Für Joyce McLennan
Meine Freundin und Privatassistentin, die seit fünfunddreißig Jahren meine Romane tippt
Mit Zuneigung und Dankbarkeit
Anmerkung der Verfasserin
Ich muss mich beim Geist Jane Austens dafür entschuldigen, dass ich ihre geliebte Elizabeth in das Grauen einer Mordermittlung hineingezogen habe – umso mehr, als Miss Austen ihren diesbezüglichen Ansichten im letzten Kapitel von Mansfield Park deutlich Ausdruck verliehen hat: »Sollen andere Federn bei Schuld und Elend verweilen. Ich verlasse dergleichen abscheuliche Themen, so schnell ich kann, und beeile mich, jeden, der sich nichts Schlimmes zuschulden kommen ließ, wieder in leidliches Wohlergehen zu versetzen und die übrigen zu vergessen.« Meine Entschuldigung hätte sie bestimmt mit dem Hinweis beschieden, dass sie, wäre ihr daran gelegen gewesen, sich länger bei solch abscheulichen Themen aufzuhalten, die Geschichte selbst geschrieben hätte, und zwar besser.
P. D. James 2011
Die Bennets von Longbourn
Unter der weiblichen Bewohnerschaft von Meryton herrschte Einvernehmen darüber, dass Mr. und Mrs. Bennet von Longbourn bei der Verheiratung von vieren ihrer fünf Töchter Glück gehabt hatten. Meryton, ein Marktstädtchen in Hertfordshire, liegt nicht auf der Strecke irgendwelcher Kavalierstouren, denn es besitzt weder ein schönes Umland, noch weist es eine bedeutende Geschichte auf, und der einzige große Herrensitz, Netherfield Park, ist zwar durchaus imposant, wird jedoch in den Büchern über die architektonisch bemerkenswerten Bauten der Grafschaft nicht erwähnt. Die Stadt verfügt über einen Saal, in dem regelmäßig Bälle, aber keine Theateraufführungen veranstaltet werden, so dass die Vergnügungen hauptsächlich in den Privathäusern stattfinden, wo die Langeweile der Abendgesellschaften und Whistrunden mit immer denselben Leuten nur vom Tratsch gemildert wird.
Eine Familie mit fünf unverheirateten Töchtern zieht besonders da, wo wenig anderer Zeitvertreib geboten ist, unweigerlich das mitfühlende Interesse aller Nachbarn auf sich, und die Lage der Bennets erwies sich als ganz besonders fatal. Denn in Ermangelung eines männlichen Erben sollte Mr. Bennets Besitz an seinen Cousin, den Reverend William Collins, übergehen, der, was Mrs. Bennet gern und lautstark beklagte, sie und ihre Töchter aus dem Haus würde jagen können, noch ehe ihr Mann im Grab erkaltet war. Reverend Collins hatte zwar zugegebenermaßen versucht, im Rahmen seiner Möglichkeiten für Entschädigung zu sorgen. Zu seinem persönlichen Ungemach, aber mit Zustimmung seiner herrischen Gönnerin Lady Catherine de Bourgh hatte er seine Pfarrei in Hunsford, Kent, verlassen und war in der mildtätigen Absicht, eine der fünf Töchter zu seiner Braut zu erwählen, nach Longbourn gefahren. Sein Vorhaben wurde von Mrs. Bennet mit begeisterter Zustimmung begrüßt, doch ließ sie ihn unverzüglich wissen, dass sich Miss Bennet, die älteste Tochter, wohl binnen kurzem verloben werde. Sein daraufhin gefasster Entschluss, Elizabeth, die Zweitälteste und Zweitschönste, zur Frau zu nehmen, stieß auf deren entschiedene Ablehnung, so dass er gezwungen war, sich bei Elizabeths Freundin Miss Charlotte Lucas um ein wohlwollenderes Echo auf seine Bitte zu bemühen. Miss Lucas hatte seinen Antrag mit erfreulicher Bereitwilligkeit angenommen, womit Mrs. Bennets Zukunft und die ihrer Töchter nicht gänzlich zum allgemeinen Bedauern der Nachbarn besiegelt war. Nach Mr. Bennets Tod würde Mr. Collins sie in einem der größeren Cottages auf dem Anwesen unterbringen, wo sie geistlichen Trost durch seine seelsorgerische Betreuung und leibliche Nahrung in Form von Speiseresten aus Mrs. Collins’ Küche, angereichert durch die gelegentliche Gabe eines Stücks Wildbret oder einer Speckseite, erhalten würden. Doch diesen Wohltaten konnten die Bennets zu ihrem Glück entrinnen. Am Ende des Jahres 1799 durfte sich Mrs. Bennet dazu gratulieren, Mutter von vier verehelichten Töchtern zu sein. Die Heirat der jüngsten, Lydia, war allerdings nicht vorteilhaft gewesen. Lydia war mit Lieutenant George Wickham durchgebrannt, einem Offizier des in Meryton stationierten Regiments. Die Eskapade, davon waren alle überzeugt, würde nicht anders enden, als ein solches Abenteuer es verdient hatte, nämlich damit, dass Wickham sie verlassen würde, sie des Elternhauses verwiesen, aus der Gesellschaft ausgestoßen und zum Schluss der letzten Erniedrigung anheimgegeben würde, die zu nennen der Anstand den Damen verbot.
Dann aber war die Eheschließung tatsächlich erfolgt, wovon William Goulding, ein Nachbar der Bennets, als Erster berichtete, nachdem er an der Kutsche aus Longbourn vorbeigekommen war und die frisch verheiratete Mrs. Wickham ihre Hand so ins offene Fenster gelegt hatte, dass er den Ring sehen konnte. Mrs. Bennets Schwester, Mrs. Philips, verbreitete eifrig ihre Version der Flucht, wonach das Paar auf dem Weg nach Gretna Green gewesen sei, zuvor aber noch kurz in London haltgemacht habe, weil Wickham einer Patin von seiner bevorstehenden Hochzeit erzählen wollte. Als Mr. Bennet auf der Suche nach seiner Tochter dort eingetroffen sei, habe das Paar den Vorschlag der Familie angenommen, die angestrebte Hochzeit besser in London stattfinden zu lassen. Niemand schenkte diesem Fantasiegespinst Glauben, doch wurde Mrs. Philips zugestanden, dass ihr Geschick beim Ersinnen desselben zumindest die Geste der Gutgläubigkeit verdient hatte. Niemals wollte man es natürlich zulassen, dass George Wickham in Meryton noch einmal die weibliche Dienerschaft ihrer Tugend und die Ladenbesitzer ihres Profits beraubte, aber man einigte sich darauf, dass man, sollte seine Ehefrau auftauchen, Mrs. Wickham dieselbe großzügige Nachsicht gewähren würde, die man zuvor Miss Lydia Bennet zugestanden hatte.
Über das Zustandekommen dieser verspäteten Hochzeit herrschte viel Rätselraten. Mr. Bennets Besitz war kaum zweitausend Pfund pro Jahr wert, und man nahm allgemein an, dass Mr. Wickham mindestens fünfhundert sowie die Bezahlung aller seiner in Meryton und andernorts aufgehäuften Schulden fordern würde, ehe er in die Heirat einwilligte. Offenbar hatte Mr. Gardiner, Mrs. Bennets Bruder, das Geld aufgebracht. Er war als warmherziger Mensch bekannt, hatte jedoch Familie und erwartete zweifellos, dass Mr. Bennet es ihm zurückzahlte. In Lucas Lodge herrschte große Angst, das Erbe des Schwiegersohns könnte dadurch eine starke Minderung erfahren. Doch als keine Bäume gefällt, kein Land verkauft, keine Diener entlassen wurden und der Metzger sich nicht abgeneigt zeigte, Mrs. Bennet die übliche wöchentliche Bestellung zu liefern, nahm man an, dass Mr. Collins und die liebe Charlotte nichts zu befürchten hatten und Mr. Collins, sobald Mr. Bennet anständig begraben war, Longbourn in sicherem Vertrauen auf die Unversehrtheit des Anwesens in Besitz nehmen könnte.
Die bald nach Lydias Hochzeit erfolgte Verlobung von Miss Bennet mit Mr. Bingley, dem Herrn von Netherfield Park, fand dagegen großen Beifall. Sie kam auch nicht überraschend, denn die Bewunderung, die Mr. Bingley für Jane hegte, war seit der ersten Begegnung der beiden bei einem Ball offensichtlich gewesen. Miss Bennets Schönheit, Sanftmut und naiver Optimismus hinsichtlich der menschlichen Natur, aufgrund dessen sie niemals schlecht über andere sprach, machten sie zum allgemeinen Liebling. Doch wenige Tage nach Bekanntgabe der Verlobung ihrer Ältesten mit Mr. Bingley sprach sich ein noch größerer Triumph für Mrs. Bennet herum, dem man zunächst ungläubig begegnete. Miss Elizabeth Bennet, die zweitälteste Tochter, würde Mr. Darcy heiraten, den Besitzer von Pemberley, eines der größten Häuser in Derbyshire – einen Mann, der, wie es hieß, über ein Einkommen von zehntausend Pfund pro Jahr verfügte.
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