Für die vorliegende Untersuchung ist von Bedeutung, dass das Kriterium der Organisationsherrschaft zwischenzeitlich durch den BGH aufgenommen und zum Gegenstand seiner Rechtsprechung im Rahmen von rechtsgelösten Machtapparaten gemacht wurde.[15] Darüber hinaus findet sich wiederholt die Formulierung[16], der BGH habe den Gedanken der Organisationsherrschaft mittlerweile auf die Rechtsprechung zur mittelbaren Täterschaft von verantwortlichen Hintermännern im Rahmen von Wirtschaftsunternehmen ausgedehnt. Hierin bestehe für ihn eine verlockende Möglichkeit in kompliziert gelagerten Fällen täterschaftliche Verantwortung herzuleiten.[17] Dies wirft für die vorliegende Untersuchung die Frage auf, inwieweit sich eine derartige Rechtsprechung auch für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Rahmen der Steuerhinterziehung fruchtbar machen lässt.
[1]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 45 ff.
[2]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 45 ff.
[3]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 47 ff.
[4]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 62.
[5]
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 232.
[6]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 63 ff.
[7]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 76 ff.
[8]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 91 ff.
[9]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 95.
[10]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 94 ff.
[11]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 105 ff.
[12]
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 244 f.
[13]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 107; LK- Roxin (2003), § 25 Rn. 128; in diese Richtung auch ders. Täterschaft und Tatherrschaft, S. 243 f.
[14]
Neuerdings nennt Roxin als weiteres Kriterium die „organisationsspezifische Tatbereitschaft“, siehe Roxin FS Schroeder, S. 387 (397 f.).
[15]
Siehe etwa BGH v. 26.7.1994, 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218 (236 f.).
[16]
Siehe nur Heinrich FS Krey, S. 147 (152) mit zahlreichen Nachweisen.
[17]
Rotsch NStZ 2005, 13 (18).
Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin› B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten› III. Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft
III. Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft
13
Die spezifische Variante der Tatherrschaft im Bereich der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) sei schließlich die funktionelle Tatherrschaft.[1] Die Herrschaft über die Tat soll sich bei der Mittäterschaft aus der Funktion des Täters bei der Tatausführung ergeben. Mittäterschaft sei Tatbestandsverwirklichung durch anteilige beziehungsweise arbeitsteilige Ausführung der Tat. Tatherrschaft werde hierbei dadurch vermittelt, dass der Ausführende eine Aufgabe übernehme, die für die Realisierung des gemeinsamen Tatplans wesentlich sei. Korrektiv sei hierbei, ob dem Ausführenden durch diesen Tatbeitrag die Beherrschung des Gesamtgeschehens ermöglicht werde, auch wenn er nicht sämtliche wesentlichen Tatbeiträge eigenhändig vorgenommen habe.[2] Eine solche Beherrschung sei dann denkbar, wenn der Beteiligte durch die Verweigerung seines Tatbeitrages dazu in der Lage sei, den gesamten Deliktsplan scheitern zu lassen. Eine derartige Hinderungsmacht verleihe Tatherrschaft über die gesamte Tat.[3] Mittäterschaft sei dementsprechend von zwei Voraussetzungen abhängig: dem Vorliegen eines gemeinsamen Tatplans und der gemeinsamen Tatausführung. Die gemeinsame Tatausführung setze wiederum voraus, dass ein wesentlicher Tatbeitrag im Ausführungsstadium der Tat erbracht werde.[4]
[1]
Siehe dazu Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188 ff.; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, S. 275 ff.; LK- Roxin (2003), § 25 Rn. 154.
[2]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188; LK- Roxin (2003), § 25 Rn. 154; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 278 f.
[3]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188.
[4]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 189; LK- Roxin (2003), § 25 Rn. 173 ff.
C. Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen
14
Roxin wendet die Tatherrschaftslehre nur auf die von ihm sogenannten Herrschaftsdelikte an. Daneben gebe es jedoch mit den Pflichtdelikten und den eigenhändigen Delikten zwei Deliktsgruppen, für die das Tatherrschaftskriterium keine taugliche Grundlage zur Bestimmung von Täterschaft biete.[1] Die Unanwendbarkeit des Tatherrschaftsgedankens folge sowohl bei den Pflichtdelikten als auch bei den eigenhändigen Delikten aus ihrer Tatbestandsstruktur und sei keine Eigenart des Tatherrschaftsgedankens.[2] Der Gesetzgeber habe zwei Möglichkeiten, ein deliktstypisches Verhalten in einer dem nullum-crimen-Grundsatz entsprechenden Weise tatbestandlich erfassen zu können.[3] Die eine Möglichkeit bestehe darin, das sozial unerträgliche Verhalten im Tatbestand der Strafvorschrift möglichst genau zu definieren. Für diese „Handlungsdelikte“ sei das Kriterium der Tatherrschaft das geeignete Abgrenzungsmerkmal zur Ermittlung von Täterschaft.[4] Die zweite Möglichkeit bestehe demgegenüber darin, im Tatbestand an eine – diesen erst konstituierende – Pflicht anzuknüpfen, deren Verletzung das strafwürdige Verhalten ausmache. Eine so geprägte Tatbestandsstruktur bringe zwangsläufig auch eine Eingrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Strafvorschriften mit sich. Zentralgestalt dieser Pflichtdelikte könne nur der Adressat der entsprechenden Verpflichtung sein. Bei der Tatbestandsverwirklichung komme es danach nicht auf die Tatherrschaft, sondern nur darauf an, ob die vom Tatbestand konstituierte Pflicht durch ihren Träger verletzt worden sei.[5]
Entsprechend verhalte es sich bei eigenhändigen Delikten. Eigenhändige Delikte seien Delikte, die weder vom Tatherrschaftsgedanken noch vom Pflichtdeliktsgedanken zu erfassen seien und daher eine eigenständige Deliktsgruppe bildeten.[6] Diese Delikte könnten nur in unmittelbarer Täterschaft begangen werden. Mittelbare- und Mittäterschaft seien insoweit nicht denkbar.[7] Welche Delikte im Einzelnen als eigenhändige Delikte eingestuft werden können, ist umstritten.[8] Klar sei jedoch, dass die Tatherrschaftslehre im Rahmen der eigenhändigen Delikte keine Anwendung finden könne, weil diese eben allein durch den unmittelbar Ausführenden und gerade nicht durch einen Hintermann oder mit Hilfe eines Komplizen kraft Willens- oder funktioneller Tatherrschaft begangen werden könnten.[9]
[1]
Siehe dazu ausdrücklich Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 27 (Fn. 23).
[2]
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 353; in diesem Sinne auch ders. Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 267 f.
[3]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 267.
[4]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 267.
[5]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 268.
[6]
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 399.
[7]
Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 288.
[8]
Siehe zum Streitstand Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 288 ff.
[9]
Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 399 f.
Читать дальше