Das Proletariat schuftete bis zur totalen Erschöpfung; die Arbeiter trugen billige Kleider, ohne jeden Schutz gegen Kälte oder Unfälle. Sie konnten nur die Lebensmittel kaufen, die die Bourgeoisie übrig ließ: faules Fleisch, welkes Gemüse, »Zucker« aus dem Abfall der Seifensiedereien und mit brauner Erde vermischten Kakao.
Wenn die Arbeit verschwand, Löhne ausblieben, konnte man selbst von dieser mageren Kost nicht mehr leben – viele Arbeiterfamilien begannen zu hungern. Krankheiten und dauerhafte Arbeitsunfähigkeit waren die Folge, Ärzte zu teuer – oftmals starben so ganze Familien. Was der Arbeiter benötigte – gesunde Lebensbedingungen und anständigen Lohn –, konnte er nur von der Bourgeoisie erhalten: »Sie kann über sein Leben und seinen Tod verfügen«. Diese höchst ausbeuterische Klasse der Kapitaleigner, so Engels, musste unverzüglich Schritte unternehmen, um die Lage der Arbeiter zu verbessern und den fahrlässigen Mord an einer ganzen gesellschaftlichen Klasse zu stoppen. 
Arbeiterfamilienin England litten während der 1840er-Jahre unter den Auswirkungen des Industriekapitalismus: materielle Not, lähmende finanzielle Unsicherheit und Krankheiten.
Friedrich Engels
Der politische Theoretiker und Philosoph wurde 1820 in Barmen/Wuppertal als Sohn eines Baumwollfabrikanten geboren. Als Teenager schrieb er unter dem Pseudonym Friedrich Oswald und war bald in linksintellektuellen Kreisen bekannt.
Nach kurzzeitiger Arbeit in einer Fabrik seines Vaters in Manchester (England) beschäftigte sich Engels dort mit der Theorie des Kommunismus. 1844 reiste er nach Paris, wo er Karl Marx traf und dessen Mitstreiter und Geldgeber wurde. Gemeinsam schrieben sie Das kommunistische Manifest und arbeiteten bis zu Marx’ Tod im Jahre 1883 zusammen. Danach vollendete Engels neben weiteren Büchern und zahlreichen Artikeln den 2. und 3. Band ihrer berühmten Analyse und Kritik des Kapitalismus: Das Kapital .
Hauptwerke
1845 Die Lage der arbeitenden Klasse in England
1848 Das kommunistische Manifest
1884 Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats
DAS PROBLEM DES 20. JAHRHUNDERTS IST DAS PROBLEM DER RASSENTRENNUNG
W.E.B. DU BOIS (1868–1963)
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Rasse und Volkszugehörigkeit
WICHTIGE DATEN
1857Roger B. Taney, oberster Richter der USA, entscheidet gegen das Freiheitsgesuch des Sklaven Dred Scott: Schwarze seien keine freien Bürger und könnten daher nicht in gleicher Weise vom Gesetz geschützt werden wie Weiße.
1906Max Weber sagt: Gemeinsame Auffassungen und Bräuche, nicht biologische Merkmale unterscheiden ethnische Gruppen voneinander.
1954Im Fall »Brown vs. Board of Education« erklärt der Oberste Gerichtshof in den USA separate, nach Hautfarbe getrennte Schulen für verfassungswidrig.
1964Das Bürgerrechtsgesetz verbietet die Rassentrennung im öffentlichen Raum: In den USA endet die gesetzliche Diskriminierung von Rasse, Hautfarbe, Religion oder Geschlecht.
Ende des 19. Jahrhunderts lenkte Frederick Douglass, ein Gesellschaftsreformer und befreiter Sklave, die Aufmerksamkeit in den USA auf fortbestehende Vorurteile gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Obwohl Schwarze niemandem mehr gehörten, waren sie noch immer Sklaven der Gesellschaft. Aus dem Herzen der Sklaverei, so Douglas, »sind Vorurteil und Rassentrennung entstanden«, durch die die weiße Vorherrschaft am Arbeitsplatz, an den Wahlurnen, in den Gerichtshöfen und im Alltagsleben sichergestellt wurde.
1903 untersuchte W.E.B. Du Bois in Die Seelen der Schwarzen die Rassentrennung. In diesem soziologischen und politischen Grundlagenwerk erforscht er die Veränderungen der gesellschaftlichen Stellung der Afro-Amerikaner vom Bürgerkrieg bis ins frühe 20. Jahrhundert – und zwar anhand der persönlichen, ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen im Süden des Landes. Du Bois’ Schlussfolgerung zu den unterschiedlichen Aussichten und Möglichkeiten für Schwarze und Weiße in den USA lautet: »Das Problem des 20. Jahrhunderts ist das Problem der Rassentrennung.«
Du Bois beginnt seine Studie mit der Feststellung: Weiße wollen nicht über das Thema Rasse diskutieren, legen im Verhalten aber zahlreiche Vorurteile an den Tag. Was sie indes wirklich wissen wollen, ist dies: »Wie fühlt es sich an, ein Problem zu sein?«
Die Frage ist aus Du Bois’ Sicht nicht zu beantworten – ist sie doch nur Ausdruck der weißen Perspektive, denn Schwarze sehen sich selbst keineswegs »als Problem«. Im Anschluss untersucht er, wie diese »Zweiheit« der Perspektive zustande kam und berichtet von seiner ersten Begegnung mit dem Rassismus: In der Schule verweigerte einer seiner Mitschüler die Annahme seiner Glückwunschkarte; da »dämmerte es mir, dass ich anders war als die anderen«.
Innerlich fühlte Du Bois wie die anderen, sagte er, doch er merkte, dass er »von ihrer Welt durch einen riesigen Vorhang ausgeschlossen« blieb. Zunächst noch unverdrossen, spürte er erst als Heranwachsender – als er sah, dass all die fantastischen Möglichkeiten nur Weißen vorbehalten blieben – die Notwendigkeit, diesen Vorhang beiseitezuziehen. Hier war eine Trennungslinie und er stand auf der Seite, der Macht und Möglichkeiten, Würde und Achtung versagt blieben.
»Das zentrale Paradox des Südens: die gesellschaftliche Trennung der Rassen. «
W.E.B. Du Bois
Die Rassentrennung verlief nicht nur äußerlich. Schwarze sahen sich selbst, so Du Bois, auf zweierlei Weise: als Spiegelbild der weißen Welt, von der sie mit amüsierter Verachtung und Mitleid betrachtet wurden, und aus einem durchlässigeren, nicht starr definierten Selbstverständnis heraus. Aus beidem entsteht, was Du Bois das »doppelte Bewusstsein« nennt: »zwei Seelen, zwei Gedanken, zwei unversöhnliche Bemühungen, zwei streitende Ideale in einem dunklen Körper«.
Die Geschichte der schwarzen Persönlichkeit in den USA ist die Geschichte eines inneren Konflikts, der selbst Resultat der äußeren Schlacht zwischen Schwarz und Weiß ist. Ein Schwarzer, so Du Bois, versucht stets, dieses doppelte Bewusstsein in einem Zustand zu vereinen und den wahren afrikanisch-amerikanischen Geist zu finden, der Amerika nicht afrikanisiert, aber auch nicht »seine afrikanische Seele in einer Flut weißen Amerikanismus’ ausbleicht«.
Das doppelte Bewusstsein– mit diesem Begriff beschreibt Du Bois die eigentümliche »Zweiheit« der Afro-Amerikaner: Sie müssen ein Selbstverständnis entwickeln und sich gleichzeitig bewusst sein, was andere in ihnen sehen. Ein junger Schwarzer kann z. B. Arzt sein (oben links und rechts), dennoch wird ihm das Stereotyp der weißen Gesellschaft vom jungen Schwarzen als z. B. gefährlichem Kriminellen oder Gettogangster (rechts oben) stets präsent sein.
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