§ 2 Abs. 2 gilt auch dann nicht, wenn zwar ein privates Recht verletzt ist, sich aber daneben eine Zuständigkeit der Polizei aus anderen Gründen ergibt (VGH BW, Az: 1 S 915/2011).
Beispiel:Das rechtsgrundlose Verweilen in einer beschlagnahmten Wohnung nach Ablauf der Beschlagnahmefrist beeinträchtigt das Eigentumsrecht des Hauseigentümers. Dennoch ist die Polizei ohne Weiteres für Räumungsmaßnahmen zuständig, da sie die Folgenbeseitigungspflicht trifft (VGH BW, NJW 1997, 2832, 2833).
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Bei Verkehrsunfällenhat der Polizeivollzugsdienst in erster Linie unfallbedingte Gefahren abzuwehren und Verkehrsstraftaten und ordnungswidrigkeiten zu erforschen. Seine Zuständigkeit zum Schutz zivilrechtlicher Ansprüche beschränkt sich darauf, gegebenenfalls dafür Sorge zu tragen, dass jeder am Unfall Beteiligte seiner Verpflichtung aus § 34 Abs. 1 Nr. 5 StVO nachkommt. Hierfür müssen nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 geprüft werden, denn für eine entsprechende Weisung nach § 36 StVO ist der PVD ohne Weiteres zuständig. Für weitergehende Tätigkeiten zur Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche fehlt dem Polizeivollzugsdienst die Zuständigkeit, es sei denn, sie ist gesetzlich vorgesehen (z. B. § 34 Abs. 1 Nr. 7 StVO).
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Polizeiliches Einschreiten zum Schutz privater Rechte setzt einen formlosen Antragvoraus. Fehlt es daran, darf die Polizei nicht tätig werden. Der Schutz privater Rechte darf also weder aufgedrängt werden, noch ist es zulässig, einen mutmaßlichen Antrag zu unterstellen.
Beispiel:Fehlt im dritten Beispiel unter RN 12 der Antrag des Wohnungsinhabers, dürfen die Personalien der Jugendlichen nicht nach § 27 Abs. 1 Nr. 1, sondern allenfalls nach § 163 b StPO festgestellt werden.
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Der Antrag ist vom Berechtigten, d. h. vom Inhaber des privaten Rechts zu stellen. Dieser muss die Inhaberschaft seines Rechts nicht beweisen, sondern lediglich glaubhaftmachen. Keinesfalls ist es Aufgabe der Polizei, zweifelhafte Zivilrechtsfragen selbst zu entscheiden.
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Gerichtlicher Schutzkann nicht rechtzeitigerlangt werden. Das wird immer dann der Fall sein, wenn selbst vorläufige zivilgerichtliche Sicherungsmaßnahmen wie Arrest oder einstweilige Verfügung (§§ 916 ff. ZPO) zu spät kämen, aber auch dann, wenn die zivilrechtliche Durchsetzung des privaten Rechts mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. VGH BW, VBlBW 1995, 282, 283).
Beispiel:Dem von einer Hausbesetzung betroffenen Hauseigentümer darf polizeilicher Schutz versagt werden, wenn er eine einstweilige Verfügung gegen die Besetzer erwirken kann. Diese Möglichkeit scheidet jedoch häufig aus, wenn er nicht in der Lage ist, die – häufig wechselnden – Antragsgegner zu bezeichnen (VG Berlin, NJW 1981, 1748; LG Hannover, NJW 1981, 1455; LG Krefeld, NJW 1982, 289; OLG Köln, NJW 1982, 1888).
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Ohne polizeiliche Hilfe besteht die Gefahr, dass die Verwirklichungdes privaten Rechts vereitelt oder wesentlich erschwertwird. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Berechtigte selbst in der Lage ist, auf zumutbare und legale Weise sein Recht durchzusetzen (vgl. die Notrechte §§ 859 f., 904 BGB; §§ 32 ff. StGB).
Beispiel:Ob der behinderte Garageninhaber (erster Beispielsfall unter RN 12) zunächst im Wege der Selbsthilfe (§ 859 Abs. 1 BGB) einen Abschleppunternehmer beauftragen muss, ist allerdings umstritten (VG Freiburg, NJW 1979, 2060, 2061; OVG Saarlouis, NZV 1991, 47).
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Sind die Voraussetzungen des Abs. 2 gegeben, darf die Polizei grundsätzlich nur vorläufige Sicherungsmaßnahmentreffen, nicht also solche, die der endgültigen Durchsetzung des privaten Rechts dienen.
Beispiel:Zur Sicherung einer Schadensersatzforderung nach § 823 BGB dürfen die Personalien des Schädigers nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 festgestellt werden. Unzulässig wäre eine Anordnung, die Schadensersatzzahlung sofort vorzunehmen. Hierzu ist nur ein ordentliches Gericht berufen. Die Einziehung (§ 39) eines Films und die Anordnung seiner Vernichtung ist keine vorläufige Sicherungsmaßnahme zum Schutz einer möglichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (VGH BW, VBlBW 1995, 282, 284).
Unter welchen Umständen der Bürger einen Anspruchauf polizeilichen Schutz seiner privaten Rechte hat, beurteilt sich nach allgemeinen Kriterien (s. u. § 3, RN 34). In keinem Fall vermittelt § 2 Abs. 2 selbst einen solchen Anspruch (vgl. VGH BW, NJW 1997, 1798 gegen VG Freiburg, NJW 1997, 1796, 1797).
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Ebenfalls dem Schutz privater Rechte dient die Sicherstellungnach § 37. Einen Antrag des Berechtigten setzt diese Maßnahme allerdings nicht voraus.
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Ob die Polizei für ihr Tätigwerden für den Einzelnen Kostenerheben kann, beurteilt sich nach den allgemeinen Regeln über den Polizeikostenersatz (s. u. § 127, RN 8).
ZWEITER ABSCHNITT Maßnahmen der Polizei
Erster Unterabschnitt Allgemeines
§ 3 Polizeiliche Maßnahmen
Die Polizei hat innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheinen.
Literatur: Arzt, Gefährderansprache und Meldeauflage bei Sport-Großereignissen, Die Polizei 2006, 156; Brucker, Präventivmaßnahmen gegen reisende Hooligans, NJW 2004, 1631; Butzer, Flucht in die polizeiliche Generalklausel?, VerwArch. Bd. 93 (2002), 506; Deger, Handlungsformen der Polizei gegen störende Ansammlungen, VBlBW 2004, 96; Frotscher, Der Schutz der Allgemeinheit und der individuellen Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht, DVBl. 1976, 695; Herzmann, Ausgangssperren auch in Deutschland?, DÖV 2006, 678; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983; Krahm, Polizeiliche Maßnahmen zur Eindämmung von Hooligangewalt, 2008; Kunze, Das System der Kompetenzverteilung zur Gefahrenabwehr in Baden-Württemberg, VBlBW 1995, 81; Martensen, Die Verjährung als Grenze polizeilicher Verantwortlichkeit, NVwZ 1997, 442; Möstl, Die dogmatische Gestalt des Polizeirechts, DVBl. 2007, 122; Nolte, Aufgaben und Befugnisse der Polizeibehörden bei Sportgroßveranstaltungen, NVwZ 2000, 147; Ossenbühl, Der polizeiliche Ermessens- und Beurteilungsspielraum, DÖV 1976, 463; ders., Verzicht, Verwirkung und Verjährung als Korrektive einer polizeilichen Ewigkeitshaftung, NVwZ 1995, 547; Pietzcker, Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, JuS 1982, 106; Rasch, Der Realakt insbesondere im Polizeirecht, DVBl. 1992, 207; Schlink, Die polizeiliche Räumung besetzter Häuser, NVwZ 1982, 529; ders., Korrektur von Gerichtsentscheidungen durch die Polizei?, NJW 1988, 1689; Schoch, Behördliche Untersagung „unerwünschten Verhaltens“ im öffentlichen Raum, Jura 2012, 858; ders., Rechtsschutz gegen polizeiliche Maßnahmen, Jura 2001, 628; Schucht, Die polizei- und ordnungsrechtliche Meldeauflage – Standortbestimmung und dogmatische Neuausrichtung, NVwZ 2011, 709; ders., Generalklausel und Standardmaßnahme, 2012; Stumpf, Die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche, NVwZ 2003, 1198; Trurnit, Eingriffsbefugnisse bei Veranstaltungen, Jura 2012, 365; Zöller/Ihwas, Rechtliche Rahmenbedingungen des polizeilichen Flugdrohneneinsatzes, NVwZ 2014, 408.
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