Nach offiziellem Dienstschluss fuhr ich nach Hause. In diesem Fall war es ein Vorteil, dass der Tatort sich in meinem Wohnort befand.
Lisa war zu Hause. „Hast du Hunger?“, fragte sie nach einer herzlichen Begrüßung mit Kuss und einer kleinen Streicheleinheit. Ich fühlte mich auf einmal sehr wohl in ihrer Gegenwart. Gleichzeitig meldete sich mein schlechtes Gewissen. Ich ließ sie einfach zu oft und zu lange alleine. Und wie sie das verkraftete. Kein Vorwurf, keine Szene.
„Hast du Hunger?“, fragte sie noch einmal und zog mich am Jackenärmel ins Wohnzimmer. Als hätte sie gewusst, dass ich heute pünktlich nach Hause kommen sollte, hatte sie den Tisch zu einem Candle-Light-Dinner hergerichtet.
Ich ertappte mich dabei, dass ich verlegen wurde. Ich wollte ihr einfach Danke sagen, wollte ihr versprechen, mich mehr um sie zu kümmern, ich wollte ...
„Gefällt es dir?“, fragte sie leise neben mir und anstatt vieler Worte nahm ich sie in den Arm und küsste sie, bis sie anfing, sich zu winden und ich sie losließ.
„Du bringst mich ja um“, sagte sie lachend. „Spar dir das auf für heute Abend.“
Da war es wieder, das schlechte Gewissen. Gerade heute wartete noch eine Menge Arbeit auf mich. Die Nachbarn von Rietmaier! Jeder Tag, in dem ich die Ermittlungen schleifen ließ, war ein verlorener Tag! Ich würde ihr nach dem Essen sagen, dass ich wieder losmusste.
Die Arbeit war schneller getan, als ich dachte. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Hauses Rietmai-er gab es zwei Einfamilienhäuser, auf der rechten Seite neben dem Haus ein weiteres, doch an diesem fehlten die Fenster, um den Tatort einzusehen. Links vom Haus Rietmaier trennte eine Wiese mit einem freien Bauplatz das Haus vom Anwesen dort örtlichen Bürgermeisters, Detlef Hildebrandt. Sicherlich hätte er sich für dieses Grundstück lange interessiert, doch er und seine Frau Margarethe waren kinderlos geblieben. Für wen also hätte er sich krummlegen sollen?
Es kam, wie ich es mir vorgestellt hatte. Niemand hatte in der Zeit von achtzehn bis zwanzig Uhr, aber auch nicht davor oder danach, etwas Verdächtiges gesehen oder gehört.
Hildebrandt selbst war nicht zu Hause, seine Frau Margarethe öffnete mir die Tür.
„Ach, Herr Spürmann, Sie sind es. Sie wollen sicher zu meinem Mann. Der ist leider nicht da. Er ist zu einer Beerdigung im Nachbarort. Wird sicherlich spät, bis er nach Hause kommt. Soll ich ihm etwas ausrichten?“
Ich kam sofort zur Sache. „Frau Hildebrandt, Sie haben doch sicher von dem Toten im Waldhausener Forst gehört? Wahrscheinlich hat es sich inzwischen auch herumgesprochen, dass es sich dabei um ihren Nachbarn, Wilhelm Rietmeier, handelt? Können Sie sich erinnern, am Abend des Zwanzigsten, also am vergangenen Freitag, in den Abendstunden, irgendetwas Verdächtiges nebenan bemerkt oder gehört zu haben?“
„Nein“, antwortete Margarethe Hildebrandt. Sie machte einen sichtlich zerstreuten Eindruck auf mich. „Wir waren am Freitag gar nicht zu Hause. Wir sind erst spät zurückgekommen. Und gehört habe ich von dem Vorfall erst am Samstag durch Nachbarn, im Gespräch.“
O.k., hier gab es für mich nichts zu holen. Ich verabschiedete mich mit einem Gruß an den Ehemann. Meine Ermittlungen an diesem Abend hatten nichts hergegeben. Ich beschloss, noch kurz das „Hochwald Stübchen“ aufzusuchen und anschließend würde Lisa sich freuen, mich so früh am Abend wieder zu sehen. Dass aber bei genauer Betrachtung dieser Abend zur Klärung des Falles einiges beizutragen gehabt hätte, wurde mir erst viel später bewusst.
Lisa war sichtlich froh, als sie mich sah. „Magst du ein Glas Rotwein?“, fragte sie und ich wunderte mich, dass sie bisher noch nicht das Gespräch auf ihre neuen Schuhe gelenkt hatte. Sie wartete meine Antwort nicht ab und wollte die Flasche entkorken, die sie schon bereitgestellt hatte. Ich entwand sie ihr mit sanfter Gewalt und sah auf das Etikett. „Chateauneuf du Pape“, Jahrgang 2005. Nicht schlecht, Herr Specht.
„Hast du den alleine ausgesucht?“ Ich sah sie fragend von der Seite an.
„Heiner, ich glaube, du weißt überhaupt nichts von mir“, entgegnete sie und ihr Gesicht sah auf einmal sehr ernst aus.
So hatte ich sie in den letzten acht Monaten, in denen wir zusammen waren, noch nie gesehen. Und sie hatte mich Heiner genannt, was äußerst selten vorkam.
„Wenn diese Sache, du weißt schon, dieser Fall, geklärt ist, versprich mir, dass wir beide etwas gemeinsam unternehmen. Fahr mit mir für ein paar Tage weg. In die Berge, an die See oder zeige mir den Hunsrück, von dem du immer so schwärmst.“
Sie hatte Recht. Es sind schon ein paar Monate her, als wir unsere Koffer gepackt und mit meinem klapprigen Astra einfach so ins Blaue losgefahren sind. Diese nicht geplanten Aktionen sind einfach die besten. Wir fuhren damals der Mosel entlang, machten Station in Bernkastel und stiegen in ein Touristenboot, wo wir auf Deck bei einem Glas Wein die Sonne genossen. Lisa hatte sich an mich geschmiegt und gesagt: „Wie schön es hier ist. Am liebsten würde ich bis ans Ende der Welt mit dir fahren. Wir müssten uns viel mehr Zeit für einander nehmen.“
Sie gab mir einen flüchtigen Kuss, stand auf und ging zur Reling und machte mit der rechten Hand eine weit ausholende Bewegung
„Sieh, die Weinberge, das satte Grün mit seinen Trauben, die uns so berauschen. Winzer muss doch ein sehr schöner Beruf sein.“
„Aber auch anstrengend, in diesen Steillagen zu arbeiten. Bei aller Witterung. Jeder Schluck, jeder Tropfen sollte uns stets daran erinnern.“
Doch, je weiter wir Mosel abwärtsfuhren, umso mehr hatte ich Parallelen mit meinem Heimatbereich, mit dem Hunsrück, dem Osburger Hochwald, gezogen. Ich weiß, das eine kann man nicht mit dem anderen vergleichen, aber heute auf dieser Fahrt sah ich es deutlich. So schön es hier war, hier hätte ich nie leben können. Ich brauchte meinen Wald, Ich brauchte den Dialekt, mit dem ich aufgewachsen war und ich brauchte die Menschen, die nicht immer einfach waren, weil sie meist das sagten, was sie meinten, auch wenn es ihnen nicht immer zum Vorteil war.
„Wir werden eine Reise unternehmen“, sagte ich. Ich werde dir die Schönheiten des Hunsrücks zeigen. Ich werde mit dir durch die Wälder streifen und ich werde dir all die Dinge und Sehenswürdigkeiten zeigen, die den Hunsrück und den Hochwald so liebenswert machen. Es wird dir gefallen. Und vielleicht wirst du mich am Ende sogar verstehen.“
„Ich danke dir“, sagte sie. „Ich danke dir dafür, dass du das tun willst. Aber nun musst du deine Arbeit tun. Und stell dir vor: Ich kann das verstehen. Nur, beeil dich, ich möchte nicht immer nur warten.“
Sie neutralisierte diesen versteckten Vorwurf indem sie sich an mich schmiegte und drückte mir das Glas mit dem „Chateauneuf du Pape“ in die Hand.
„Trinken wir darauf. Trinken wir auf unsere Zukunft. Ich bin glücklich neben dir, trotz allem. Liebst du mich eigentlich, oder…?“
Ich drückte meinen Zeigefinger auf ihre Lippen, nahm ihr das Weinglas aus der Hand und stellte es mit dem meinen auf dem Tisch ab.
„Ich liebe dich“, sagte ich. „Ich liebe dich unendlich.“
Schon früh am Morgen, Lisa und ich lagen noch eng umschlungen aneinander gekuschelt, klingelte das Telefon. Es war Leni.
„Guten Morgen, Heiner. Ich hoffe, du bist schon auf. Vergiss deine gleitende Arbeitszeit und komm bitte sofort. Es hat sich etwas Neues ergeben.“
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