Polizei- und Ordnungsrecht, JuS 2008, 593; Lennartz, Binnenausgleich zwischen Störern: Gesamtschuld von Verfassungs wegen?, NVwZ 2018, 1429; Martensen, Materielle Polizeipflicht und polizeiliche Verpflichtbarkeit des Bürgers in Anscheins- und Verdachtslagen, DVBl. 1996, 286; Möstl, Die dogmatische Gestalt des Polizeirechts, DVBl. 2007, 122; Rau, Die Rechtsnachfolge in Polizei- und Ordnungspflichten, Jura 2000, 37; Schenke, Die polizeiliche Inanspruchnahme nicht geschäftsfähiger Störer, JuS 2016, 507; Schenke/Ruthig, Rechtsscheinshaftung im Polizei- und Ordnungsamt, VerwArch Bd. 87 (1996), 329 ff.; Schoch, Der Zweckveranlasser im Gefahrenabwehrrecht, Jura 2009, 360; Sokol, Die Bestimmung der Verantwortlichkeit für die Abwehr und Beseitigung von Störungen im öffentlichen und privaten Recht, 2016; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 2008; Tölle/Pallek, Polizeiliche Gefahrenabwehr im Bereich diplomatischer oder konsulanischer Vorrechte, DÖV 2001, 547; Zacharias, Die Rechtsnachfolge im öffentlichen Recht, JA 2001, 720; Zimmermann, Alte Grund- und neue Ansätze – Zum Gesamtschuldner-Innenausgleich bei polizei- und ordnungsrechtlicher Störermehrheit, NVwZ 2015, 787; ders., Polizeiliche Gefahrenabwehr und das Internet, NJW 1999, 3145.
Inhaltsübersicht
1. Allgemeines
2. Polizeipflicht und polizeipflichtige Personen
3. Verantwortlichkeit für eigenes Verhalten (Abs. 1)
4. Verursachung
5. Verantwortlichkeit für fremdes Verhalten (Abs. 2 und 3)
a) Verantwortlichkeit des Sorgeberechtigten (Abs. 2)
b) Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn (Abs. 3)
6. Rechtsnachfolge
7. Mehrere Verantwortliche
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§ 6 ist – ebenso wie §§ 7 und 9 – eine Adressatenregelung, die bestimmt, gegen wensich polizeiliche Maßnahmen richten können. Sie ergänzt hinsichtlich der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen die bei Eingriffen notwendige Ermächtigungsgrundlage.
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Die §§ 6, 7 und 9 sind nicht anwendbar, wenn spezielle Gesetze, ausdrücklich oder dem Zusammenhang nach, eigene Adressatenregelungenenthalten. So ist z. B. der Kreis der zur Abfallentsorgung Verpflichteten durch § 7 KrWG abschließend festgelegt (BVerwG, NVwZ 1992, 480; 2007, 185, 186; VGH BW, VBlBW 1998, 27, 28). Das USchadG bestimmt in seinem Anwendungsbereich den „Verantwortlichen“ (§ 2 Nr. 3) als Adressaten zulässiger Maßnahmen. § 4 Abs. 3–6 BBodSchG bestimmt den Kreis der nach diesem Gesetz Verantwortlichen abschließend (BVerwG, DVBl. 2000, 1353). § 11 HafenSiG bestimmt den Betreiber einer Hafenanlage als Verantwortlichen. §§ 6, 7 und 9 gelten auch dann nicht, wenn jedermannAdressat sein kann. So etwa bei einzelnen Standardmaßnahmen (z. B. §§ 27 Abs. 1 Nr. 2–7; 34 Abs. 1 Nr. 4 u. 5; 35 Nr. 4, 5, 6 u. 7) oder bei einigen Maßnahmen zur Datenverarbeitung (z. B. §§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 2 u. 3)
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Ergänzendkönnen §§ 6, 7 und 9 herangezogen werden, wenn spezielle Gesetze zur Gefahrenabwehr hinsichtlich des Adressaten keine, keine abschließenden oder nur allgemeine Aussagen enthalten.
Beispiel:Da das Wassergesetz für allgemeine Anordnungen nach § 82 Abs. 1 keine Adressatenregelung enthält, ist auf die §§ 6, 7 und 9 des Polizeigesetzes zurückzugreifen (VGH BW, VBlBW 1993, 298; vgl. auch VGH BW, VBlBW 1995, 64, 65; 486, 488; 1996, 221, 222, 351; NVwZ-RR 1996, 387, 388). Zur Verantwortlichkeit des Eigentümers bei bauordnungsrechtlichen Maßnahmen nach der LBO vgl. VGH BW, VBlBW 2007, 356, 357.
Die §§ 6, 7 und 9 gelten grundsätzlich auch für gefahrenabwehrende Maßnahmen (z. B. Untersagung oder Sperrung eines Angebots) im Internet. Mögliche Adressaten sind folgende Dienstanbieter:
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