D. H. Lawrence
Translator: F. Franzius
e-artnow, 2022
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EAN 4066338122698
1. Wie Tom Brangwen eine polnische Dame heiratete Erstes Kapitel. Wie Tom Brangwen eine polnische Dame heiratete Inhaltsverzeichnis
I
II
2. Sie leben in der Marsch
3. Anna Lenskys Kindheit
4. Anna Brangwens Mädchenzeit
5. Hochzeit in der Marsch
6. Anna Victrix
7. Der Dom
8. Das Kind
9. Die Marsch und die Überschwemmung
10. Der Kreis weitet sich
11. Erste Liebe
12. Scham
13. Die Welt des Mannes
14. Der Kreis weitet sich
15. Bittere Wonnen
16. Der Regenbogen
Erstes Kapitel.
Wie Tom Brangwen eine polnische Dame heiratete
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Manche Geschlechter der Brangwens schon hatten auf dem Marschenhofe gelebt, auf den Wiesen, wo der Erewash sich träge durch Ellernbüsche windet, ein Grenzstrich zwischen Derbyshire und Nottinghamshire. Zwei Meilen weiter auf einem Hügel stand ein Kirchturm, zu dem die Häuser der kleinen Landstadt scheinbar eilig hinaufkletterten. Hob einer der Brangwens auf dem Felde den Kopf von seiner Arbeit, so sah er den Kirchturm von Ilkeston gegen den leeren Himmel stehen. Daher blieb ihm, wenn er sich der ebenen Erde wieder zuwandte, das Gefühl von etwas über ihm und weit, weit weg Stehendem.
Der Blick in den Augen der Brangwens war voller Erwartung, voller Sehnsucht nach dem Unbekannten. Sie sahen aus, als wären sie gefaßt auf alles, was da kommen möchte, sicher, erwartungsvoll, wie geborene Besitzer.
Sie waren frische, hellhaarige, schwerfällig redende Leute, die sich vollständig, aber langsam zu erkennen gaben, so daß man in ihren Augen jede Übergangsstufe vom Lachen zum Zorn, von lichtblauem Lachen zu hartem, blitzblauem Zorn, beobachten konnte, durch alle Schwankungen des Himmels bei unbeständigem Wetter.
Dadurch daß sie auf fettem Boden, auf eigener Scholle saßen, dicht bei einer emporblühenden Stadt, hatten sie vergessen, was es heißt, in knappen Verhältnissen zu leben. Reich waren sie nie geworden, weil immer Kinder da waren und das Erbe jedesmal geteilt werden mußte. Aber stets herrschte auf dem Marschenhofe reichliche Fülle.
So kamen und gingen die Brangwens ohne Furcht vor Not, harte Arbeiter aus innerem Lebensdrange, nicht aus Geldmangel. Sie waren aber auch nicht verschwenderisch, über den letzten halben Groschen gaben sie sich Rechenschaft, und ihre Anlage ließ sie keine Apfelschale umkommen, denn sie konnte ja noch zum Viehfutter dienen. Aber Himmel und Erde rund um sie her waren so fruchtbar, und wie sollte das je anders werden? Sie fühlten, wie der Saft im Frühling emporquoll, sie kannten die unaufhaltsame Welle, die jedes Jahr allen Samen zur Zeugung vorwärtstreibt und zurückflutend das Neugeborene auf Erden zurückläßt. Sie kannten die Wechselbeziehungen zwischen Himmel und Erde, wußten, wie diese den Sonnenschein in Brust und Eingeweide einsaugt, wie sie tagsüber den Regen einschlürft, kannten die Nacktheit, die mit den Herbstwinden kommt und alle Vogelnester den Blicken preisgibt, da sie nun keinen Versteck mehr brauchen. Ihr Leben und seine Wechselbeziehungen waren derart: sie fühlten den Puls und den Leib der Erde, die sich in ihren Furchen dem Saatkorn öffnet und unter ihrem Pfluge wieder glatt und eben wurde, die sich mit einem Gewicht an ihre Füße hängte als sehnte sie sich nach ihnen, und hart und unzugänglich dalag, wenn das Korn reif zum Schneiden war. Das junge Korn wogte in seidigem Glanz, der über die Glieder der Männer hinglitt wenn sie es sich ansahen. Sie nahmen das Euter ihrer Kühe, die Kühe gaben Milch und ihr Pulsschlag teilte sich den Händen der Männer mit, der Puls des Blutes in den Zitzen der Kühe ging in den Pulsschlag in der Menschenhand über. Sie stiegen zu Pferde und hielten Leben in der Umklammerung ihrer Knie, sie schirrten ihre Pferde vor den Wagen und lenkten mit der Hand am Zügelring die Zugkraft der Pferde nach ihrem Willen.
Im Herbste schwirrten Rebhühner empor, Vogelschwärme sausten wie ein Sprühregen über das Brachfeld, Krähen erschienen am grauen, wässerigen Himmel und flogen krächzend dem Winter entgegen. Dann saßen die Männer zu Hause am Feuer, wo die Frauen sich voller Sicherheit umherbewegten, und Leib und Seele der Männer waren erfüllt von ihrem Tagewerk, von Vieh und Boden und Pflanzenwuchs und Himmel; sie saßen am Feuer und ihr Denken ruhte, während das Blut müde von der Tageslast durch ihre Adern floß.
Die Frauen waren anders. Auch über ihnen lag eine gewisse Schwerfälligkeit infolge der Beziehungen des Blutes zu saugenden Kälbern und den Scharen umherlaufender Hühner und unruhig flügelschlagender junger Gänse, die unter ihren Händen zitterten, wenn sie ihnen das Futter in die Kehle stopften. Aber die Frauen blickten über das aufgeregte, blinde Hofleben hinweg nach der redenden Welt in der Ferne aus. Sie fühlten, wie Lippen und Sinne der Welt sprachen und Gedanken äußerten, hörten ihren Klang in der Ferne und horchten aufmerksam auf ihn.
Den Männern genügte es, daß die Erde strotzte und ihnen ihre Furchen öffnete, daß der Wind wehte, den feuchten Weizen zu trocknen und die jungen Kornähren sausend im Kreise herumzutreiben; es war genug, wenn sie der Kuh in ihren Wehen beistanden oder die Ratten unter der Tenne wegfingen, oder mit einem scharfen Handschlag einem Kaninchen das Genick brachen. Sie fühlten in ihrem Blute so viel Wärme und Zeugungskraft und Schmerz und Tod, kamen mit diesem in so vielerlei Beziehungen, daß ihr Leben voll und übervoll davon war, ihre Sinne volle Nahrung in ihnen fanden und ihre Gesichter sich dauernd der Hitze des Blutes zuwandten, in die Sonne starrend, betäubt von dem Blick auf die Quellen des Lebens und unfähig, sich von ihnen abzuwenden.
Die Frau aber sehnte sich nach anderer Lebensart; nach etwas über diese Beziehungen des Blutes Hinausgehendem. Ihr Teil des Hauses war von den Hofgebäuden und den Feldern abgekehrt, er überblickte den Weg und die Stadt mit der Kirche und dem Amtshaus und dem was dahinter lag. Sie stand und wünschte die ferne, ferne Welt der Städte zu sehen, mit der Regierung und dem weiten Tätigkeitsfelde der Menschen, einem Zauberlande für sie, in dem alle Geheimnisse gelöst und alle Wünsche erfüllt wurden. Sie blickte nach außerhalb, wo die Männer sich als Herrscher und Schöpfer bewegten, dem heißen Pulsschlag der Zeugung den Rücken kehrten und mit ihr als Rückhalt auf Entdeckung des Jenseits ausgingen, um die eigene Wirksamkeit, ihr Gesichtsfeld, ihre Freiheit zu erweitern; die Brangwen-Männer dagegen blickten nach innen, in das schwellende Leben der Mutter Natur, das sich unverwässert durch ihre Adern ergoß.
Wie sie so notwendigerweise von der Vorderseite ihres Hauses auf die Tätigkeit der Menschen in der großen Welt hinausblickte, während ihr Mann von der Hinterseite aus nach Himmel und Ernte und Vieh und Land aussah, blickte sie angestrengt nach dem, was die Menschen da draußen in ihrem Kampfe ums Wissen vollbrachten; sie horchte scharf auf die Ergebnisse ihrer Eroberungsfahrten; ihre tiefste Sehnsucht hing an diesem Kampf, dessen Toben sie in weiter Ferne, an der Grenze des Unbekannten, vernahm. Sie auch wollte wissen und zum kämpfenden Heere gehören.
In ihrer Heimat, ja ihr ganz nahe, in Cossethay saß der Vikar, der jene andere, jene Zaubersprache verstand und sich so ganz anders, so viel feiner benahm, was sie beides zwar wohl bemerken, sich aber doch nicht angewöhnen konnte. Der Vikar bewegte sich in einer anderen Welt als der, in der ihr Mannsvolk lebte. Kannte sie ihr Mannsvolk etwa nicht: frische, langsame, muskelstrotzende Kerls, herrisch genug wohl, aber auch wieder leichtsinnig, Erdgeborene, denen es an Äußerem, an Bewegungsfreiheit fehlte.
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