Gerlinde Marquardt
Der einfarbige Regenbogen, Kriminalroman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gerlinde Marquardt Der einfarbige Regenbogen, Kriminalroman Dieses ebook wurde erstellt bei
Begegnung am Meer Begegnung am Meer Der einfarbige Regenbogen Das klatschende, gurgelnde, mahlende Geräusch schwillt an und ebbt wieder ab. Es wiederholt sich ständig. Sie steht schon lange barfuß am Ende des Holzstegs, der mit seinen grauen Querlatten durch die Dünen führt. Ihre Schuhe hält sie in einer Hand. Der frische Wind stößt – genauso wie der hier durch ihn aufgewirbelte Sand – ab und zu gegen ihre nackten Beine. Zwischen ihr und dem Tosen der Wellen liegen nur wenige Meter. Ein Streifen heller loser Sand zieht den Blick auf sich. Dahinter lauert die dunklere glatt gewalzte, mit Quallen bestückte Ufermasse, die regelmäßig überspült wird. Und jedes Mal wird dabei ein Teil der entstehenden wilden Schaumberge eingesaugt, bevor die restliche Gischt wieder hinter der Strandkante im Wasser verschwindet. Land und Meer, denkt sie, die sich in ewiger Fehde verschlingen, um nie zu verlieren und nie zu gewinnen. Weit draußen über dem Horizont liegt Nebel. Die Trennungslinie zwischen Himmel und Wasser ist nicht mehr zu erkennen. Trennungen? Nein, nicht schon wieder zurückblicken, denkt Isa. Vergessen möchte ich doch, einfach alles Vergangene auslöschen. Warum nur war mein Hirn nicht so barmherzig und hat mich davor geschützt? Gleißendes Licht von den nahenden Wellenkämmen sticht in Isas Augen. Sie weiß nicht mehr, wie lange sie hier schon steht. Sie bemerkt nicht einmal das Frösteln, das über ihren Körper zieht. Das Wasser schiebt sich immer weiter zu ihr heran, der Streifen des hellen Sandes wird zusehends schmaler. Zurzeit muss Flut sein, überlegt sie. Wann wird mich diese herankommende brodelnde Masse erreichen? Wie aus weiter Ferne kommend, nimmt sie ein knirschendes Geräusch wahr. Räder!, denkt sie. Räder, die auf sandigen Bohlen niemals lautlos in Bewegung sind. Plötzlich ist es wieder still, unheimlich still. Sie weiß, da ist jemand hinter ihr, jemand, der sich vielleicht nicht bemerkbar machen will. Ihre Erstarrung zieht sich zu einer fast schmerzhaften Endlosigkeit. Irgendwann gelingt es ihr, diese in Bewegung umzusetzen. Sie dreht sich um – und schaut in die stahlblauen durchdringenden Augen des Richters.
Verhängnisse und Nachbarschaften
Hanjo
Nächtliche und weitere Verwirrungen
Eingewiesen
Vertrauenssache
Schattentänzer
Dreiste oder barmherzige Unwahrheiten
Schmerzliches
Dreiste und barmherzige Lügen
Familienbande
Fremdes Land
Der Richter!
Impressum neobooks
Der einfarbige Regenbogen
Das klatschende, gurgelnde, mahlende Geräusch schwillt an und ebbt wieder ab. Es wiederholt sich ständig. Sie steht schon lange barfuß am Ende des Holzstegs, der mit seinen grauen Querlatten durch die Dünen führt. Ihre Schuhe hält sie in einer Hand. Der frische Wind stößt – genauso wie der hier durch ihn aufgewirbelte Sand – ab und zu gegen ihre nackten Beine.
Zwischen ihr und dem Tosen der Wellen liegen nur wenige Meter. Ein Streifen heller loser Sand zieht den Blick auf sich. Dahinter lauert die dunklere glatt gewalzte, mit Quallen bestückte Ufermasse, die regelmäßig überspült wird. Und jedes Mal wird dabei ein Teil der entstehenden wilden Schaumberge eingesaugt, bevor die restliche Gischt wieder hinter der Strandkante im Wasser verschwindet. Land und Meer, denkt sie, die sich in ewiger Fehde verschlingen, um nie zu verlieren und nie zu gewinnen.
Weit draußen über dem Horizont liegt Nebel. Die Trennungslinie zwischen Himmel und Wasser ist nicht mehr zu erkennen. Trennungen? Nein, nicht schon wieder zurückblicken, denkt Isa. Vergessen möchte ich doch, einfach alles Vergangene auslöschen. Warum nur war mein Hirn nicht so barmherzig und hat mich davor geschützt?
Gleißendes Licht von den nahenden Wellenkämmen sticht in Isas Augen. Sie weiß nicht mehr, wie lange sie hier schon steht. Sie bemerkt nicht einmal das Frösteln, das über ihren Körper zieht. Das Wasser schiebt sich immer weiter zu ihr heran, der Streifen des hellen Sandes wird zusehends schmaler. Zurzeit muss Flut sein, überlegt sie. Wann wird mich diese herankommende brodelnde Masse erreichen?
Wie aus weiter Ferne kommend, nimmt sie ein knirschendes Geräusch wahr. Räder!, denkt sie. Räder, die auf sandigen Bohlen niemals lautlos in Bewegung sind. Plötzlich ist es wieder still, unheimlich still. Sie weiß, da ist jemand hinter ihr, jemand, der sich vielleicht nicht bemerkbar machen will.
Ihre Erstarrung zieht sich zu einer fast schmerzhaften Endlosigkeit. Irgendwann gelingt es ihr, diese in Bewegung umzusetzen. Sie dreht sich um – und schaut in die stahlblauen durchdringenden Augen des Richters.
Verhängnisse und Nachbarschaften
An die Aussegnungshalle wird sich Isa später sicher nur sehr vage erinnern können. Denn ihre Gedanken verloren sich gerade wie in einem Labyrinth, sie konnte sich einfach nicht auf die Ansprache des Pfarrers konzentrieren.
Ihr Blick fiel seitlich auf ihren etwas älteren Bruder. Sein rundes Gesicht war so bleich, dass die darin spärlich verstreuten Sommersprossen förmlich aus seiner blutarmen Haut stachen. Sein kräftiger Körper wirkte noch hilfloser als sonst. Er starrte nur vor sich hin und fummelte mit fahrigen Fingern an dem Reißverschluss seiner dunklen Jacke. Isa machte sich Sorgen. Hanjo sah so müde aus. Seine Haare waren struppig, wie ungekämmt. Er hatte sich nach Mutters Unfall irgendwie verändert, das war nicht zu übersehen. Isa versuchte sein Verhalten einzuschätzen. Dieser Versuch misslang. Unwillkürlich zog Isa ihre Augenbrauen zusammen. Das Grübeln brannte sich hinter ihrer Stirn ein. Sicher hatte Hanjo das furchtbare Ereignis immer noch deutlich vor Augen. Ob er von der Trauerfeier überhaupt etwas wahrnahm? Bestimmt waren seine Gedanken schon lange Zeit abgeschweift.
Isa musste tief durchatmen. Was hatte Mutter einmal gesagt? „Wenn Kinder erwachsen werden, müssen sie die Wirklichkeit des Lebens eigenständig kennen und zu ertragen lernen. Kranke Kinder bleiben aber für die Mutter immer die zu beschützenden Wesen.“ Die letzteren Worte hatten damals Hanjo gegolten. Über seine Eigenheit hatte Mutter nie gesprochen. Er war eben beständig da, da mit seiner berührenden anspruchslosen Art, aber durchaus liebenswürdig, schloss Isa. Nur für wenige Sekunden drangen Wortfetzen des Pfarrers an ihr Ohr. Doch schon setzte Isa ihre Gedankenreihe fort: Seltsam, nach dem Unfalltag hatte Hanjo nie über die Mutter gesprochen. Er müsste sie doch vermissen! Seine bereits seit früher Jugend seltsame Abwesenheit wird sich hoffentlich nicht noch verstärken! Ob Hanjo sie jetzt wohl als beschützende Schwester wahrnehmen würde? Sehr viele Gemeinsamkeiten hatte es zwischen ihnen eigentlich nie gegeben. Aber auch zwischen ihr und Mona nicht!
Wie sollte es jetzt mit Hanjo weitergehen? Eine Betätigung für ihn zu finden war fast unmöglich, das war Isa klar. Hanjo war stets nur zu Hause gewesen und Mutter hatte ihn selbstverständlich versorgt. Allerdings hatte Hanjo bis heute niemandem große Mühe gemacht. Er war schon immer mit sich selbst zufrieden gewesen; zufrieden, wenn er vor sich hinträumen konnte, zufrieden, wenn er kleine oder große Spaziergänge gemacht hatte. Nachdem Isas Bruder älter geworden war und somit auch selbstständiger, war er schon manches Mal einfach für einige Zeit von zu Hause fortgeblieben. Mutter hatte sich darüber aber nie Sorgen gemacht. „Der kommt schon wieder“, waren stets ihre Worte gewesen. Isa besaß dieses Naturell nicht; sie hatte es schon von Kindheit an nie besessen. War Hanjo erst sehr spät nach Hause gekommen, war Isa immer schon Panikattacken sehr nahe gewesen. Allerdings hatte sie stets den Verdacht, dass Mutter genau gewusst hatte, wo sich Hanjo aufhielt.
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