Leni und ich suchten uns den Weg durch die Menge, immer dem Kollegen Schrammer nach. Dann endlich kamen wir in den Bereich, der nur der Polizei und ihren Ermittlungen gehörte. Zwei Feuerwehrleute hatten ein kleines Boot zu Wasser gelassen und waren dabei, eine Leiche an Bord zu hieven. Die Situation war schon makaber, denn so, wie sich die beiden Feuerwehrmänner anstellten, mutete sie doch schon etwas melodramatisch an.
Die beiden Männer auf ihrem Boot zerrten und zerrten, doch die Leiche ließ sich weder an Bord bringen, noch ließ sie sich in Richtung Ufer ziehen.
Offensichtlich hatte einer der Männer die Situation nun gecheckt.
„Es ist ein Mann! Aber er steht im Wasser und rührt sich nicht vom Fleck! Ich glaube, er hat sich am Boden im Gestrüpp verhakt. Wir brauchen einen Taucher zum Lösen!“
Am Ufer hatte man verstanden, worum es ging und ein Feuerwehrmann zog seine Oberbekleidung aus und zwängte sich in einen Neoprenanzug. Seiner Mimik konnte man entnehmen, dass er auf einen solchen Einsatz gerne verzichten würde. Feuerwehrleute wissen, was in einem solchen Moment auf sie zukommt. In unmittelbarer Nähe einer Wasserleiche zu arbeiten, von der man nicht weiß, wie lange sie schon im Wasser treibt und wie weit der Auflösungsprozess schon gediehen ist, darum reißt sich keiner.
So zog der Taucher die Kappe seines wasserdichten Anzugs soweit es ging, über den Kopf, streifte sich die Taucherhandschuhe über, deren Sitz er genauestens überprüfte. Seine Kollegen halfen ihm, die Atemluftflaschen wie einen Rucksack zu schultern. Das Mundstück fest in den Mund gedrückt und die Taucherbrille auf Dichtheit überprüft, ließ sich der Mann ins Wasser gleiten und schwamm langsam auf das Boot und seinen obskuren Auftrag zu. Am Boot wechselte er einige Worte mit seinen Kameraden und tauchte dann ab. Nach kurzer Zeit kam er wieder an die Wasseroberfläche und schüttelte den Kopf. Er sagte etwas zu seinen Kollegen und kam zurück zum Ufer geschwommen.
„Sie werden es nicht glauben“, sagte er atemlos. „Aber die Leiche steht kerzengerade im Wasser. Die Gase, sie verstehen.“
„Warum haben sie die Leiche nicht mit hierhergezogen oder ihren Kollegen überlassen? Sie haben sie doch vom Gestrüpp befreien können?“ Schrammer wirkte ungeduldig.
„Da ist kein Gestrüpp. Das, was den Mann am Grund festhält, sieht jedenfalls nicht danach aus. Ich würde da eher auf einen Betonklotz tippen, so an die hundert Kilo.“
Schrammer und ich sahen uns an und Leni stieß einen spitzen Schrei aus und presste die Hand vor den Mund. „Dann wünsche ich frohes Bergen“, entfuhr es mir und der Taucher sah mich von unten herauf an, als wolle er mir an die Gurgel.
„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte ich. „Aber Sie kommen mit Ihren Leuten nicht drum herum. Wohin soll die Leiche anschließend gebracht werden?“ Ich sah Schrammer fragend an.
„Ich schlage vor, dass die Feuerwehrleute den Betonklotz, soweit es geht, entfernen, Das Werkzeug dafür haben sie ja. Die Leiche kann dann vorerst in die Leichenhalle nach Weilersberg gebracht werden. Ich glaube nicht, dass sie dort jemand stehlen wird. Zudem wird alles gut verschlossen werden. Morgen wird sie dann nach Idar-Oberstein überführt werden, in die Räumlichkeiten des dortigen Krankenhauses.“
Ich nickte und sah Schrammer an.
„Sie kennen sich hier aus. Würden Sie einen Leichenwagen beauftragen, mit Zinksarg und so? Heute richten wir kaum noch etwas hier aus. Deshalb würde ich vorschlagen, dass wir uns morgen früh in der Leichenhalle treffen. Wären Sie damit einverstanden?“
Schrammer nickte. „Ja, es ist jetzt schon dunkel. An Ort und Stelle richten wir nichts mehr aus. Die Kollegen von der Schutzpolizei werden so lange hier bleiben, bis die Bergungsarbeiten beendet sind. Ich werde den Arzt ebenfalls für morgen früh bestellen. Sagen wir, so um Neun?“
„Um Neun!“
„Darf ich dabei sein?“ tönte es hinter mir und die Stimme kam mir erschreckend bekannt vor.
„Steiner, nicht Sie schon wieder!“ Der Pressemann stand tatsächlich neben uns und lächelte mich an. Seine dunkelblaue Baseball – Kappe war natürlich auch wieder dabei. Sie schien angewachsen. Vermutlich ging er damit auch zu Bett.
„Jetzt seien Sie aber mal ehrlich!“ quoll es aus seinem unschuldig anmutenden Gesicht. „Wenn ich eine solche Gelegenheit verpassen würde, hätte ich doch den falschen Beruf gewählt. Wissen Sie schon, wer der Tote da im Wasser ist? Wer hat ihn umgebracht? Es war doch Mord, oder?“
Ich musste Steiner loswerden, sonst schrieb er noch irgendwelche Dinge, die mir aufstoßen könnten.
„Schreiben Sie einfach, das, was Sie hier sehen und lassen Sie um Himmels Willen Vermutungen oder Ahnung weg. Die Polizei tappt noch im Dunkeln, das können Sie ausnahmsweise mal schreiben. Zu diesem Zeitpunkt ist diese Aussage für uns nicht schädlich.“
„Aber unsere Leser…!“
„Ihre Leser werden schon alles erfahren. Rufen Sie mich in den nächsten Tagen an. Wenn ich etwas Neues weiß und es vertreten kann, werde ich es Sie wissen lassen.“
„Heiner, wir dürfen Schäfers nicht vergessen“, sagte Leni, als wir zum Auto gingen. Claus Schäfers. Du weißt, der ehemalige Mitarbeiter der ‚Hunsrück-Milchwerke’. Ich glaube, morgen früh können wir uns Marschverpflegung einpacken.“
Ja, richtig, Schäfers. Dessen Wohnung mussten wir unbedingt aufsuchen, ihn befragen, gegebenenfalls vernehmen, im Zweifelsfall festnehmen. Langsam wurde die Sache stressig. Morgen würde es volles Programm geben. Erstens: die Leichenbesichtigung der Wasserleiche mit Schrammer und dem Arzt. Zweitens: die Ermittlungen bei Schäfers und drittens stand die Betriebsbesichtigung der „Hunsrück-Milchwerke“ noch aus.
„Auf, Leni, zurück ins Hotel, damit wir noch einige Stunden Schlaf bekommen!“
Auf der Dienststelle in Idar-Oberstein wurden wir am nächsten Morgen sofort von Werner Emmerich empfangen, der schon von weitem durch Achselzucken gebärdend mitteilte, dass wir überhaupt keinen Schritt weiter waren.
„Ich habe gestern noch mit Piefke gesprochen. Er hat uns nicht weitergeholfen. Ich glaube ihm, der weiß absolut nichts. Hat noch Glück gehabt, das arme Schwein, dass er nicht seine eigene Milch getrunken hat. Ich habe ihm noch ein Frühstück bringen lassen aber nun, glaube ich, sollten wir ihn laufen lassen.“
„Einverstanden“, stimmte ich ihm zu. „Aber er soll hinterlassen, wo wir ihn finden können. Oder besser noch: Er soll sich jeden Tag zu einer bestimmten Zeit auf der Dienststelle melden. Ich habe das Gefühl, das wäre auch für ihn das Beste.“
Emmerich wollte sich schon auf die Socken machen, als ich ihn zurück bat. Ich erzählte ihm von der Möglichkeit eines Verdachtes gegen Claus Schäfers aus Weilersberg. „Können Sie die Überprüfung durch Ihre Kollegen von hier aus veranlassen. Wir beide kommen heute beim besten Willen nicht dazu.“ Ich setzte ihn von unseren heutigen Plänen in Kenntnis.
„Ich werde mich darum kümmern. Übrigens: Ich heiße Werner“. Emmerich hielt mir seine Hand hin, die ich ergriff und drückte. „Ich bin Heiner. Danke für die hervorragende Unterstützung!“
„Und ich bin Leni?“ hörte ich meine Kollegin neben mir und sah, wie sie Emmerich ihre Hand entgegenstreckte.
„Und ich bin Susi!“ tönte es hinter uns und wie auf Kommando drehten wir uns um. Eine junge Lady, schlank, auffallend klein, wahrscheinlich die Mindestgröße für Polizeibeamtinnen, in dunkelblauer Jeans und einer kurzen Lederjacke mit hohem Kragen, besetzt mit silberfarbenen Nieten, stand vor uns.
„Ich gehöre doch dazu, oder?“
„Ich darf vorstellen: ‚Susi Quatro’, mit richtigem Namen Susanne Quarto“, informierte uns Emmerich über die Erscheinung in Leder.
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