Andere Stelle ist auch die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Da diese ausschließlich technische Hilfe u. a. im Zivilschutz und bei der Bekämpfung von Katastrophen leistet und ihr auch keine hoheitlichen Befugnisse zustehen, dürfte eine Eilzuständigkeit der Polizei nach § 2 Abs. 1 praktisch kaum zum Tragen kommen.
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Keineanderen Stellen sind die auf dem Gebiet der speziellen Gefahrenabwehrtätigen allgemeinen Verwaltungsbehörden, wie etwa Baurechts-, Wasser-, Katastrophenschutz- oder Straßenverkehrsbehörden (str., abhängig davon, ob der weite oder enge Polizeibehördenbegriff – siehe § 1, RN 4 – vertreten wird; wie hier VGH BW, VBlBW 1982, 407; Würtenberger/Heckmann/Tanneberger, § 4, RN 13 ff.; a. A. Stephan/Deger, § 2 RN 4 ff.). Sie sind in dieser Funktion allgemeine Polizeibehörden (s. u. § 106, RN 4). Sind sie bei Gefahr in Verzug nicht erreichbar, ist subsidiär der Polizeivollzugsdienst nach § 105 Abs. 2 zuständig, nicht jedoch die sonstigen allgemeinen Polizeibehörden, und zwar auch nicht in analoger Anwendung des Abs. 1 (a. A. VGH BW, BWVBl. 1966, 28; VBlBW 1982, 407).
Keineanderen Stellen sind ferner nichtöffentliche(d. h. private) Stellen, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen, ohne dass ihnen hoheitliche Befugnisse zustehen. Dazu zählt z. B. der Rettungsdienst. Seine Aufgabe ist die Notfallrettung und der Krankentransport (§ 1 RDG). Träger des Rettungsdienstes sind die durch Vereinbarung beauftragten Organisationen (§ 2 RDG).
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Ein subsidiäres Handeln der Polizei ist nur bei Gefahr im Verzugerlaubt. Eine solche liegt vor, wenn (erstes Element) zur Verhinderung eines nicht unerheblichen Schadens soforteingegriffen werden muss und (zweites Element) die an sich zuständige andere Stelle nicht oder nicht rechtzeitig erreichbarerscheint (VGH BW, VBlBW 1986, 308, 309). Letzteres wird im Gesetz – eigentlich überflüssigerweise – noch einmal ausdrücklich angesprochen. Die Nichterreichbarkeit kann sachlich bedingt sein, etwa weil der anderen Stelle die tauglichen Mittel zur Gefahrenabwehr fehlen, sie kann aber auch zeitlich bedingt sein, z. B. ist die andere Stelle nach Dienstschluss nicht besetzt oder sie kann nicht schnell genug handeln. Hat sich die andere Stelle entschieden, trotz Vorliegens der Eingriffsvoraussetzungen, nicht zu handeln, so ist auch der Polizei ein Handeln verwehrt. Nicht erforderlich ist es, dass objektiv eine Gefahr im Verzug vorliegt. Das Gesetz verlangt lediglich eine Situation, die aus der Sicht des Handelnden im Zeitpunkt des Einschreitens als solche „erscheint“. Die Entscheidung, nach Abs. 1 zu handeln, kann also nur dann (gerichtlich) beanstandet werden, wenn die Polizei vorwerfbar die Unaufschiebbarkeit polizeilicher Maßnahmen und/oder die Nichterreichbarkeit der anderen Stelle angenommen hat (vgl. VGH BW, NJW 1990, 1618, 1619). Missverständlich ist allerdings die Aussage des Gerichts, dem Polizeivollzugsdienst sei hier ein „Einschätzungsspielraum“ eröffnet, denn für die hier anzustellende Prognose gilt nichts anderes als sonst auch (s. o. § 1, RN 43).
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Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1 vor, darf die Polizei die notwendigen vorläufigen, d. h. unaufschiebbaren Maßnahmen aufgrunddes Polizeigesetzestreffen. Ein Rückgriff auf die rechtlichen Befugnisse der „anderen Stelle“ ist der Polizei also verwehrt (OLG Karlsruhe, VBlBW 1997, 193, 194).
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Nach Abs. 2 Satz 2 ist die zuständige Stelle unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB) über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Diese entscheidet nun über das weitere Vorgehen und darüber, ob die von der Polizei getroffenen Maßnahmen bestehen bleiben sollen. Werden im Rahmen der Unterrichtung personenbezogene Daten übermittelt, sind die §§ 59 ff. zu beachten.
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Streitig ist, ob die andere Stelle der Polizei die Kostender bei Gefahr im Verzug getroffenen Maßnahmen zu erstatten hat. Einschlägige Rechtsgrundlagen sind nicht vorhanden und auch ein Anspruch aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechend §§ 677 ff. BGB dürfte ausscheiden, weil die Polizei hier nicht „auftragslos“, sondern zur Wahrnehmung einer eigenen auf den Eilfall beschränkten Aufgabe tätig wird.
3. Tätigwerden zum Schutz privater Rechte (Abs. 2)
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Das polizeiliche Schutzgut Rechtsordnung umfasst auch die Privatrechtsordnung und damit alle privaten Rechte (s. o. § 1, RN 24). Zu ihrem Schutz sind allerdings in erster Linie die ordentlichen Gerichte(z. B. Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht) und deren Vollstreckungsorgane (z. B. Gerichtsvollzieher) berufen. Ein Einschreiten der Polizeiist deshalb auf den in Abs. 2 umschriebenen Notfallbeschränkt.
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Die subsidiäre Zuständigkeit nach Abs. 2 besteht nur hinsichtlich der Güter, die ausschließlichdurch private Rechte,d. h. durch solche, die ihre Grundlage in der Privatrechtsordnung (BGB, Handelsrecht, Arbeitsrecht etc.) haben, geschützt werden. In den meisten praxisrelevanten Fällen werden gleichzeitigauch Normen des öffentlichen Rechts(Strafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, verwaltungsrechtliche Ge- oder Verbote) verletzt. Darf die Polizei auch zu deren Schutz präventiv tätig werden – das ist z. B. nicht der Fall, wenn die Straftat bereits beendet ist –, gilt Abs. 2 nicht, d. h. die Polizei ist ohne Weiteres zur Aufgabenwahrnehmung zuständig. Eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen des Abs. 2 erübrigt sich dann.
Beispiele:Jemand hat sein Kfz vor einer fremden Garage abgestellt und sich entfernt. Damit wird nicht nur das privatrechtliche Besitz- und Nutzungsrecht an Kfz und Garage beeinträchtigt, gleichzeitig liegt auch eine noch nicht beendete Ordnungswidrigkeit nach § 12 LOWiG vor. Die Polizei ist ohne Weiteres zuständig, auf die Voraussetzungen des Abs. 2 kommt es nicht an (anders VG Freiburg, NJW 1979, 2060 zur früheren Rechtslage). Durch eine Hausbesetzung wird der privatrechtliche Herausgabeanspruch des Eigentümers (§ 985 BGB) verletzt. Gleichzeitig stellt sich die Hausbesetzung i. d. R. als nicht beendeter Hausfriedensbruch (§§ 123 ff. StGB) dar, sodass die Polizei, ohne dass die Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen müssen, zuständig ist.
Ballspielende Jugendliche haben eine Fensterscheibe der angrenzenden Wohnung des E eingeschlagen und sind im Begriff, davonzulaufen. Die von E verständigte Polizeistreife nimmt die Personalien der Jugendlichen nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 auf. Der objektive Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) ist hier bereits verwirklicht, eine weitere Begehung droht aber nicht, sodass zur vorbeugenden Verhütung einer Straftat nicht mehr eingeschritten werden kann. Die Personenfeststellung ergeht also nur zum Schutz privater Rechte (Sicherung des Anspruchs aus § 823 BGB), sodass die weiteren Voraussetzungen des Abs. 2 vorliegen müssen.
Werden Pressefotosohne Einwilligung der Abgebildeten (Privatpersonen, Polizeibeamte) gefertigt, so ist deren Recht am eigenen Bild (§ 22 KunstUrhG) verletzt und damit ausschließlich ein privates Recht, sodass die Polizei die Beschlagnahme des Films nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 vornehmen darf (vgl. VGH BW, VBlBW 1995, 282, 283; VBlBW 2008, 375, 377, VGH BW, Urt. v. 8.5.2008 – 1 S 2914/07). Soll aber die Verbreitungund öffentliche Zurschaustellung solcher Fotos verhindert werden, geht es um die Abwehr einer Straftat (§ 33 KunstUrhG). Dann kann die Polizei ihre Maßnahmen treffen, ohne dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 geprüft werden müssten (OVG NW, DÖV 2001, 476; unzutr. VGH BW, VBlBW 2001, 102).
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